Wwoofing in Schweden: Ein Urlaub der anderen Art

Reisezeit: August / September 2017  |  von Kathrin Hentzschel

Freitag, 1.9: Teuer Abenteuer

Die Zeit der Heimreise ist gekommen, und ich freue mich drauf. Die Komfortzone …! Und schließlich gibt es daheim einen Urban, meine sechs Kaninchen, die aufdringliche Katze Lillifee und die Fische, deren Nachwuchs inzwischen auf drei Babys angewachsen ist.

Zunächst läuft alles glatt. Wie immer gehen wir um acht Uhr zur Scheune runter, singen „Happy Birthday“ für Malin, und ich steige in den Peterslund-Bus, der für den Markttag in Nyköping vollgepackt ist. Dort steige ich aus, helfe Martin noch ein bisschen beim Ausladen, und gehe in den ICA, feine Schwedensachen kaufen: Schokolade! Oatly-Produkte (ja, die sind aus Schweden und hier tatsächlich ein bisschen günstiger)! Polarbröd! Extrasaltat Bregott!

Gasse im beschaulichen Städtchen Nyköping.

Gasse im beschaulichen Städtchen Nyköping.

Auch auf dem Markt geht es gemütlich zu.

Auch auf dem Markt geht es gemütlich zu.

Als ich mir in Nyköping das Ticket für den snabbtag ab Norrköping kaufen will, rutscht mir das Herz in die Hose. Es geht nicht. Ein Bahnbediensteter will mir helfen, denn vielleicht stelle ich mich ja einfach nur blöd an, aber es ist wahr: ausgebucht, und zwar komplett. Und er sagt mir, dass ich auf keinen Fall einsteigen soll – Reisenden ohne Ticket blüht Rauswurf an der nächsten Station, eine saftige Strafe und unter Umständen die Polizei. Das kann ich nicht brauchen, darauf habe ich keinen Bock. Er versucht, alle Quellen anzuzapfen, ob es nicht einen anderen Zug oder eine Busverbindung ab Norrköping oder Linköping gibt (negativ), und er ruft sogar im snabbtag an, ob nicht doch ein freies Plätzchen übrig ist. Als letzte Möglichkeit zeigt er mir das Display seines Smartphones mit einer Taxiverbindung von Linköping nach Växjö. Schwindelerregender Preis, kommt nicht in Frage. Mein Plan ist, erst einmal bis Norrköping zu reisen wie geplant, und dann den Schaffner vom snabbtag zu bequatschen. Denn ich MUSS diesen Schnellzug kriegen, sonst verpasse ich den Heimflug.

Der Regionalzug nach Norrköping kommt, und ich rattere in Windeseile meine Möglichkeiten durch: Nochmal aussteigen, zurück zu Martin auf den Markt, alles Tickets verfallen lassen und einen Flug ab Stockholm suchen? Da fährt der Zug auch schon an, und diese Alternative saust vorüber. Oder einen späteren snabbtag nehmen und weiter nach Sävsjö, bei Almut anklopfen, ob sie mich abholt und wir nach einem Flug am Montag ab Växjö gucken? Ich wäge Vor- und Nachteile, Zeit- und finanziellen Aufwand ab. SWOT-Analyse vom Feinsten. Doch es hilft nichts, ich will jetzt heim. Und zwar um (fast) jeden Preis.

In Norrköping renne ich zum snabbtag, präpariert mit Tränen in den Augen und wackliger Stimme, doch ich blitze ab. Die Schaffnerin ist über mein Ansinnen fast noch hysterischer als ich. In Schweden gibt es nämlich keine Tickets im Schnellzug; entweder man hat vorher gebucht und einen Platz reserviert, oder man sieht nur noch die Rücklichter. Diese Lektion zu lernen nützt mir jetzt allerdings auch nix mehr. Also doch das Taxi, ab Linköping …
Ich bedanke mich bei meinem treuen Helfer und steuere den Taxistand an.

Den beiden Fahrern ist zwar nicht ganz klar, wo „Vechjö“ liegt (hier sprechen sie das so aus, im Gegensatz zu dem breiten „Väkschö“ der Smalander selbst), doch ihre Augen leuchten bei der Aussicht auf fettes Honorar. Das machen wir auch aus, unter der Voraussetzung, sie schaffen es in der Zeit und ich werde bis zum Flugplatz gefahren. Die Reisezeit ist mit knapp drei Stunden angegeben, es ist halb eins und meine Eincheckzeit fürs Gepäck ist ab 3 Uhr. Knapp, könnte aber reichen. Er schaffe das, versichert mir der Ältere der beiden Iraker, der die Fahrt übernimmt. Ich vertraue jetzt einfach mal und steige ein.

Schon lange vor dem Abflug habe ich Ohrensausen, denn der Fahrer sieht es als persönliche Herausforderung an, einen Geschwindigkeitsrekord nach Växjö aufzustellen. Fahrer, die sich an die Tempolimits halten, bedenkt er mit einem zwischen den Zähnen hervorgezischten „Fuck you“. Zwei Mal verpasst er eine Ausfahrt, und mir bricht in der ohnehin schon warmen und after-shave-geschwängerten Autoluft der Schweiß aus.

Spannend ist das allemal. Es geht kilometerweit den Vättern entlang, Schwedens zweitgrüßten See, und wir durchfahren Huskvarna - wo der Hersteller von Geräten, mit denen ölverschmierte Männer in Holzfällerhemden und Ohrenschützern gerne posieren.

Und was soll ich sagen – zehn vor drei, also in einer Zeit von 2:18, endet der Teufelsritt von 246 Kilometern vor dem Flughafengebäude, und ich bin zwar um viele Kronor ärmer, aber erleichtert und zufrieden. Weil Växjö Smaland so klein ist, geht es gemütlich zu; man schlendert aufs Rollfeld, Smartphones werden gezückt, um noch ein paar Selfies vor dem Billigflieger zu machen.

Am Düsseldorfer Hauptbahnhof merke ich es, wieder in Deutschland zu sein. Viele Menschen, reger Zugverkehr, Freaks, die mich anbetteln, und Martinshörner – ein Höllenspektakel nach der Waldesruh. Und in Frankfurt erlebe ich mal wieder Deutsche Bahn live: Verspätung und ein überfüllter Zug, in dem ich mich in den Gang LEGEN muss, aber das ist mir jetzt, 0.30, auch egal.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Schweden auf die (hm, vermeintlich) günstige Tour: Durch Wwoofing - auf Biofarmen gegen Kost und Logis arbeiten. Ich hab's ausprobiert, und es wurde ein tolles Abenteuer mit vielen unvorhergesehenen Vorfällen!
Details:
Aufbruch: 14.08.2017
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 01.09.2017
Reiseziele: Schweden
Der Autor
 
Kathrin Hentzschel berichtet seit 14 Jahren auf umdiewelt.
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