Vietnam

Reisezeit: November / Dezember 2002  |  von Christian Böttcher

Staubwege, Keramikhändler und Mopedpanne

6. Staubwege, Keramikhändler und Mopedpanne. Alltag eines Hanoibesuchers.

Wie ich schon erwähnte, ist die Hanoier Altstadt zwar ein Touristenviertel, hat aber, zu­mindest aus meiner Sicht als Ostasien-Neu­ling, noch ein sehr authentisches Flair. Direkt neben meinem Hotel befindet sich eine Sup­penküche, in der ich beim Vorbeigehen kaum Ausländer sehe. Auch am Morgen, als Thanh mit mir dort frühstückt, wirkt alles recht ein­heimisch und alltäglich. Nacktes Mobiliar, fade Neonbeleuchtung, Deckenventilator und ein Fernseher in der Ecke. Am Nachbartisch sitzt eine Familie mit Baby. Das Kind hat lau­ter blaue Flecken im Ge­sicht. Eine Folge des US-Entlaubungsgiftes "Agent Orange", wie mir Thanh später erklärt. Es wurde während des amerikanischen Krieges eingesetzt, um Wälder zu zerstören und damit Tarnmöglich­keiten der Vietcong zu reduzieren. Somit ge­riet es in die Landwirtschaft und in die Nah­rungskette, in der es bis heute fortwirkt.
Das Kind lächelt mich lieb an, was mich angesichts seiner Krankheit umso mehr be­rührt. Kriegsinvaliden in meinem Alter werde ich ebenfalls noch zu sehen bekommen, be­sonders im Süden des Landes.
Der Besuch von Ho-Chi-Minh-Gedenk­stätten darf beim Erstbesuch in Hanoi natür­lich nicht fehlen. Obwohl der Kommunisten­führer ausdrücklich kein aufwendiges Grab ge­wünscht hatte, errichtete man für ihn ein gro­ßes, marmornes Mausoleum, ähnlich wie für Lenin in Mos­kau. Zuerst spazieren Thanh, die beiden Damen und ich über den großen Para­deplatz vor dem Mausoleum. Die Wachablö­sung vor dem Grabeingang erfolgt im Stech­schritt und trotz der täglichen vielen Be­sucher wirkt alles sehr weitläufig. Vor dem Bau steht ein wohl 20 Meter hoher Fahnen­mast mit Marmorsockel. Um per Fernbedie­nung ein Gesamtfoto von uns vieren zu ma­chen, stelle ich die Kamera auf den Sockel, werde aber sogleich von einem Wachsoldaten angepfiffen. Wir reihen uns in die Mauso­leumsbesucher ein, die durch ein gut organi­siertes System aus Taschenaufbewahrungsstell­en, Leitzäunen und uniformierten Aufsehern geschleust und kana­lisiert werden. Nicht zuviele auf einmal sollen durch das Gebäude gehen und innen ist natür­lich Fotografier- und Sprechverbot. Der Be­stattungsraum hat die Ausmaße einer halben Sporthalle und seine Dunkelheit wird nur von den Scheinwerfern aufgehellt, die den gläser­nen Sarg anstrahlen. Der rechteckig angelegte Gang führt in respektvollem Abstand um On­kel Ho herum und er wirkt in der Tat so, als sei er erst gestern gestorben und nicht schon vor vierunddreißig Jahren. In Meyers Taschen­lexikon steht allen Ernstes, daß Ho Chi Minh "nach dem Vietnamkrieg", also nach 1975, "die Wiedervereinigung erreichte." Andererseits ist dort sein Todesjahr korrekt mit 1969 ange­geben. Wußte gar nicht, daß Einbalsa­mierung so lebensverlängernd ist ...

Keine Reise ohne Souvenirs und andere Mitbringsel? Sicher, wenn man Sachen sieht, die es in der Heimat nicht oder nicht zu so günstigem Preis gibt, sitzt das Geld schon lo­ckerer. Auch mit Kameras fange ich an, zu liebäugeln. Als ich den Dong-Preis aber in Dollar umrech­ne, lasse ich den Gedanken schnell wieder fallen. Preisunterschiede zu Europa sind bei techni­schen Geräten kaum feststellbar und bezüglich Herstellergarantie und Service dürfte ich dann auch schlechtere Karten haben. Und bei Souvenirs gibt es auch viel Massen­produktionsware, die in Hanoi ge­nau so erhältlich ist wie in Ho Chi Minh-Stadt. Thanh kennt natürlich noch an­dere Ein­kaufsmöglichkeiten, darunter eine Schallplat­tenverkäuferin, die nebenbei Antiquitäten an­bietet. Eine sehr schöne alte, chinesische Holztafel mit Darstellung der vier Jahreszeiten läßt mich hin- und herüberlegen. Neben dem Preis und den Transportproblemen läßt mich aber die Tatsache vom Kauf Abstand nehmen, daß laut einem Merkblatt die Ausfuhr von Antiquitäten verboten ist. Anders ist der Verlauf in einer Kunsthandlung, die wir bei einem Spaziergang, et­was abseits der Touristenpfade, entdecken. Zwei hübsche Tuschezeichnungen sprechen mich sehr an. Sie zeigen, schwarz auf gelbem Grund, Landschaften, wie ich sie um Ninh Binh herum schon gesehen habe. Einen einsamen Fischer, sein Boot über einen schmalen Fluß stakend. Im Hintergrund türmt sich schwarz einer dieser Zuckerhüte auf. Thanh handelt die Preise von zwölf auf sieben Dollar pro Bild herunter. Was er beim Handeln immer für Argumente be­nutzt, kriege ich leider, oder zum Glück, nur selten mit. Einmal, so erzählt er mir, hätte er mich als Studenten hingestellt, der eben nicht so viel Geld hätte. Was ich beim Kauf wohl nicht so bedacht habe, ist die Frage des Transports der Bilder. Sie sind auf zartes gelbes Pergament gemalt, welches an seinem Rand auf eine Papprückwand geklebt ist. An einem meiner Koffer ist eine Vordertasche angebracht, in die die Bilder zwar hineinpassen, die aber nicht hunterpro­zentig knitterfest ist. Leider versäume ich es, Thanh nach einer Sammelmappe zu fragen. Aber an Transportgut wird sowieso noch einiges dazukommen...

Eines Vormittags machen wir uns auf den Weg nach Bat Trang, dem Keramikdorf. Es liegt 13 Kilometer südöstlich von Hanoi und ich bekomme wieder mal viel vom Um­land einer asiatischen Großstadt zu sehen. Zu­nächst geht es über den Song Hong, auf einer Straßen- und Eisenbahnbrücke. Auf einem käuflichen Reisevideo sah ich zuhause eine Dampflok über diese Brücke fahren, aber mei­ne Hoffnung, ein Feuerroß selber sehen und filmen zu können, wird auf dieser Reise uner­füllt bleiben. Laut Internetberichten von Ei­senbahnfreunden ist die Dampfära wohl auch hier zu Ende. Die meiste Zeit fahren wir auf einem unasphaltierten Stra­ßendamm und wenn wir in dichteren Verkehr geraten, empfiehlt Thanh, mir Mund und Nase zuzuhalten. Vietnamreisende, die viel mit dem Rad unterwegs sind, sollten sich meiner Ansicht nach ruhig ein paar Einweg-Staubmasken mitnehmen. Bat Trang selber ist architektonisch keine Attraktion. Hier reiht sich eine Keramikbrennerei an die andere und fast jede hat ein Ladengeschäft vorgebaut. Immerhin lebt das Dorf seit 500 Jahren von diesem Handwerk und die Brennöfen werden größtenteils noch mit Holzkohle beschickt. Die Luft ist entsprechend. Der Käufer kann in einigen Läden den Töpfern bei der Arbeit zusehen. Als Thanh und ich durch die etwas trist wirkenden Gassen fahren, scheint gerade Kundenflaute zu herrschen - es sind fast keine Ausländer zu sehen. Die werden auch meistens in organisierten Bustouren hierhergekarrt. Touristenbusunternehmen sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Ebenso Vermittlungsbüros für Busfahrten. So kann es passieren, daß in demselben Bus Reisende sitzen, die dieselbe Tour zu verschiedenen Preisen gebucht haben.

Wir gehen durch mehrere Geschäfte - in einigen ist die Bedienung sehr freundlich, in an­deren etwas unmotiviert. Auffallend ist bei allen die Unaufdringlichkeit. Vielleicht sehen sich die Töpfer und ihre Familien mehr als Handwerker denn als Verkäufer. Vielleicht liegt es auch daran, daß ich in Begleitung eines Einheimischen bin, der meine Sprache spricht. Aber sicher hat ein Händler, der selbstgefer­tigte Waren verkauft, noch dazu in langer Fa­milientradition, nicht solch eine Wucherer­mentalität, wie sie in Touristenregionen anzu­treffen ist. Nach eini­gem hin und her entschei­de ich mich für ein nettes kleines Teeservice. Es besteht aus einem faustgroßen Kännchen mit 6 Tassen, welche die hier übliche, henkel­lose Fingerhutform haben. Die Tassen sind je­weils etwas größer als ein Schnapsglas. Das Kännchen hat noch einen Porzel­lan-Unterset­zer, das, wie alle Gegenstände, meergrüne Landschaftsmotive auf weißem Grund zeigt. Besonders hübsch ist das runde, keramische Serviertablett. Es zeigt einen hohen Felsvor­sprung mit einsamem Häuschen drauf. Die ostasiatische Malerei zeigt ja oft winzige, in weiter Landschaft verlorene Menschengestalten. Hier spiegelt sich wohl die taoistische Metaphysik wieder, die den Menschen weniger als Individuum denn als Teil des riesigen Kosmos versteht. Während die abendländische Kunst die Individualität stark betont.
Die Rückfahrt geht über denselben stau­bigen, ungepflasterten Damm. Überall saftige Wiesen und Felder. Dazwischen Dörfer, deren Häuser zum Teil recht renoviert und gepflegt wirken. Auch Parteigebäude, die mit Spruch­bändern behangen sind, gehören dazu. Aber das Ausmaß öffentlicher Propaganda ist hier nicht so groß, wie ich es noch von der frühe­ren DDR in Erinnerung habe. Porträts der ak­tuellen Staats- und Regierungsoberhäupter nehme ich auf der ganzen Reise nicht wahr. Unsere Fahrt wird plötzlich durch ein klap­perndes Geräusch un­terbrochen. Ähnlich wie bei einem Fahrrad, bei dem die Kette reißt. Dies ist jetzt auch der Fall und wir haben eine unfreiwillige Pause. Thanh untersucht den Schaden und ich hole mein Schweizer Offi­ziersmesser mit 23 Werkzeugen hervor - in der vergeblichen Hoffnung, es könnte uns weiterhelfen. Oha, was machen wir jetzt? Die restlichen 8 Kilometer bis Hanoi schieben? Wo ist denn die nächste Honda-Servicestati­on? Wie sollen wir ohne Handy den Ab­schleppdienst rufen? Aber bald merke ich, daß ich mir von der hiesigen Infrastruktur ganz fal­sche Vorstellungen mache. Weil das Fahr­tempo auf Landstraßen vergleichsweise ge­mächlich ist kann Thanh bald jemanden anhal­ten und ihn nach der nächsten Werkstatt fra­gen. Und diese ist nur einige hundert Meter entfernt. Nachdem wir das Fahrzeug vorsich­tig den Damm hinunter­rollen lassen haben, er­wartet uns im Dorf eine adrette junge Mecha­nikerin. Ich setze mich auf einen Kinderho­cker unter dem Vordach der Werkstatt und beobachte den Dienstleistungsge­werbealltag. Die Monteurin trägt einen weißen Hut und Damensandalen. Darin bewegt sie sich so elegant, als wolle sie am Hoan Kiem bummeln gehen, anstatt Mopeds zu reparieren. Trotz­dem packt sie routiniert ölverschmierte Motorenteile an und macht mit einer anderen Maschi­ne eine kurze Probefahrt. Selbst dabei scheint sie um eine aufrechte, damenhafte Haltung be­müht zu sein. Als sie mich wahrnimmt, tauschen wir ein Lächeln aus und sie fängt sogleich eine Unterhaltung mit Thanh an. Später übersetzt er mir: "Wo kommt der her? Hat der eine Freundin? (Wow, will sie wissen, ob ich zu haben bin?) Wie alt ist er? Machst du Scherze? Der ist doch noch keine dreißig. Siebenundzwanzig vielleicht..." Nach etwa zehn Minuten konnte Thanh das Mädchen zwar nicht von meinem wahren Alter überzeugen, aber sie hat das Moped flottgekriegt. Nach weiteren Kilometern auf dem Damm mit gelegentlichem Mund- und Nasezuhalten reinigen wir uns in meinem Hotelzimmer erstmal vom Straßenstaub.

Die nächsten Tage in Hanoi verbringen wir mit Einkaufsbummel, netten Mahlzeiten bei Hang und Museumsbesuchen. Viele vietnamesische Museen sind über Mittag geschlossen, so, daß man bei nicht vorausschauender Planung manchmal zur Zweiteilung einer Besichtigung gezwungen ist. In einem Militärmuseum sitzen wir in einem großen Parkett vor einem Diorama, das mit Kommentaren und Lichteffekten den Ablauf der Schlacht bei Dien Bien Phu zeigt. Hier wurden 1954 die Franzosen nach monatelanger Belagerung besiegt, was den ersten Indochinakrieg beendete. Und das pompöse Ho Chi Minh-Museum erinnert in seinen Ausmaßen an das Internationale Congress Centrum in Berlin. Die Größe steht aber in keiner Relation zur Anzahl und zum Umfang der Ausstellungsgegenstände. Aber es ist eben auch eine Kultstätte wie das Wohnhaus des Staatsgründers, welcher sich als ein schlicht-eleganter kleiner Bungalow präsentiert. Auch diesen besichtigen wir; genauer gesagt wir umgehen ihn entlang des Außenbalkons, von dem aus alle Räume gut einsehbar sind.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Bericht über eine vierwöchige Alleinreise durch Vietnam von Nord nach Süd. Die Reise begann in Hanoi mit einem Besuch bei Verwandten einer Vietnamesin, die in unserem Familienbetrieb in Deutschland arbeitet.
Details:
Aufbruch: 22.11.2002
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 19.12.2002
Reiseziele: Vietnam
Der Autor
 
Christian Böttcher berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.
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