Sahara - Grenzfahrten zwischen den Welten

Reisezeit: November 2001 - Februar 2002  |  von Angelika Gutsche

Das Tuaregfestival in Menaka

In Gao wird uns Joo vermittelt, ein charmanter, 21jähriger Targi, der uns zu einem Tuareg-Festival bei Menaka begleiten soll. Jährlich werden im Januar zwei große Festivals veranstaltet, die jedes Mal von anderen Ortschaften ausgerichtet werden. In diesem Jahr sind es die Städte Tessalit in der Tanezrouft und Andéramboukan bei Menaka. Da beide Orte Hochburgen der Tuareg-Rebellen sind, wurde eine Art Waffenstillstand während der Feierlichkeiten ausgerufen, um die Anreise der Teilnehmer zu sichern. Die zweitätige Fahrt nach Andéramboukan in den Westen Malis führt durch ein landschaftlich sehr reizvolles Flussgebiet entlang des Niger. Unterwegs begegnen uns viele Teilnehmer des Festivals, die zu Kamel, zu Pferd und zu Fuß in schönstem Feiertagsschmuck unterwegs sind nach Andéramboukan. Sie lachen und winken fröhlich in Vorfreude der Ereignisse. Auf einer kleinen Landebahn bei Menaka ist mit einer zweimotorigen Maschine der Innenminister von Mali gelandet, um an den Festivitäten teilzunehmen. Je näher wir Andéramboukane kommen, desto dichter wird der Menschenstrom.

Vor uns erhebt sich eine hohe, großflächige Düne. Viele Reiter und Fußgänger, Männer und Frauen, sorgfältig geschminkt, in anmutiger Haltung, die Männer mit ihren Gesichtsschleiern, die ihre Augen noch feuriger erscheinen lassen, spazieren umher. Unser rotes Feuerwehrauto erregt große Aufmerksamkeit. Außer uns sind vielleicht noch zehn Europäer hier. Wir erklimmen die große Düne auf deren Kamm in fünf Reihen Zelte aus auf Stöcken gespannten Tierhäuten, unten geöffnet und mit Seilen am Boden befestigt, aufgestellt sind. Viele Tuaregfamilien haben sich schon in den Zelten eingerichtet, den Neuankömmlingen werden vom Festkomitee Zelte zugeteilt. Statt unsere Kamele anzubinden, "parken" wir unsere Feuerwehr vor den uns zugeteilten Zelten, in denen wir unsere Schlafsäcke für die Nacht ausrollen. Am nächsten Morgen werden wir vom Saharawind mit Sand bedeckt aufwachen, verwundert vor das Zelt treten und uns inmitten der gerade erwachenden Tuareg-Zeltstadt wiederfinden.

Doch jetzt geht es zum Festplatz. Unter einem großen Zelt haben sich viele Menschen versammelt. Andere Gruppen demonstrieren auf einem freien Platz ihre Tänze. Auf Tuareginstrumenten stimmen Musikanten die Tänzer ein. Ein schrilles Getriller der Frauen ertönt. Auch wir sitzen im Kreis um die Tänzer und klatschen den Rhythmus. Eine Gruppe von Bororo-Fulbe, diese Halbnomaden, die einen ausgesprochenen Schönheitskult pflegen, gehört zu den Gästen. Junge Männer tanzen mit bemalten Gesichtern, schwarz gefärbten Lippen, künstlerisch geflochtenen Haartrachten. Sie tragen großkrempige Lederhüte geschmückt mit Straußenfedern und rollen wild mit ihren Augäpfeln, um sich und ihre Schönheit in Szene zu setzen und Bewunderung zu erhaschen. Plötzlich öffnet sich der Kreis der Zuschauer und einer Gruppe von großgewachsenen, dunkel gekleideten Menschen wird Platz gemacht. Ein stattlicher Mann mit mehreren Frauen von ausdrucksvoller Schönheit und stolzer Haltung und deren Begleiter halten Einzug und setzen sich im Kreis. Es handelt sich um den Amenokal, einen Tuaregfürsten aus dem Nachbarstaat Niger, der hier mit seiner Familie dem Fest die aristokratische Note gibt. Bei Anbruch der Dämmerung tanzen sich die Frauen in Trance. Kniend, sich zu der Musik eines Streichinstruments wiegend, unterstützt von rhythmischen Klatschen der um die Gruppe des Amenokal stehenden Tuareg, fallen sie mit wegtretendem Blick auf die neben ihnen knienden Männer und Frauen, wobei sich die eine oder andere wunderschöne Brust entblößt. Der Tanwirkt erotisierend und aufregend. Der Fürst gibt den Takt vor. Eine Frau säugt im Kreis sitzend einen Säugling. Eine undomenistizierte, von allen Zivilisationsneurosen unbeleckte Einstellung zu Sexualität und Körperlichkeit wird fühlbar. Magie liegt in dieser Abendstimmung, die untergehende Sonne verschwindet hinter den Dünen, ein leiser Wind weht lau und eine tiefe Ahnung des Zaubers und der Mystik vom Werden, Sein und Vergehen erfüllt uns. Dieses Festival ist auch eine Begegnung der Geschlechter. Die schönen und stolzen Menschen, die Musik, der Tanz, die Dämmerung, alles strömt Sexualität aus und atmet Erotik.

http://www.youtube.com/watch?v=w9ErCI30PvY

Am nächsten Tag erwartet uns ein weiterer Höhepunkt: das Kamelrennen. Über eine Entfernung von 20 km bewegen sich in einer Ebene die Reiter auf das durch zwei Stöcke gekennzeichnete Ziel zu, an dem die Zuschauer erwartungsvoll ausharren. Endlich werden Staubwolken in der Ferne sichtbar. Die Zuschauer stürmen zu Fuß, zu Pferd und zu Kamel den Wettkampfteilnehmern entgegen, unter ihnen auch die Meharisten, die mit AK 47 Sturmgewehren bewaffnete Kamelpatrouille. Unter großem Geschrei und Gejohle wird der Sieger durchs Ziel begleitet. Es fliegt soviel Staub und Sand durch die Luft, es sind so viele Kamele und Pferde unterwegs, dass überhaupt nicht mehr ersichtlich wird, wer zum Rennen zählte und wer Zuschauer war. Da löst sich aus einem Knäuel der Sieger, der Stolz seines Klans: ein Knabe von vielleicht 14 Jahren, in einen wallenden Umhang und Gesichtsschleier gehüllt, auf einem bunt bemalten Kamel. Er wird von den anderen Reitern zum Festplatz begleitet, wo eine Art Parade stattfindet. Die Reiter, farbenfroh kostümiert, unter ihren Turbanen wild blickend, auf ihren prächtigen, geschmückten, bemalten und mit wunderschönen rot-grünen Ledersätteln versehenen Kamelen, halten ein Schaureiten ab. Einzeln oder in kleinen Gruppen galoppieren sie hin und her, halten direkt auf uns zu, um kurz vor einem Zusammenstoß abzubremsen und sind höchst erfreut, für unsere Kameras posieren zu können.
http://www.youtube.com/watch?v=0WOnbjTa1TE&feature=related

Joo, unserer Führer, organisiert erstklassig. Das Essen wird vor unseren Zelten in einer großen Schüssel serviert: Reis mit Sauce, darauf etwas Schaffleisch. Wir essen mit den Händen. Vor den Zelten werden kleine Feuerchen entfacht, auf denen Tuareg-Tee, eine starke Schwarzteemischung mit viel Zucker, gekocht wird. Eine Gruppe von drei Musikern gesellt sich zu uns. Joo übersetzt die auf uns gemünzten Reime: Wie wir hierher kamen mit unserem roten Feuerwehrauto und wie gefährlich und schön unser großer Hund sei. Dann gehen die Gesänge im Gelächter der umstehenden Zuschauer unter. Vielleicht ist es besser, dass wir nicht alles so genau verstehen, was da an "Gstanzln" über uns verbreitet wird? Nach einem großzügigen Trinkgeld packen die Drei ihre Instrumente weg und ziehen weiter zu einem anderen Zelt.

Woher kommt diese Anziehung, welch die Wüste und deren Bewohner auf uns ausüben? Ist es die an Anarchie grenzende Freiheit, die uns so fasziniert? Der offene Blick jedes Wüstenbewohners gibt zu verstehen, dass ein Targi oder Tubu nur der Wüste und ihren Gesetzen verpflichtet ist und sonst keine andere Autorität und schon gar keine staatliche anerkennt. Hier sind den Einflüssen von Fernsehen und anderen Massenmedien auf Denken und Fühlen Grenzen gesetzt. Keine Spur des obrigkeitshörigen Sicherheitsstrebens, wie es in der westlichen Welt vorherrscht, findet Eingang in dieses harte, risikoreiche Hier und Jetzt.

Nach dem Besuch eines halsbrecherischen Pferderennens, in dem die Teilnehmer ihren Wagemut und ihr Geschick zur Schau stellen konnten, brechen wir am nächsten Tag auf. Wir sind glücklich und dankbar, dass uns diese Menschen in großer Gastfreundschaft an ihrem Fest teilnehmen ließen und wir mit ihnen diesen Jahreshöhepunkt erleben durften.

Tuaregmädchen

Tuaregmädchen

© Angelika Gutsche, 2004
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Auf den Spuren der Tuareg durch die Sahara: eine Abenteuerreise durch Algerien, den Niger und Mali.
Details:
Aufbruch: 05.11.2001
Dauer: 3 Monate
Heimkehr: 10.02.2002
Reiseziele: Algerien
Niger
Mali
Der Autor
 
Angelika Gutsche berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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