Phnom Penh

Reisezeit: Februar / März 2003  |  von Martin Gädeke

KAMBODSCHA: Phnom Penh, Chaos City

Per Boot soll's weitergehen, Richtung Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas. Ich entscheide mich für diese im Vergleich zur Busfahrt reichlich teure Alternative (22 $ fürs Boot im Gegensatz zu 6 $ per Bus), da die Gegend toll sein soll und der See kaum Schlaglöcher und auch nur wenige Landminen hat.

In der Umgebung des Sees, der ständig seine Größe ändert, ist schwimmende Fortbewegung gefragt ...

In der Umgebung des Sees, der ständig seine Größe ändert, ist schwimmende Fortbewegung gefragt ...

... was auch die Wohngewohnheiten der Leute betrifft.

... was auch die Wohngewohnheiten der Leute betrifft.

Geographisches:

Kambodscha ist ein zumindest zu großen Teilen sehr wasser- und fischreiches Land. Zwischen Angkor und Phnom Penh spannt sich auf 150 Kilometern Länge der Tonlé Sap-See auf, der seine Größe jedoch über das Jahr hin drastisch ändert und zur Regenzeit große Flächen mit fruchtbarem Schlamm überschwemmt. Der See selbst ist mit Phnom Penh über einen 100 km langen Abfluss verbunden, der in der Hauptstadt mit dem Mekong zusammenfließt. Jedes Jahr im Mai, während der Regenzeit, wenn der Pegel des Mekong drastisch angestiegen ist, dreht sich die Flussrichtung dieser Verbindung und Unmengen Wasser aus dem Mekong strömen in den See. Der Fischreichtum ist angeblich von biblischem Ausmaß und wirklich: Während der gesamten Fahrt springen uns regelmäßig 150-kg-Karpfen ins Boot.

Phnom Penh ist eigentlich nicht besonders groß. Mit nur einer Million Einwohnern ist es recht einfach, sich in kürzester Zeit zurechtzufinden. Die Stadt wird von einigen wenigen Hauptstraßen durchzogen, denen zu folgen eigentlich kein Problem darstellen würde. Wäre da nicht auch noch der Verkehr: "Anarchie" ist ein Wort, das der Situation nicht gerecht wird.
Hinsichtlich des Verkehrschaos sind Städte wie Bangkok oder Kairo im Vergleich zu Phnom Penh reine Waisenkinder. Hier gibt es keine Regeln und was viel schlimmer ist: Ich habe sie auch nicht verstanden.

Man stelle sich vor, diese Menschen schauen alle nur nach vorn, egal in welche Richtung sie fahren ...

Man stelle sich vor, diese Menschen schauen alle nur nach vorn, egal in welche Richtung sie fahren ...

Verkehrs-Chaos:

Zur Rush-Hour sind die Hauptverkehrsadern in beiden Fahrtrichtungen größtenteils so voll mit Motorrollern, dass kaum mehr Platz für ein weiteres Vehikel zu sein scheint. Und während der Verkehr mit 30 km/h halbwegs zügig fließt, sind alle Fahrer, die geradeaus fahren wollen auch eifrig bemüht, bloß keine Kurven und Schlenker zu fahren, um nicht mit anderen Fahrern zu kollidieren. Trotz teilweise nur Zentimetern Seitenabstand ist also auf der Straße alles friedlich und nett. Und zwar so lange, bis sich einer der Fahrer entschließt, abzubiegen (oder stehen zu bleiben!), und das auch gnadenlos durchzieht, und zwar ohne jeglichen Seitenblick. Das ist dann Chaos pur, wird aber nur mit vereinzeltem Hupen quittiert, denn das ist ja noch harmlos.
Genau wie der 10 km/h schnelle Rikscha-Fahrradfahrer, der die Straße gerne einmal in seinem Leben kreuzen will und ohne zu gucken einfach drüberfährt, egal wie dicht der Verkehr ist.
Bis hierher ist das so ungefähr die Grundsituation, ohnehin praktisch Dauerzustand. Man stelle sich nun aber vor, man fährt einen Pick-up-Truck mit einem Grundgewicht vergleichbar dem von 15 Motorrollern und einer Grundgeschwindigkeit von 30 km/h. Und man muss DRINGEND über die doppelt durchgezogene Linie auf die andere Straßenseite, weil man an der letzten Ampel die Abzweigung verpasst hat. Also brav den Blinker setzen, eine halbe Sekunde warten und dann schwungvoll das Lenkrad rumreißen und rein in den gegenläufigen Strom von heranbrandenden Motorrradrollern. Das sieht dann so ein bisschen aus wie Obelix, wenn er in eine Kohorte Römer reinfährt, ist aber nicht so lustig.
Die spinnen, die Kambodschaner.

Das Ganze sieht dann ungefähr so aus.
Meine Fahrtrichtung wird durch den sandfarbenen Pfeil dargestellt.

Das Ganze sieht dann ungefähr so aus.
Meine Fahrtrichtung wird durch den sandfarbenen Pfeil dargestellt.

Die Normbeladung eines Motorrollers sind hier 3 Personen.

Die Normbeladung eines Motorrollers sind hier 3 Personen.

Richtig viel zu sehen gibt es nicht gerade in Phnom Penh. Das mag mit der Vorgehensweise Pol Pots und seiner Roten Khmer zusammenhängen, die 1975 innerhalb von 2 Wochen fast 2 Millionen Menschen aus Phnom Penh aufs Land vertrieben und die Stadt damit auf nur 50.000 Einwohner dezimiert haben. Dank Pol Pot gibt es aber immerhin 2 "Sehenswürdigkeiten", die man besichtigen sollte:
Die "Killing Fields" im Süden der Stadt und das Tuol-Sleng-Museum, beide Mahnmale des kambodschanischen Völkermords.

Das Tuol-Sleng-Folter-und-Tod-Museum:
Die ehemalige Tuol-Sleng-Schule wurde unter Pol Pot überflüssig, denn Bildung ist gefährlich und ein dummes Volk lässt sich einfacher unterdrücken (vergleiche hierzu Hitlers Vorgehen in Polen). Außerdem sollte ja ein Bauernstaat gegründet werden, wozu also Schulen?
Darum wurde diese Schule kurzerhand in eines von vielen Internierungslagern umfunktioniert, gelegen inmitten einer fast ausgestorbenen Stadt. Die einzige Aufgabe dieser Einrichtung war die Internierung, Folter und Freigabe zur "Zerstörung" von Verdächtigen, sprich Intellektuellen, Journalisten, subversiven Elementen und praktisch allen Familienangehörigen dieser Opfer. JEDER der hierher kam, wurde gefoltert - alles in allem 17.000 Menschen (von den insgesamt über 2 Millionen im ganzen Land).

Hinter einem der 4 Hauptgebäude des Folter-und-Tod-Museums geht das Leben weiter, man spielt Volleyball.

Hinter einem der 4 Hauptgebäude des Folter-und-Tod-Museums geht das Leben weiter, man spielt Volleyball.

Die Killing Fields:
Nach der Folter und dem zwangsläufigen Geständnis wurden die Leute ins zugehörige Vernichtungszentrum Ching Ek, südlich von Phnom Penh, gebracht. Dort wurden ihnen die Augen verbunden, anschließend wurden sie von hinten erschlagen und direkt in eins der Massengräber befördert. Im Massengrab stand ein Henkersgehilfe und durchtrennte den Sterbenden die Gurgel.
Kinder wurden auf andere Art getötet: Sie wurden gegen einen großen Baum geschlagen, der dort heute noch steht.
Die Massengräber wurden in den Jahren nach 1980 geöffnet und die Schädel der 17.000 Opfer in einem Denkmal aufgetürmt. Die Gruben der Massengräber sind noch heute zu sehen, erschreckenderweise mit noch halb eingegrabenen Kleidungsfetzen.

Das Mahnmal beherbergt die 17.000 Schädel der Opfer von Tuol Sleng, geordnet nach Alter und Herkunft. Auch ein paar westliche Journalisten sind darunter.

Das Mahnmal beherbergt die 17.000 Schädel der Opfer von Tuol Sleng, geordnet nach Alter und Herkunft. Auch ein paar westliche Journalisten sind darunter.

Zerfetzte Kühe?

5 Kilometer von den entsetzlichen Killing Fields entfernt befindet sich eine Attraktion der anderen Art, wiederum ein Auswuchs des extremen Kambodscha: die Artillerie Range.
Um sich von den gerade gemachten Erfahrungen und dem Gedanken an 2.000.000 Tote zu befreien, kann man hier ein bisschen rumballern. Nur aus Neugierde und ohne die Absicht zu schießen statten wir diesem Ort einen Besuch ab.
Da ich zu geizig bin, 5 Dollar für die Fotoerlaubnis zu bezahlen, gibt's hier nur eine verbale Beschreibung der Möglichkeiten:

  • AK 47, Maschinengewehr, 30 Schuss: 20 Dollar

  • Raketenwerfer, 1 Schuss: 50 Dollar

  • Handgranate, 30 Dollar

Und jetzt wird's erst richtig interessant:

  • ein Hühnchen, lebendig: 10 Dollar

  • eine Kuh, lebendig: 100 Dollar

Und da wir so kranke Psychopathen sind, haben wir natürlich gleich mal alles ausprobiert, alle Kombinationen von Waffen und lebenden Tieren und sehr viel gelacht dabei und dumme Witze über die 2.000.000 toten Kambodschaner gemacht. NEIN, NATÜRLICH NICHT!!!
Aber es ist definitiv interessant, dies alles mal gesehen zu haben. Die Tatsache, dass einige dieser teils sehr alten Waffen vermutlich auch mal eingesetzt wurden, gibt dem Ganzen einen sehr realistischen Anstrich. Kranke Welt.

Vogelhändler beim Rauchen vor einem Tempel in Phnom Phen:
Der Käufer lässt den Vogel meist sofort frei, um Pluspunkte fürs nächste Leben zu sammeln.

Vogelhändler beim Rauchen vor einem Tempel in Phnom Phen:
Der Käufer lässt den Vogel meist sofort frei, um Pluspunkte fürs nächste Leben zu sammeln.

Am selben Abend lerne ich eine Frau kennen, die 8 Kinder hatte und 2 Männer. 5 ihrer Kinder und ihr erster Ehemann wurden unter Pol Pot ermordet. Da fragt man sich doch wirklich, ob die Menschheit nicht vielleicht irgendwann mal, möglicherweise, wenn's denn unbedingt sein muss, irgendwas lernt.
Beim Vergleich mit deutschen KZs fällt mir dazu lapidarerweise nur der in Südostasien überall gebräuchliche Ausdruck "Same-same, but different" ein.

Per Motorrad unterwegs im Umland von Phnom Penh trifft man die nettesten Leute

Per Motorrad unterwegs im Umland von Phnom Penh trifft man die nettesten Leute

© Martin Gädeke, 2003
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nachdem offenbar vor wenigen Stunden die thailändische Botschaft in Kambodscha abgebrannt ist - offenbar nicht ohne Fremdeinwirkung - stehe ich nun vor dem Scherbenhaufen meiner hochtrabenden Kambodscha-Pläne. Sicher scheint im Augenblick nur die Landung in Bangkok - die Frage nach dem "Wohin" wird sich dann wohl dort lösen.
Details:
Aufbruch: 08.02.2003
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 23.03.2003
Reiseziele: Katar
Thailand
Kambodscha
Phnom Penh
Laos
Kambodscha-Packliste
Der Autor
 
Martin Gädeke hat www.umdiewelt.de vor über 23 Jahren gegründet, ist aber nur einer von tausenden Aut­oren - und bei Weitem nicht der Aktivste. Dafür ist er für alles andere auf der Seite zuständig und immer für Dich erreichbar!
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