Abenteuer Indien 2015

Reisezeit: Oktober 2014 - April 2015  |  von Manfred L.

Als obdachloser Bettler in Mumbai

Die Fahrt endet am Zentralbahnhof in Mumbai. Aus dem Internet weiß ich, dass ich zum Höchst-Haus am Nariman Point muss. Ich frage bei der hiesigen Bahnpolizei, wie ich dort hin komme und der Beamte winkt ein Taxi heran und teilt mir mit, dass ich ja nicht mehr als 100 Rupees bezahlen soll.

Es ist gegen 17 Uhr, als ich bei der Vertretung angekommen, natürlich keiner da nach Dienstschluß. Ich hatte aber eine „Notrufnummer“ aus dem Internet und habe mit Hilfe des Wachpersonals tatsächlich jemanden erreicht. Der hat mir Adresse eines „Gasthauses“ gegeben, zu dem ich nur wieder mit einem Taxi kommen kann.

Der Taxifahrer sollte eigentlich das „Red Shield House“ als Hotel in Colaba finden, tut sich aber schwer damit. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass ich mir Angaben des Generalkonsulates Probleme bekomme. Das Haus der Heilsarmee trägt zwar auch diesen Namen, allerdings kennt den sonst niemand.

Ohne gültigen Pass und Visa will man mir hier aber kein Bett für die Nacht geben. Ich gehe zur Polizeistation in Colaba, zeige meine Anzeige aus Surat vor und erläutere meine Situation.
Dafür bekomme ich die Telefonnummer der Polizei und ich soll dem Betreiber der Unterkunft sagen, er solle die Polizei anrufen. Der macht das auch und ich bekomme ein Bett – nur für diese eine Nacht als Ausnahme.
Ein Bett dort kostet mehr als eine Hütte am Strand, unfreundliches Personal und alles andere als eine ruhige Nacht.

Dienstag früh dann wieder zum Konsulat, die mich gleich im Wartezimmer abgefertigt haben, das Betreten der Diensträume ist mir nicht gestattet. Mit Geld können die mir nicht helfen, nur mit guten Ratschlägen (… und vermutlich mit einer Rechnung später, wenn ich wieder in Hamburg bin). Selbst deren ureigenstes Geschäft – die Ausstellung vorläufiger Reisedokumente ist problematisch, weil die nur zur Ausreise innerhalb eines Monats berechtigen und bis zu meinem Abflug am 15. April sind es ein paar Tage mehr. Klar könnte ich für viel Geld auch den Flug umbuchen aber das ist ein Problem, das erst später zu lösen ist.

Zugang zum Internet kann mir das Konsulat auch nicht verschaffen, das ist das nächste Problem.
Für Zugang zum Internet von einem öffentlichen PC brauche ich natürlich auch einen Ausweis, den ich nicht habe.
Das Hauptproblem das ich sehe ist aber die Übernachtung und da hatte ich auf Hilfe vom Konsulat gehofft. Entweder dass die Übernachtungsmöglichkeiten für solche Notfälle haben oder mir Geld leihen, bis ich selber wieder welches habe.

Hauptproblem für das Konsulat ist, dass ich nicht an Geld komme. Ohne Internet und ohne Anschrift kann ich keine neue Kreditkarte erhalten. Das Geld von der Regierung im Gujarat ist auch schnell alle im teuren Mumbai. Alles was ich am Dienstag vom Konsulat erhalte, sind 500 Rupees, die gerade für den Kaffee im „Starbucks“ und paar neue Passfotos reichen. Zum Glück hat der Mitarbeiter des Starbucks nicht so genau auf meinen ungültigen Pass geschaut.

Ich habe meinen Laptop, ich habe Internet und ich habe die Fotokopie meiner TAN- Liste.
Das Konsulat hat ein Hilfskonto für mich eingerichtet – meine Geldprobleme sollten gelöst werden können.

Ich versuche die Überweisung zu tätigen, klopfendem Herzens fülle ich die Überweisung aus, trage die geforderte TAN-Nummer ein und klicke auf „überweisen“. Die Verbindung ist lahm und ich warte auf die Bestätigung. Dann die Nachricht, dass „aus Sicherheitsgründen das Konto gesperrt wurde“ und ich in Deutschland eine Nummer anrufen soll.

Das Generalkonsulat hat schon geschlossen und um ein Auslandsgespräch führen zu können, benötige ich ein Handy, das ich nicht habe oder einen öffentlichen Telefonapparat, den es nicht gibt oder den ich nicht finde oder für den ich einen gültigen Ausweis benötige.

Ich bitte also per E-Mail Bekannte um eine Überweisung auf das Konto des Konsulates.

Ohne Geld bekomme ich noch nicht mal neue Reisedokumente. Der Beamte vom Konsulat hatte mir auch mitgeteilt, dass die das Kriminalamt in Deutschland eingeschaltet haben, um eventuell von mir "verschwiegene Bekannte und Verwandte" ausfindig zu machen – Sippenhaftung, um mich wieder mit Geld zu versorgen.

Das Auswärtige Amt warnt ja vor Entführungen in einigen Ländern - wer aber warnt Reisende vor dem Auswärtige Amt!?

Die Nacht werde ich wohl auf der Straße nächtigen, als Bettler in Mumbai - schlimmer als bei der Heilsarmee kann das auch nicht sein.
Mit dem zuständigen Konsular-Attache komme ich aber nach ersten Anlaufschwierigkeiten ganz gut klar und ich werde versuchen, im Gujarat ein paar Tage unter zu kommen, sobald ich Geld habe und wir verschieben die Ausstellung des vorläufigen Passes um ein paar Tage. Eine Umbuchung des Fluges auf früher ist teuer - wenn überhaupt möglich.

Gujarat deswegen, weil ich von dort ja ein paar Schreiben habe und die Regierung da mir ja auch schon geholfen hat. Hier in Mumbai ist es sehr schwierig, eine Unterkunft zu finden. Zu teuer, überlaufen und die Papiere vom Gujarat nützen wenig in Maharashtra. Ist eben nicht Indien, sondern ein Verbund unterschiedlicher Bundesstaaten, ebenso, wie die EU längst nicht einheitliche Regelungen hat.

Geld habe ich trotzdem genug. Inzwischen bekomme ich mehr vom Konsulat als nur einen knappen Betrag für`s Essen. Da gibt es wohl Ermessensspielräume und von dem Geld vom Außenminister Gujarats habe ich natürlich hier nichts erzählt.

Die Bürokratie ist enorm. Von etlichen Dokumenten - von jedem Satz, den ich aufschreibe - werden etliche Kopien gemacht. Alle Unterkünfte, in denen ich diese Reise war, haben Kopien von meinem Pass und vom Visa. Die Orte und Namen an die ich mich erinnern konnte, habe ich später für das Konsulat und das Hotel in Surat aufgeschrieben und auch das, was mir sonst noch zu den Dokumenten einfiel. Als der Attache das von mir beschriebene Blatt in Händen hatte, sagte er „Oh, da mach ich eine Kopie“ ... und ich „herzlichen Glückwunsch, sie haben gerade die indische Beamtenprüfung bestanden“ - gemeinsames Lachen verbindet.

Wenn die ganze Angelegenheit nicht so anstrengend wäre, würde ich die als sehr spannend schildern und von Langeweile bin ich nun wirklich nicht mehr geplagt. Dass ich nun ausgerechnet in Mumbai fest hänge ist noch das Übelste an der Angelegenheit. Ich mag diesen Moloch von Megacity einfach nicht, habe ja auch seit meiner ersten Reise vor nunmehr 3 Jahren bis auf zwingend notwendige Zeit für den An- und Abflug einen weiten Bogen darum geschlagen. Warum hier so viele Urlauber rumhängen ist mir absolut unverständlich. Es gibt so viele bessere und interessantere Örtlichkeiten in Indien.

Das Konsulat hatte das Bundeskriminalamt in Deutschland eingeschaltet, um die "Sippenhaftung" in Gang zu setzen. Es werden also Angehörige/Verwandte von hier in Not geratenen Urlaubern ausfindig gemacht und zur Hilfeleistung per Zahlung verpflichtet. Die habe da also meine geschiedene Frau, eine Tochter und zwei (?!) Brüder von mir ausfindig gemacht. Hier wurde mir erzählt, dass sich meine Ex aufgeregt haben soll, dass die Kripo sich an unsere Tochter gewandt hat und nicht an sie ... aber mit ihr war ich ja "nur" verheiratet, zur Hilfe sind dagegen nur Verwandte verpflichtet. Ist ja aber nun wirklich nicht meine Schuld, dass ich da solche Aufregung verursacht habe - oder?

Allerdings bekommt man dann nach 17 Uhr hier keine günstige Unterkunft mehr – so dachte ich wenigstens. Im Laufe der nächsten Tage musste ich feststellen, dass es praktisch unmöglich ist, überhaupt eine Unterkunft ohne Pass und Visa zu erhalten. Schreiben und Papiere sind uninteressant … no passport? … no visa? ...NO BED!!!

Am ersten Abend bei der Heilsarmee hatte ich nur Glück, dass der Manager da bereit war, die Polizei anzurufen und nachzufragen, ob er mich unterbringen darf. Die nächsten drei Nächte habe ich mit all meinen Sachen auf der Straße zugebracht. Nun ... nicht mehr alle meine Sachen, denn der Rucksack mit alle wichtigen Dingen ... mein Reisepass, meinen Behinderten- und Rentnerausweis, Führerschein, Kreditkarten, EC- Karten, Schlüssel und was sonst noch wichtig ist, war ja weg.

Am „Marine Drive“ ist das Schlafen nicht erlaubt und die Polizei kontrolliert dort auch. Die haben mich gewarnt, ich solle mich besser dort aufhalten, wo viele Leute sind.
Am Donnerstag dann der Eingang der Überweisung von Freunden beim Auswärtigen Amt. Eine Auszahlung konnte aber nicht erfolgen, weil irgendeine Telefonleitung defekt war.

Ich also wieder ohne Unterkunft und mit dem schweren Koffer auf der Straße und bin etwas weiter weg, um vielleicht doch noch ein Gasthaus zu finden, das mich ohne Pass und Visa für das Geld aufnimmt, das ich habe. Da war ich also bis zur „Victoria Station“ als letztem Punkt, denn dort gibt es ja auch einige Schlafmöglichkeiten – wieder ohne Erfolg.

Um Mitternacht gab ich dann endgültig auf und habe mich wieder auf den Weg zum Konsulat gemacht, das um 8:30 Uhr geöffnet wird. Zwischendurch immer mal auf einen Stein gesetzt und den Kopf auf dem Koffer etwas eingenickt. Ich war nicht mehr weit von der Gegend entfernt, wo sich das Konsulat befindet, als ich ohnmächtig geworden bin und als ich gegen 4 Uhr zu mir kam, war dann auch mein großer Koffer gestohlen.

Absoluter Tiefpunkt erreicht – und was mache ich!? ... ich bekomme einen Lachkrampf und kann nicht mehr an mich halten. Morgens halb fünf Uhr in Mumbai und ich stehe auf der Straße und lache lauthals.
Gegen 5 Uhr habe ich mich wieder im Griff, war in der Polizeistation am Marine Drive, um den Diebstahl zu melden aber die hatten da keine Lust die Anzeige aufzunehmen und haben von mir verlangt, erst das Konsulat aufzusuchen. Was ich noch an Unterlagen und Papieren hatte, war ja im gestohlenen Koffer.

Dort war ich dann um 8:30 Uhr und der Herr Attache kam mir freudestrahlend mit einem Bündel Geldscheine entgegen. Geld konnte ich aber nun in dem Moment gar nicht gebrauchen, sondern erstmal Kopien der Papiere, die mich als Deutschen Staatsbürger ausweisen bzw. ein Schreiben an die Polizei, damit ich die Anzeige wegen dem großen Koffer aufgeben kann. Ich habe ja nicht mal mehr ein Behältnis, die Geldbündel zu verstauen, auch wenn von den umgerechnet 500 € nach Abzug der Gebühren und Auslagen nur noch gut die Hälfte übrig ist und der Umtauschkurs dank EURO- Schwäche ohnehin um fast 30 % schlechter geworden war.

Auf dem Amt machten die Polizisten schon Witze, neckten mich und benahmen sich wie kleine Kinder – ja, die hatten den Dieb erwischt, als der in meinen dreckigen Sachen nach Bargeld oder anderen Sachen im Gebüsch suchte, die er gebrauchen oder zu Geld machen kann.
Die Streife, die ihn überraschte aber von einer anderen Station … und so sind wir erst dorthin gefahren. Da saß der Dieb in der Ecke, hatte schon kräftig Prügel bezogen und meinen Koffer konnte ich auch sehen.
Nun aber zum Tatort fahren und bestätigen, dass es dort war … dann Protokolle verfassen, kopieren und vervielfältigen (per Hand und mit Kopierer). Gegen Mittag war dann klar, dass der Tatort im Zuständigkeitsbereich einer dritten Dienststelle liegt und Dieb, Koffer und ich wurden getrennt in drei Fahrzeugen dahin überstellt.

Irgendwann fiel sogar jemandem ein, mir Essen zu bestellen und die Beamten waren sehr darüber erstaunt, dass ich dem Dieb davon mit den Worten „he is still a human being!“ was von abgegeben habe (klar hatte ich den zuvor beschimpft und ihm auch zwei Ohrfeigen gegeben).

Aus meinem Koffer waren nur ein paar Schachteln Zigaretten verschwunden – das war aber mit Sicherheit nicht der kleine Dieb, denn die Polizisten rauchten alle meine gewohnte Marke in Indien, ein chinesisches billiges Produkt, das es nicht in Mumbai zu kaufen gibt.

Was ich dem Dieb übel nahm – er hatte meine Sachen einfach in den Dreck gekippt. Auf eine Anzeige habe ich trotzdem schriftlich verzichtet, denn bis auf die Bauchschmerzen vom Lachen habe ich ja nicht wirklich Schaden durch ihn erlitten.

Als ich dann gegen 14 Uhr endlich wieder im Konsulat war, wartete der Herr Attache schon händeringend mit meinem Geld auf mich. Freitag um die Zeit ist Büroschluß und seine Familie wartet.
Abzüglich Gebühren und dem Darlehen während meiner Tage in Mumbai habe ich dann das Geld bekommen, bin zum Zentralbahnhof und habe mir eine Fahrkarte nach Surat ergaunert. (Zwar habe ich die bezahlt aber ich habe die Beamten ja mit einem ungültigen Pass getäuscht.)

© Manfred L., 2015
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Vorwort: Goa, Carnataka, Kerala und Tamil Nadu, dann über Rajasthan nach Nepal und dort in einem Dorf 150 km außerhalb der Hauptstadt Katmandu die Einladung zu einem Homestay wahrnehmen. Das Ende der Reise war so wirklich nicht geplant. Der nachfolgende Text ist dem Tagebuch und teilweise auch gesendeten Mails entnommen und ist somit nicht ganz chronologisch und die Zeiten von Gegenwart und Vergangenheit geraten etwas durcheinander. Dafür bitte ich um Entschuldigung.
Details:
Aufbruch: 30.10.2014
Dauer: 6 Monate
Heimkehr: 16.04.2015
Reiseziele: Indien
Der Autor
 
Manfred L. berichtet seit 11 Jahren auf umdiewelt.
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