Bootsüberführung von Holland nach Portugal

Reisezeit: Juni / Juli 1996  |  von Manfred Sürig

Irgendwo das Boot liegen lassen-aber wo ?

Endlich die richtige Brise !

Dazu wolkenloser Himmel und gestochen scharfe Sicht, da kann es nur ein Ziel geben: Rundung von Cabo Sao Vicente, der Südwestnase Europas. Die Steuerung überlassen wir dem Elektronigger, der ja vom Windgenerator überreichlich mit Strom versorgt wird, und nun können wir wieder die Hochrechnungen machen, aber auf der Basis von 6,5 Knoten! Lagos wäre um 4 Uhr morgens erreichbar, aber gegen 1 Uhr könnten wir hinter dem Kap ankern.
Unterwegs überholen uns einige große Yachten und ein kleines Boot mit drei jungen Leuten, die jede Dünungswelle von 23 Meter Abstand von Hand aussteuern und dabei ihr Spinnaker leicht anziehen oder freigeben.
Später in Lagos treffen sie uns wieder und teilen uns stolz mit, dasssie die Regatta von Lissabon nach Lagos gewonnen haben. Hinter Sagres ist der portugiesische Norder schon wieder weg. Nach einer Nacht vor Anker müssen wir uns mit wechselnden Winden und sogar Regenschauern abfinden, aber dazwischen brennt die Sonne.

In Lagos klarieren wir in der Marina ein, als wären wir die Gorch Fock: Das Fax ist da, man kennt unsere Namen und kann alles nur Erdenkliche in den Computer tippen. Danach wird eine Brücke für uns geöffnet und wir legen uns auf Platz 43, wie von der Rezeption festgelegt. Marina-Luxus vom Feinsten, alles mit einer Sesam-öffne-Dich Chipkarte für Marinagäste zugänglich, da ist nicht nur Duschen, sondern auch gleich Wäschwaschen angesagt.

Im Hafen haben wir sogar strammen Wind, so daß alles schnell trocknet.
Jürgen hat wieder Spendierhosen an und lädt uns zu einem Muschelessen ein, dessen Qualität hinreichend, dessen Quantität bei der Verfressenheit der Mannschaft den Ansprüchen aber nicht genügt, trotz Unmengen Zutaten an Knoblauch. Leute, Muscheln sind eine Delikatesse! Das sieht man auch am Preis.

Abends genießen wir an Bord einen Linseneintopf urdeutsch, von dem erstmals etwas übrig bleibt.

Die Mannschaft drängt es weiter zum Ziel. Das bisschen Wind am Montag reicht zum Segeln gerade noch bis Quarteira querab, dann muss es wieder der Motor machen.
Spiegelglatt ist die See, vor Faro beäugen wir die Barre, auf der ich 1978 mit Dr. von Taube verunglückt bin, bei Niedrigwasser sieht alles jetzt ganz harmlos aus.
Von Cabo de Santa Maria aus setzen wir Kurs auf Monte Gordo/Rio Guadiana ab.
Die Hochrechnung sagt aber schon, dass wir erst nach Hochwasser dort sein können. Also können wir ja auch vor Anker eine Nacht auf offener See vor Cacela zubringen, zumal ein Bad endlich mal ein Genuss werden könnte.
Wir ankern auf gut 4 Metern Wasser, ich schwimme 300 m an Land und zurück und entdecke dort eine absolut einsame und verlassene, wilde Halbinsel, hinter der wir Ostern 1976 unser Zelt aufgeschlagen hatten. Da werden wir morgen früh bei Tageslicht noch einmal hinschwimmen!

Gegen 23 Uhr kommt ein leister Zug aus Südost auf, der gerade ausreicht, das Boot mit dem Steven gegen "Wind" zu legen, eine Gelegenheit, noch einmal zuverlässig die Wassertiefe zu loten. Als wir eine halbe Stunde in der Koje liegen, kommt ein Schwell auf, als tobe draußen ein Gewitter, und weil der Wind zu schwach ist, das Boot in Richtung zu halten, legen wir uns quer zum Schwell. Erinnerungen an die Isle of Wight werden wach, nur hören wir jetzt, scheinbar dicht neben dem Boot, die Brandung auf den Strand brechen. Dazu quäkt unser Ankeralarm dauernd, weil wir den Abdriftradius zu eng eingestellt haben, aber das beruhigt uns immer erst nach dem Loten. An Schlaf ist nicht zu denken, aber bei Neumond gegen den Ebbstrom oder bei Niedrigwasser über die Guadianabarre zu fahren, ist bei diesen Wellen keine Alternative.

Um 7.30 Uhr wird es hell, nichts wie weg hier, mangels Wind wieder unter Motor. Obwohl Vila Real de Santo Antonio nur 6 Meilen Luftlinie von unserem Ankerplatz liegt, müssen wir einen Riesenbogen um die Barre fahren und sind erst gegen 10 Uhr im Hafen von Vila Real de Santo Antonio/Guadiana, unserem Ziel.
Der Empfang im Clube Naval ist abweisend wie noch nie. Nicht einmal vorübergehend festmachen dürfen wir an einer freien Box.
Meine Erkundigungen ergeben, daß Senhor Caldeira, der uns 1972 und 1976 so freundlich empfangen und weitergeholfen hatte, seit 1985 verstorben ist. Platz für das Boot hat man nicht, schon gar nicht für 2 Monate.

Als ich aus dem Ort schwer bepackt mit Gemüse und 4 Liter Eis zurückkomme, liegen Jörns und Jürgens Seesäcke schon aufbruchfertig an Deck. "Mal sehen, wie wir von Ayamonte nach Sevilla kommen, um dort einen Zug nach Frankreich zu bekommen." Wir tuckern nach Ayamonte auf die andere Seite des Guadiana.
Im dortigen Hafen gibt es einen Club Nautico, aber alles, auch die an Murings liegenden Boote, sind mit dicken Schlössern zu- und festgeschlossen. Herrscht hier Chaos oder die Mafia ?
Vom Steg kommen wir nur, weil uns jemand, der einen Schlüssel hat, an Land läßt.
Hier werden wir die KNURRHAHN sicher nicht liegen lassen.

Was aber heißt hier wir ?

Die beiden haben es eilig, wegzukommen, um 15.45 Uhr fährt ein Bus nach Sevilla. Also dann, gemeinsames Essen einer Abschiedsmelone und weg über den Steg; und ich habe nun sehr viel Platz an Bord.
Nur um mir gegen die Hitze Fahrtwind zu verschaffen, motore ich in den Guadiana.
Noch fließt guter Ebbstrom, aber höchstens noch eine Stunde.

Man müßte bei Nipptide doch eigentlich auch bei Niedrigwasser über die Barre kommen, zumal wir heute morgen bei der Einsteuerung mindestens 4 Meter Wasser hatten und ich an allen Kursänderungspunkten im GPS die Positionen markiert hatte.
So kann ich jetzt ganz einfach einen programmierten Rückweg antreten.
Bei dem wird es kurze Zeit etwas ruppig, aber dann hat mich der Atlantik wieder, leichte Brise aus Südsüdwest, idealer Raumschotskurs Richtung Spanien. Ziel: Die Mündung des Rio de las Piedras. Dort, so hatte ich in Jörns Hafenhandbuch gelesen, soll es eine Werft unter deutscher Leitung geben mit Muringtonnen auf ausreichender Wassertiefe im Schutz einer 3 Seemeilen langen Nehrung.

Die letzte Seekarte zeigt am rechten Rand gerade noch El Rompido und den Leuchtturm oberhalb der Werft, aber die Flußansteuerung liegt hinterm Rand. Da fällt mir mit Schrecken ein, daß Jörn sein Hafenhandbuch mit Ansteuerungsskizze im Gepäck hat. Die Jungs sind jetzt bei 35 Grad und mehr im Bus nach Sevilla - noch geht es mir hier draußen besser. Nun hilft nur noch Daumenpeil- und Echolotnavigation.

Gegen 19 Uhr erkenne ich die Nehrung, die in einen schier endlosen Brandungstreifen ausläuft, durch den gelegentlich Fischerboote mit 70 PS-Außenbordmotoren preschen. Die Grundseen werden spürbarer und ab und zu sehe ich im klaren Wasser die Sandriffelungen auf dem Grund, aber das Ufer ist noch gut 1,5 Meilen entfernt.
Und da soll ich durch ? Ich schlüpfe zum Kartentisch, um das Echolot abzulesen, es schwankt zwischen 2,60 und 4 Metern, aber ich habe gar nicht so viel Zeit, unter Deck zu bleiben. Einen vorbeifahrenden Fischer frage ich nach dem Weg. Er zeigt nach Huelva und sagt etwas, was ich nicht verstehe.

Nur hier darf ich nicht näher ans Ufer.
Man muß aber reinkommen können, denn hinter der Nehrung segelt ein Boot, das größer ist als eine Schwertjolle.
Endlich entdecke ich fast 5 Meilen östlich vom Leuchtturm El Rompido eine Ansteuerungstonne, die aber anscheinend hinter dem Brandungsgürtel ganz dicht unter Land liegt.
Ich fahre unter Segel mit mitlaufendem Motor parallel zur Küste, bis ich die Tonne klar ausmachen kann, ohne Brandung davor.
Aber spitze Grundseen gibt es genug. Und tatsächlich, hier kommt man rein und gegen die Sonne sehe ich einige weitere Tonnen, höchstens 100 m vom Ufer, aber hinter der Brandung.
Immer höher anliegend stampfe ich durch die Seen hinein, zeitweise 30 Meter an Steuerbord baden die Kinder mit dem Wasser bis zum Bauch und 50 Meter an BB läuft sich die Brandung tot, zunächst gegen Strom, dann plötzlich, als der Schwell nachläßt, schiebt mich ein kräftiger Flutstrom auf 6,5 Knoten am GPS.
Geschafft!
Der Rest ist Sonntagssegeln stromaufwärts gegen die sinkende Sonne bis zur Werft, die genau der Beschreibung im Hafenhandbuch entspricht.
Hier läßt sichs gut liegen, erfahre ich von einem Rentner, der mit seinem Boot aus Wischhafen hierhergekommen ist und inzwischen jede Ecke hier und den Werftbesitzer der VARADERO LAS PIEDRAS, S.A., Herrn Michalsky kennt. Die erste Nacht liege ich vor Anker, und nicht einmal das Klappern der Kabel im Mast ist zu hören.
Das Weitere läßt sich an den Tagen danach zufriedenstellend regeln. Die Bootsreinigung dauert dreimal so lange wie vorgesehen, weil ich allein bin. Und weil ich den Ehrgeiz habe, eine Stauordnung zu entwickeln, bei der die volle Wasserlinie von außen zu sehen ist.
Das gelingt mir am Ende, aber Horst wird etwas dagegen haben, daß nun sämtliche Klamotten in der Stevenspitze, ein Anker zwischen den Vorstagen und der andere samt Kette im Ankerkasten liegen und die Backskisten fast leer sind. KNURRHAHN geht für 2 Monate für 30 000 Ptas an eine Muring der Werft.
Diebstähle sind hier angeblich in den letzten zehn Jahren nicht vorgekommen, im übrigen hat der Werftbesitzer aus seinem Wohnzimmer heraus den Blick auf das Muringtonnenfeld seiner Kunden, da wird ihm kaum etwas Verdächtiges entgehen.
Ich gönne mir noch eine Delikatesse an Land: 3 Portionen Muscheln nach Empfehlung des Kellners und einem Becher frischer Milch als Deckel oben drauf und fahre mit dem Schlauchboot bei Sonnenuntergang zum letzten Mal an Bord.
Ende gut, alles gut.
Herr Michalsky besorgt mir ein Taxi nach Faro (Mercedes 300, Sechssitzer, klimatisiert, für ca. 120 km 12000 Ptas) mit dem ich zum Airport einschwebe.
Dort gibts eine Viertelstunde vor Abflug für 220 DM einen Last Minute-Flug nach Düsseldorf. Und am selben Abend noch kann ich Horst alles das erzählen, was in dem vorstehenden Bericht steht und noch einiges mehr, zum Beispiel, dass im Getriebe Wasser ist und er in zwei Monaten wird aufslippen müssen, bevor es weitergeht. Dass ich beim Einchecken in Faro den einzigen belichteten Film verloren haben muß, merke ich erst beim Auspacken zu Hause. Ein Grund mehr, die Überführung gut im Gedächtnis zu behalten.

© Manfred Sürig, 2010
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Der Eigner Horst möchte einhand über den Atlantik. Aber dazu muß das Boot erst in die richtige Startposition gebracht werden, nämlich nach Gran Canaria, wo er im Januar 1997 starten will. Für uns eine Herausforderung, den ersten Abschnitt mit dem KNURRHAHN, einer ETAP 28, soweit zu segeln, wie wir nach Süden kommen können.
Details:
Aufbruch: 18.06.1996
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 14.07.1996
Reiseziele: Niederlande
Frankreich
Spanien
Portugal
Marokko
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.