Die Slowakei per Fahrrad erkunden

Reisezeit: August / September 2002  |  von Manfred Sürig

Ungarisch müßte man können...

Nun geht es erst einmal 17 km bergab nach Moldava nad Bodvou. Hier bin ich schon fast in der Ebene, aber umso grandioser ist der Blick auf die steilen Kalkberge im Westen und Süden, die den Slovenky Karst bilden. Bei Zadiel am Südhang des Karst mündet ein Tal in die Ebene, das als das spektakulärste des Karst beschrieben wird. Diesen Ort suche ich mir zum Übernachten aus, um am nächsten Tag das Tal zu Fuß zu erkunden. Doch nirgends gibt es Übernachtungsmöglichkeiten, man ist am Eingang zum Nationalpark nur auf Tagesgäste eingestellt. Man kann mir nicht einmal einen Tip geben, in welchem Ort in der Nachbarschaft es sich lohnen könnte, nach Hotels oder Pensionen Ausschau zu halten. Diese spärlichen Auskünfte bekomme ich auf ungarisch ! Ich hatte mich schon über die zweisprachigen Ortsbezeichnungen gewundert, die man hier überall sieht, manchmal steht die ungarische Bezeichnung an erster, dann wieder an zweiter Stelle, offenbar je nachdem, wer die Mehrheit in dem Dorf bildet. Die Europastraße 571 ist die einzige Strecke, die ich jetzt fahren kann, und die führt an den Orten stets vorbei. Auch an der stark befahrenen Europastraße sehe ich nirgends Reklameschilder von Hotels oder Pensionen. Ich stelle mich schon darauf ein, heute doch noch nach Roznava fahren zu müssen. Ein Blick auf die Karte bringt mir aber zum Bewußtsein, dass ich dann erneut einen Paß überwinden muß, satte 500 Höhenmeter wären das. Nein, das werde ich mir nicht antun ! Nach Jablunov nad Tournou biege ich ab und versuche es mit Herumfragen: Ubitovanie/Pension/Hotel ? Ja, sagt man mir, 2.Straße links und dann steil bergab bei Herrn Jablonka. Das Haus finde ich sogar, aber niemand ist da. Man soll eine Handynummer anrufen, wenn man übernachten möchte, lese ich aus den vielen Drucksachen, die am Fenster kleben. Dazu braucht man aber ein Telefon, wahrscheinlich auch eine slowakische Telefonkarte und Sprachkenntnisse. Gott sei Dank finde ich in der Nähe ein Telefon, das sogar Münzen annimmt, dort wähle ich mutig die Nummer und spreche etwas von Pension, Übernachtung, da ist schon das Geld alle. Bei einem zweiten Versuch höre ich nur eine Stimme sagen "Moment please", dann ist auch das letzte Münzgeld verbraucht. Als ich noch unschlüssig vor der Telefonzelle stehe, kommt ein Mann mit Handy in der Hand auf mich zu, schließt die Herberge auf und bittet mich herein. Noch nie war die Verständigung so schwierig, aber die Freundlichkeit und Gastfreundschaft ist grenzenlos. Ich bin der einzige Gast im Haus, bekomme ein geräumiges Vierbettzimmer, Bad, Küche und eine Waschmaschine zur Verfügung. Abendessen gibt es nicht, auch nicht in der einzigen Kneipe oben am Berg. Aber ich habe eine Übernachtung, die obendrein so preiswert ist wie nie zuvor. Ich steige noch den Hang hinauf in das Clubhaus einer Kleingartenkolonie. Dort spricht man munter ungarisch und slowakisch durcheinander und versteht sich prächtig. Als ich das Lokal betrete, verstummen alle Stimmen und alle Blicke richten sich auf mich. Irgendjemand hat mich vorhin mit dem Rad die Straße entlangfahren sehen und erkennt mich wieder. Nun will man wissen, wer ich bin und woher ich komme. Ich versuche es auf Englisch, auf Deutsch, vergeblich. Immerhin versteht man Hamburg, wo ich herkomme und die slowakischen Orte meiner Radtour. Ich bekomme ein Bier und einen selbstgebrannten Schnaps und dann erzählt man mir mit Händen und Füßen , dass man hier zu 60 % ungarisch sei. Mein Gegenüber fragt seine vierjährige Tochter, wie sei heiße. Bartok, Katharina. Ich frage zurück, Katarina Bartokova also? Nein protestiert das Kind, das wäre doch slowakisch, nein sie heißt Bartok, Katharina. Alle lachen, obwohl ich wohl in ein Fettnäpfchen getreten bin. In 14 Tagen ist in der Slowakei Wahl, erklärt man mir, und hier würde nur die Partei der Ungarn (d.h. der ungarischen Minderheit in der Slowakei) gewählt. Es wäre interessant, hier weiter nach nationalistischen oder separatistischen Tendenzen zu fragen, aber bei meinen Sprachkenntnissen ist das von vorn herein vergeblich. So bedanke ich mich und ziehe mich zurück, habe aber Mühe, meine Herberge im Dunkeln zu finden.

Montag, 9.September 2002

Herr Jablonka ist rührend bemüht, es seinem einzigen Gast so angenehm wie möglich zu machen. Er zeigt mir eine Karte, auf der ich ihm zeigen soll, wie ich weiterfahren möchte. Daraufhin zeichnet er mir einen Weg in die Karte ein, den er mir empfehlen könnte und der durch die schönsten Abschnitte des südlichen Karst zur ungarischen Grenze führe. Zum Schluß schenkt er mir die Karte. Der Weg ist tatsächlich empfehlenswert, er führt durch malerische Dörfer, die deutlich ungarisch geprägt sind durch ein dicht bewaldetes Tal in die Höhe. Die Straße ist - entgegen der Beschreibung auf der Radwanderkarte 3 nagelneu asphaltiert, was will man mehr - wäre da nicht eine lange Steigung zu überwinden. Schließlich bin ich oben im Dorf Silica auf gut 600 m ü.M., und nun begreife ich die Empfehlung von Herrn Jablonka: Um zum Grenzübergang nach Ungarn zu kommen, müßte ich auf der Straße wieder 400 Meter nach unten ins Tal der Slana, um anschließend wieder 400 Meter aufwärts zum Grenzübergang strampeln zu müssen. Nur: Der empfohlene Weg ist ein Fußwanderweg, gut gekennzeichnet zwar, aber er führt querfeldein über Stock und Stein. Nur manchmal kann ich einige Strecken fahren, meistens ist Schieben angesagt. Zwar bin ich auf dem Plateau des Karst, aber eben ist es hier auch nicht gerade. Die Vegetation allerdings ist einzigartig. Einen Mischwald aus Eschen, Buchen, Eichen, Kiefern, Wacholder und Walnußbäumen habe ich noch nie gesehen und die Gräser und Diesteln, die hier wachsen, kenne ich gar nicht alle. Dazu führt der Weg durch menschenleeres Land, soweit das Auge reicht. Das Auge kann aber nicht in die Schluchten und Löcher sehen, die im Karst vorkommen. Da ist plötzlich ein Stück abgesperrt, weil man in ein 190 Meter tiefes Einbruchloch fallen könnte, ein Pfad zu einem versteckten Höhleneingang zweigt ab, dessen Betreten ebenfalls verboten ist. Als ich nach gut einer Stunde in Silicka Brezova ankomme, meine ich, das Ärgste hinter mir zu haben, denn der weitere Weg über Jecova zum Grenzort Domica ist in meiner Radwanderkarte als Mountainbikeroute eingezeichnet, im übrigen muß es ja eigentlich bergab gehen. Geht es auch, sogar auf einem gut bezeichneten Pfad. Der aber ist so schmal, daß es halsbrecherisch ist, ihn mit Gepäck zu befahren und zum Schluß geht es so steil über eine Geröllhalde hinab, dass ich gezwungen bin, erst das Rad und dann das Gepäck hinunterzutragen. Montainbikeroute ? Wären da nicht die eindeutigen Markierungen an Felsvorspüngen und Bäumen, die mit einem weißen "C" (=Cyclo) den Radwanderweg kennzeichnen, würde ich glauben, mich verirrt zu haben. Kurz vor Jecova führt die Route dann in einem Bachbett entlang, was zur Erfrischung beiträgt, mir aber doch fast den Rest gibt. Im Dorf Jecova selbst kann ich dann eine neu asphaltierte Straße hinabrollen und die Hausfrauen beobachten, die die Wäsche in dem Bach waschen, in dem ich eben noch bergab gefahren und geschoben bin. Immerhin habe ich mir 400 Höhenmeter auf der Straße erspart und bin am Ende erstaunt, schon gegen 13 Uhr an der slowakisch-ungarischen Grenze zu stehen. So schlecht war Herrn Jablonkas Abkürzungsempfehlung vielleicht doch nicht. Für Gruppenreisen aber nicht zu empfehlen....

© Manfred Sürig, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nur weiße Flecke auf der Karte der Slowakei wollte ich erkunden: Gegenden, wo ich noch niemals gewesen bin, nachdem ich im Herbst 2000 dieses herrliche Urlaubsland zum ersten Mal kennengelernt hatte.
Details:
Aufbruch: 29.08.2002
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 18.09.2002
Reiseziele: Slowakei
Ungarn
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.