Bootsüberführung von Holland nach Portugal

Reisezeit: Juni / Juli 1996  |  von Manfred Sürig

Der Eigner Horst möchte einhand über den Atlantik. Aber dazu muß das Boot erst in die richtige Startposition gebracht werden, nämlich nach Gran Canaria, wo er im Januar 1997 starten will. Für uns eine Herausforderung, den ersten Abschnitt mit dem KNURRHAHN, einer ETAP 28, soweit zu segeln, wie wir nach Süden kommen können.

Vorbereitungen und Mannschaftssuche

Vorbereitungen

Ein Boot von der Größe einer ETAP 28, also 28 Fuß lang, 3 Meter breit und etwa 3 Tonnen schwer von der Nordsee nach Südportugal zu überführen, scheint kein allzu attraktives Angebot an gestandene Segler zu sein. Lange Zeit jedenfalls war es offen, ob ich die Fahrt nicht gar einhand würde antreten müssen - mit entsprechendem Aufwand an Zeit, die gebraucht würde, um unterwegs auch mal zu schlafen, schlechtem Wetter aus dem Wege zu gehen und um Tidenströme optimal auszunutzen.
Mehr als vier Wochen standen für die Überführung in keinem Falle zur Verfügung - auch der längste Urlaub ist einmal zuende.

Doch rechtzeitig zu Saisonbeginn stand doch noch eine Mannschaft fest. Und die war nicht etwa eine Notlösung:
Dr. Jörn Pfeifer, an der Weser aufgewachsen und seit dem sechzehnten Lebensjahr mit dem Segeln in Tidegewässern vertraut, inzwischen fast 60 und Jürgen Frappier, seit Jahrzehnten ebenfalls auf der Weser und der Nordsee mit eigenem Boot unterwegs, ebenfalls fast 60 Jahre alt und ich, seit 1953 Bootseigner und bis 1987 ständig im Watt und auf der Nordsee. Den Überführungszeitraum konnten wir uns aussuchen, unter Zeitdruck würden wir uns nicht setzen lassen, dennoch hatten wir den Ehrgeiz, nicht nur die Überführung innerhalb der geplanten Zeit erfolgreich hinter uns zu bringen, sondern die Fahrt auch zu genießen. Immerhin würde sie uns in Reviere führen, die wir noch nie befahren hatten und die zu weit entfernt liegen, um sie in einem Urlaub hin- und zurück zu erkunden.
Das Arbeiten am Boot an Land am 20./21. April bei hochsommerlichen Temperaturen weckte dann auch die erste Vorfreude. Windgenerator montieren, Unterwasserschiff reinigen und streichen, Elektrik durchchecken, doppeltes Vorstag montieren und - Checklisten schreiben, an was noch zu denken ist, waren ernsthafte Zeichen intensiver Urlaubsvorbereitung.

Zweimal mußte ich dann noch einmal nach Holland fahren, um die Checklisten abzuarbeiten und Proviant an Bord zu bringen. Schließlich wollte ich keinen Hafen nur deswegen anlaufen müssen, weil Proviant oder gar Bier an Bord fehlte.
Horst Schröer, der Haupteigner, mußte sogar noch dreimal nach Holland, einmal allerdings, um uns den Start in Salzwasser zu ermöglichen. Von Amsterdam an wollte ich ihn dabei begleiten, aber daraus wurde nur zum Teil was.
Denn in der Nacht vorher (vom 7. auf den 8.Juni 1996) wurde ins volle Auto eingebrochen, bevor wir ins Boot eingeräumt hatten. Mit der Schadensbegrenzung und -feststellung war ich den ganzen Vormittag beschäftigt, so daß Horst mit Freundin Heide allein nach Ijmuiden fahren mußte.
Aber von dort an wollte ich dabei sein, allein schon, um der unerträglichen Hitze an Land ausweichen zu können.

In Ijmuiden konnten wir dann auch tatsächlich am 8.6.1996 um 15 Uhr auslaufen. Die Hitze war wie weggeblasen, statt dessen kam Nebel auf und die Temperatur stürzte auf 11 Grad ab. Aber wenigstens ein lauer Nordwestwind und mitlaufender Tidestrom nach Süden - was will man mehr, um wenigstens bis Scheveningen zu kommen!
Unterwegs konnte ich mich an das Geräusch des Windgenerators gewöhnen und staunen, wie er die Batterie schneller füllen konnte als AP und GPS und Elektro"nigger" sie leerlutschen konnten.
Obwohl uns die letzte Stunde ein strammer (Flut ?-) Strom entgegenlief, waren wir schon um 21 Uhr in Scheveningen fest - Rekordzeit. Und das, obwohl der Kahn sehr ungünstig getrimmt war: Drei Personen hinten im Cockpit auf Backskisten, die bis oben voller Proviant waren. Im glatten Hafenwasser sah man die Wasserlinie achtern gar nicht, aber am Steven gut 20 cm über dem Wasser. Das Auspuffrohr hinten weit unter Wasser, was bei laufendem Motor sich gar nicht gut anhörte.

Hier sollte das Boot bis zu unserem Start noch eine Woche liegen bleiben. Der Hafenmeister verlangte Vorauszahlung fürs Hafengeld, 161 NLG, die 7 Quittungen sollten wir deutlich sichtbar am Vorstag anbringen. Erst später fiel mir ein, daß nun jeder Einbrecher schon von außen erkennen konnte, wie lange das Boot ohne Besatzung dort liegen würde. Die vielen Einbruchspuren an den Türen der Hafenbetriebe und die schlechten Erfahrungen beim Parken in Amsterdam bescherten mir daraufhin 5 Tage Trauma: Was machen wir, wenn wir am Freitagabend das Boot aufgebrochen und leergeräumt vorfinden ? So komplett ausgerüstet war das Boot bisher noch nie gewesen.
Gott sei Dank, am Freitagabend, dem 14. Juni 1996 ist noch alles heil. Ich gönne mir zur Begrüßung ein Pilsner Urquell - Sekt hätte es eigentlich sein müssen!
Horst kommt kurze Zeit später und findet alles wie selbstverständlich vor. Der nächste Vormittag beschäftigt uns noch voll mit Stauen, Ausräumen, Einräumen, Batterietests usw., aber um 14 Uhr sind wir fertig und die Mannschaft könnte eigentlich kommen. Banges Warten bis 18 Uhr, dann ist sie endlich da.

Start - gleich mit non-stop-Segeln

Fix geht es an Bord, Abendessen wird gestrichen und um 20.30 Uhr laufen wir aus. Horst kann gar nicht so schnell mit der Kamera hinter uns herlaufen wie wir raumschots bei NNO 4 bis 5 aus dem Hafen herausrauschen. Wetter vom Feinsten: wolkenlos, Wind von achtern, Strömung mit uns, nur an die Dünung müssen wir uns gewöhnen.

Um 22 Uhr ist Hoek van Holland querab. Trotz genauester neuer Seekarten und GPS-Position kommen uns Zweifel über die Wassertiefen, wenn wir durch Stromgrenzen fahren, an denen Kabbelwasser steht. Dabei baue ich eine Patenthalse, bei der Jürgen, als er vom Kotzen aufsteht, prompt den Baum an den Kopf bekommt. Er legt sich in die Koje und wir beschließen, ihn von der Nachtwache zu befreien.
Bei so schönem Wind muß sich doch mit der Windsteueranlage steuern lassen. Ich klemme das Windruder ein und kurbele die schmale Kante genau in den Wind, bis das Wasserruder meistens senkrecht runter hängt und nur etwas pendelt. Der Wind stimmt so, aber das ist nicht der Kurs, den das Boot fahren soll. Also etwas am Windruder kurbeln - fein, das Boot ändert den Kurs. Aber nicht in die gewünschte Richtung. Also Gegenkurbeln. Geht. Aber da gibt es schon wieder eine Halse. Und der Kurs stimmt wieder nicht. Damit bin den Rest der Wache gut beschäftigt, bis ich feststelle, daß das Windruder gelegentlich an einen Befestigungswant des Windgenerators schlägt. Ich klappe das Windruder weiter nach hinten, aber bei der nächsten Kursänderung schlägt die andere Seite des Windruders dagegen. Inzwischen flaut der Wind auch ab, Zeit also, aufzugeben, den Motor anzustellen und uns dem "Elektronigger" anzuvertrauen.

Damit läßt sich prima Kurs halten und die Geschwindigkeit ist auch konstant: 4,6 Knoten bei Stillwasser und etwa zwei Drittel Gas. So hangeln wir uns von Wegepunkt zu Wegepunkt und können schon ungefähr vorausberechnen, daß wir am Sonntagabend bei Calais sein könnten. Die Abwechslung liefert die kenternde Tide: Mal 2,3 Knoten, dann 6,5 Knoten, die Hochrechnungen auf die ferneren Zielpunkte schwanken um Tage.
Calais haben wir vor der vorausberechneten Zeit querab, aber dann brauchen wir 3 Stunden, bis wir eine Leuchttonne voraus passieren können, die wir schon stundenlang sehen. Im Kielwasser wandert sie anschließend seitlich aus und der GPS liefert verrückte Sollkurse - kein Wunder bei 0,3 Knoten über Grund. Inzwischen hat Jürgen einen BBC-Wetterbericht eingefangen, der weiterhin Flaute verheißt. Das Barometer gibt auch nichts her: es steht noch genauso wie in Scheveningen.
Nur der Spritvorrat nimmt ab.
Das Nachfüllen allerdings bringt uns zum Staunen: Eben über einen Liter pro Stunde haben wir nur verbraucht. Nun rechnen wir hoch: Wie weit reicht denn unser Sprit überhaupt ? Cherbourg könnten wir am Dienstagabend erreichen, aber bitte unbedingt bevor der Strom kentert, denn für weitere 6 Stunden Motoren kann der Diesel knapp werden.

davon.

© Manfred Sürig, 2010
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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: 18.06.1996
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 14.07.1996
Reiseziele: Niederlande
Frankreich
Spanien
Portugal
Marokko
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.