Vietnam

Reisezeit: November / Dezember 2002  |  von Christian Böttcher

Zw. Ahnentempeln u. Ho-Chi-Minh-Mausoleum

4. Zwischen Ahnentempeln und Ho-Chi-Minh-Mausoleum

Die nächsten Tage bestehen aus vielen Besich­tigungstouren. Beim Besuch des Literaturtem­pels wird der chinesische Einfluß wieder be­merkbar. Hier wurden lange Zeit die Staatsbe­amten nach konfuzianischer Lehre ausgebil­det.
Am dritten Abend lerne ich Thans Frau Minh kennen und Hang, eine Schwägerin von Thanh. Hang ist etwa so alt wie ich und arbei­tet als freischaffende Fotografin. Beim Betre­ten der Woh­nung von Hang erlebe ich eine kleine Überraschung: sie ist sehr elegant und stilvoll eingerich­tet und besteht aus einem Wohn- und Schlafzimmer, welches durch ei­nen langen Flur zu erreichen ist. Die sehr ho­hen Wände sind mit Fliesen getäfelt und allein der Tisch im Flur, mit einem stimmungsvollen Landschaftsbild an der Wand, lädt zum Tee­trinken ein. Diesen schenkt uns Hang auch so­gleich ein; den hier verbreiteten, mit Jasmin aromatisierten Grüntee. Später, an dem von Hang und Minh mit viel Liebe bereiteten Spei­setisch, mache ich meine ers­ten, von viel Ge­lächter begleiteten, Versuche mit Eßstäbchen. Zwar bekomme ich den mir vor­gemachten Handgriff hin; die Fleischteilchen fallen mir aber immer wieder auf den Teller. In der Woh­nung, über dem breiten Bett, befindet sich noch eine Empore, die von Hang als Arbeitsr­aum genutzt wird. Sie macht hauptsächlich Auftragsarbeiten auf Hochzeiten und anderen gesellschaftlichen Anlässen. Danach retu­schiert sie die Fotos häufig mit Pinsel und Farbe. Als ich ihr dabei zusehe, bewundere ich ihre feine, sichere Hand. Die Empore ist so dicht unter der Decke, daß wir beide uns am bequemsten auf dem Fußboden sitzend dort aufhalten. An diese Art des Sitzens ist man in Asien ja mehr gewöhnt als bei uns. Zwar spre­chen die beiden Frauen Französisch und Tschechisch (Minh war eine zeitlang in der CSSR), was ich leider wiederum nicht kann. Als ich mit Hang zwischendurch mal allein bin, spielen wir zusammen auf ihrem Handy ... nein, nicht "Towers of Hanoi", sondern Tetris.

Wir treffen uns während meines Hanoier Aufenthalts öfter in Hangs Wohnung. Das Schu­hausziehen und Pantoffelanziehen beim Betreten einer Wohnung oder eines Hotelzimmers ist für mich gewöhnungsbedürftig. Obwohl ich dies in meiner Dortmunder Behausung eigentlich auch am liebsten so machen würde, aber aus Bequemlichkeit oft nicht tue. Für diesen Zweck stehen in Vietnam auch immer Pantoffeln oder Sandalen bereit. Und Barfußlaufen ist dort selbst in besseren Häusern normal, aber bei den meist sommerlichen Temperaturen auch ange­nehm.
In Thanhs eigener Wohnung lerne ich die Mutter von Thanhs Frau kennen. Sie ist Mitte sieb­zig, klein, und trägt ein Kopftuch. Behäbig schreitet sie mir zur Begrüßung entgegen. Als sie mein Geschenk angenommen hat und am Küchentisch mir mild lächelnd gegenübersitzt, scheint ihre Würde die ganze Wohnung auszufüllen. Auch die Speisetafel ist mal wieder eine Augenweide. Mehrere Fleisch- und Gemüsesorten zur Auswahl. Die Küche hat ein glasloses, lediglich vergittertes Fenster mit Blick auf eine Hauptverkehrsstrasse. Beim Erstbesuch in ei­ner Wohnung ist es üblich, Geschenke mitzunehmen. Gut, daß ich beim Aussuchen Beratung durch Thanh bekomme. Den beiden Kindern von Thanh kann ich mit Turnschuhen Freude machen, der Minh und ihrer Mutter mit Jeans und Süßigkeiten.
Ich hatte schon erwähnt, daß Mopedfahren in Vietnam besonders erlebnisintensiv ist. Als ich eines Abends mit den Freunden auf zwei Mopeds einkaufen fahre, wird diese dort alltägliche Einkaufstour für mich zu einem 3D-Kino. Es gibt in Hanoi einige Geschäftsviertel, die recht modern und westlich wirken und wo man sogar einige Supermärkte finden kann. An jenem Abend aber, es ist bereits dunkel, bahnen wir uns einen Weg durch holprige, ungepflasterte Straßen mit niedrigen Häusern und langen Basaren. Ich sitze bei Hang hinten drauf. Die Gas­sen sind zum Teil so eng, daß sich die Markisen der Händler über unseren Mopeds zu berühren scheinen. Trotz der weit ausladenden Marktstände und der kreuz und quer watschelnden Korb­trägerinnen steuert Hang uns beide geschickt und schnell mitten hindurch. Obwohl ich in Ha­noi insgesamt zwei Mopedunfälle beobachtet habe, fühle ich mich sicher. Und kann die bei Dunkelheit nicht minder zauberhafte Marktatmosphäre mit den Grillgerüchen umso mehr ge­nießen.
Obgleich Hanoi von der Einwohnerzahl her mit Berlin vergleichbar und der Straßenverkehr ein Albtraum ist, ergeben sich beim Mopedfahren auch Gelegenheiten zum privaten Schwätz­chen.Als Thanh und ich an einer Ampel warten, hält neben uns zufällig die Englischlehrerin der beiden Jungens. Thanh läßt seine Kinder zusätzlich zum Schulunterricht privat Englisch lernen. Wie für die meisten modernen Vietnamesen ist Fremdsprachenlernen auch aus seiner Sicht wichtig für die Kinder, um bessere berufliche Chancen zu haben. Achtzig Prozent der Bevölkerung sind ja immer noch in der Landwirtschaft tätig.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Bericht über eine vierwöchige Alleinreise durch Vietnam von Nord nach Süd. Die Reise begann in Hanoi mit einem Besuch bei Verwandten einer Vietnamesin, die in unserem Familienbetrieb in Deutschland arbeitet.
Details:
Aufbruch: 22.11.2002
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 19.12.2002
Reiseziele: Vietnam
Der Autor
 
Christian Böttcher berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.
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