Arctic Circle Trail (ACT) - West-Grönland

Reisezeit: August / September 2018  |  von klaus Heyne

Tagestour auf den Aappilattorsuaq

Wir lassen es ruhig angehen. Das Wassertreten der gestrigen Etappe steckt uns noch in den Knochen. Heute wird keine Strecke gemacht, sondern ein entspannter Tagesausflug auf den Gipfel des Aappilattorsuaq. Der Bergrücken erhebt sich an der Nordseite des Amerloq Fjords mit einer imposanten Steilwand zum Fjord.

Die Tagestour beginnt dann um die Mittagszeit. Ziel ist der höchste Punkt des Aappilattorsuaq mit 907 m. Dort erwartet den strebsamen Wanderer ein Panorama vom Rand der fast senkrechten 900 m hohen Steilwand auf den Amerloq Fjord. Die Besteigung von unserem Standort auf 100 m Höhe gliedert sich in 4 Etappen: zunächst über bewachsenes Gelände mit angenehmer Steigung bis auf 300 m, danach weitere 300 Höhenmeter über Fels und deutlich steiler bis auf 600 m Höhe, anschließend für ca. 3 km über eine Fläche mit gemäßigtem Auf und Ab, um schließlich die restlichen, recht steilen 300 Höhenmeter bis auf den Gipfel aufzusteigen. Irgendwelche Hinweise auf einen bestmöglichen Weg gibt es nicht. Also suchen wir den unserer Meinung nach besten Weg anhand der Wanderkarte aus.
Der Himmel ist bewölkt, die Temperaturen sind angenehm niedrig – nicht so wie bei der Nasaasaaq-Gipfeltour. Es herrschen also ideale Wanderbedingungen. Die Ausrüstung für den Ausflug ist schmal gehalten und findet Platz in Hosentaschen und dem kleinen Behelfsrucksack, den Niklas aus einer Tragetasche und zwei Koffergurten gebastelt hat. Außer Karte und Kompass nehmen wir nur Regenjacken, Wasserflasche und ein paar Kekse mit.

Die erste Etappe über die mit niedrigem Bewuchs bedeckten Hänge ist angenehm zu begehen. Am Ende der Bewuchszone haben wir einen ungehemmten Blick auf die in gerader nordnordöstlicher Richtung befindliche Landenge zwischen Kangerluarsuk Tulleq Fjord und dem kleinen angrenzenden See, an dessen leicht gebogenem Südufer wir morgen entlang gehen werden.

In der zweiten Etappe begleitet uns ein kleiner Bach über die Steigung bis auf die Hochfläche. Sein Wasser ist frisch und schmeckt herrlich. Auf der Hochfläche passieren wir einige kleinere Seen und Passagen aus brüchigem Steinzeug auf oftmals sandigem Untergrund. An einem der kleinen Seen, der umgeben ist von explodiertem Berg – Felsen in jeglichen Größen – lädt eine natürliche Steinbank zur Kekspause.
Wir befinden uns auf einer Höhe von etwa 600 m. In Marschrichtung rechter Hand (Richtung SSW) erhebt sich eine langgezogene 100 m hohe Steilwand, die uns glücklicherweise nicht ins Gehege kommt. An einem weiteren See nach etwa 2 Drittel der zu passierenden Hochfläche finden wir relativ viele Rentierknochen, was Niklas dazu bewegt, ihn „Knochensee“ zu taufen.
Wir nehmen das letzte Stück bis zum Gipfel in Angriff. Niklas träumt davon, oben das erste Steinmännchen in dieser unberührten Wildnis, die nie ein Mensch zuvor betreten hat, zu errichten. Mittlerweile ziehen mehr und mehr Wolken auf, die unaufhaltsam tiefer sinken. Kurz vor Erreichen des Gipfels können wir im Westen die Küste und den Nasaasaaq von hinten sehen und zu unseren Füßen den Amerloq Fjord.
Es sind nur noch wenige Höhenmeter zurückzulegen, aber innerhalb von 1-2 Minuten stehen wir komplett in den Wolken mit Null Weitsicht. Fjord und Umgebung sind jetzt von einer milchigen Masse aufgesogen worden. Lediglich in einem 10-m-Radius sind Dinge vage erkennbar. So auch der fette Steinmann, der als Gipfelmarkierung dient und in dessen Windschatten wir uns niederkauern. Damit platzt Niklas Traum wie eine Seifenblase. Von wegen, noch nie einer hier gewesen...
In gleichem Maße wie die Sicht schwindet, nimmt der Wind zu. Als auch beginnender weißer Niederschlag dazu kommt, hält uns hier oben nichts mehr. Es hat keinen Sinn, auf bessere Sicht zu warten. Rückmarsch ist angesagt. Wegen der schlechten Sicht haben wir den Kompass zu Hilfe genommen und uns danach recht genau nordwärts gerichtet. Die Magnetnadel führt uns über rutschigen Untergrund und durch loses Geröll und Sand. Einmal zieht es mir die Füße weg und ich schlittere ein paar Meter auf dem Hosenboden übers Geröll. Es ist nicht derselbe Weg, den wir heraufgekommen sind, sagt mein Hintern. Leider geraten wir im Nebel dann doch an einige hoch aufragende Verwerfungen. Die wollen wir nun nicht auch noch überwinden.
Statt dessen versuchen wir, den gemäßigten Weg zum Knochensee wiederzufinden, wo Niklas den Rentierwirbel aufgelesen hat. Von dort aus ist der Rückweg ziemlich klar. Der weitere Abstieg zum Knochensee gestaltet sich dann tatsächlich unproblematisch. Schnee und Regen werden nach und nach weniger; die Wolken heben sich wieder bzw. wir unterlaufen sie nun. Von einem erhöhten Standpunkt haben wir nach der etwa 9-Stunden-Tagestour noch einen schönen Blick auf den Kangerluarsuk Tulleq Fjord und den angrenzenden namenlosen See. Mal sehen, ob wir uns vor dem Abendmahl noch zu einer Ganzkörperwaschung an unserem Hausbach mit dem kleinen, duschartigen Wasserfällchen durchringen können.

Erstes Teilstück des Aufstiegs - im Hintergrund der Fjord und die schmale Landenge zum angrenzenden See

Erstes Teilstück des Aufstiegs - im Hintergrund der Fjord und die schmale Landenge zum angrenzenden See

Lässige Wildwasser-Überquerung

Lässige Wildwasser-Überquerung

Lecker Frischwasser

Lecker Frischwasser

Natürliche Pausenbank

Natürliche Pausenbank

Endlich oben...

Endlich oben...

...und dann Null Ausblick!

...und dann Null Ausblick!

Schneefall auf dem Rückweg

Schneefall auf dem Rückweg

Blick auf Fjord und See während des Abstiegs

Blick auf Fjord und See während des Abstiegs

Hin und zurück = 24 km

Hin und zurück = 24 km

© klaus Heyne, 2021
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Trekkingtour auf dem Arctic Circle Trail in West-Grönland. Der ca. 170 km lange Pfad verläuft im eisfreien etwa 200 km breiten Küstenstreifen in direkter Nachbarschaft des Nördlichen Polarkreises von der Hafenstadt Sisimiut nach Kangerlussuaq ins Landesinnere - oder umgekehrt.
Details:
Aufbruch: 17.08.2018
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 09.09.2018
Reiseziele: Grönland
Der Autor
 
klaus Heyne berichtet seit 9 Jahren auf umdiewelt.
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