Auf der Spur Kolumbiens Schätze

Reisezeit: Februar / März 2020  |  von Julian H.

Medellin und Umland : Aufbruch und Rückkehr in eine andere Zeit

Meine Sachen habe ich schon gepackt und ich bin kurz davor mich zu verabschieden, als ich unglücklicherweise die Leine eines Hundes losmache und einen Sekundenbruchteil später alle sieben Hunden verschwunden sind. Ich dachte ich könnte seinen flehenden Augen trauen und ihm für ein paar Minuten die Freiheit ermöglichen, doch er hatte andere Pläne. Als am Ende des Tages die Hunde dann wieder zurück sind, vermutlich die Nahrung und die menschliche Gesellschaft missend, schätze ich die Verbindung mit ihnen noch einiges mehr und ich meine fast, eine gewisse Dankbarkeit ihrerseits zu spüren, ihnen diesen abenteuerlichen Tag ermöglicht zu haben. Nach einem Bad im kühlen Nass spüre ich eine vollkommene Ruhe, einen tiefen inneren Frieden über mich kehren, wie ich ihn selten zuvor in dieser Intensität erlebt habe. So sehe ich es als Zeichen und bleibe noch ein wenig.

Am darauffolgenden Tag lerne ich Caspar einen weiteren Freiwilligen kennen. Mit seinem Aussehen, seinem Auftreten und seiner Art meine ich, eine jüngere Version Johnny Depps vor mir zu haben. Dazu passt auch seine Lebensgeschichte, hat er in seinen jungen Jahren vermutlich mehr erlebt und gesehen als andere Menschen in sieben Leben. Seine mehrjährige Reise würde ihn quer durch Südamerika, näher an seinen Lebenstraum einer eigenen Farm führen. Ja, es gibt sie glücklicherweise noch die Menschen, die ihrem eigenen Herzen folgend eine Richtung einschlagen, die sie an die Orte zu den Erlebnissen leitet, die für sie bestimmt sind.

Doch der Abschied kommt und ich begreife, wie stark und schnell mir dieser Ort ans Herz gewachsen ist. Hätte mir jemand erzählt, ich sei sechs Monate unterwegs gewesen, ich hätte es ihm geglaubt. Gleichwohl bahne ich mir einen Weg nach Medellín, zurück in die normale Welt, durch ein vages Meer aus Unklarheiten und Falschinformationen bezüglich Covid-19. Eigentlich wollte ich noch weiterreisen, doch die Stimmung ist angespannt und Touristen als auch Einheimische sind sich unschlüssig, welche Veränderungen und Einschränkungen die kommenden Tage mit sich bringen. Schließlich treffe ich die rationale Entscheidung, eine Woche früher nach Deutschland zurückzukehren, dabei geflissentlich die Stimme ignorierend, die Gunst der Stunde zu nutzen und das Angebot zurück zur Farm zu kehren anzunehmen und dort sesshaft zu werden.
Glücklicherweise erwische ich in Bogotá den letzten Platz einer KLM-Maschine, was meine in neun Stunden Wartezeit angestaute leidliche Stimmung besänftigt.
Kurz vor dem Gate am Flughafen El Dorados entdecke ich das Goldfloß von Eldorado in einem Schaufenster. Ob ich diese maßstabsgetreue Nachbildung der „Balsa-Muisca“, dem bekannten und sagenumwobenen Artefakt, für umgerechnet etwas über 800 Dollar kaufen möchte, fragt mich die Verkäuferin. Dankend lehne ich ab, dennoch muss ich lächeln, wollte ich unter anderem dieses Stücks wegen für einen Tag nach Bogotá ins Museo del Oro um das Original-Goldfloß zu bewundern. Dem Guatavita-See, der einst Schauplatz der Eldorado-Legende gewesen sein soll, hätte ich dann auch noch einen Besuch abgestattet. Sei’s drum.

Unter „normalen Umständen“ hätte mich meine Reise zu den präkolonialen Kult- und Grabstätten bei San Agustín, über die Anden, zu Höhlenmalereien oder tiefer in den Dschungel geführt, vom Wunsch geleitet, dem Wissen und den Schätzen der indigenen Kulturen näher zu kommen. Doch das anfängliche Bedauern über die frühzeitige Rückkehr nach Deutschland schwindet schnell als ich mir bewusst mache, dass der wahre Reiz des Reisens und des Lebens im Allgemeinen ja darin begründet ist, dass Dinge geschehen, die wir zunächst nicht in unsere bisherige Weltsicht oder Situation einordnen können. Genau dann beginnt doch der spannende Teil, weil es nunmehr darum geht, Ungewohntes zu erproben, Bisheriges in Frage zu stellen und rückblickend einen Sinn zu sehen.
Für mich schließt sich dadurch ein wichtiges Kapitel dieser Reise, mache ich mir doch bewusst, wie klein und unbedeutend die meisten Probleme in Anbetracht der Mächte und Rätsel der Natur doch werden. Und kann nicht genau darin der Schlüssel liegen, uns nicht länger wie über Natur und Tieren stehende Götter zu verhalten, sondern uns vielmehr als gebende und empfangende Wesen zu sehen und unser Bewusstsein dem Wohle des natürlichen und nicht des wirtschaftlichen Wachstums zu verpflichten? Denn dem, der die Verbindung wahren möchte, sollte stets demütig in den Himmel blicken und dabei seine eigene Aufgabe nicht aus den Augen verlieren. Vielleicht ermöglicht uns Menschen das weltweit eingeschränkte Reiseverbot ja ein Rückbesinnen zu unseren wahren Wurzeln und ein Gewahr werden unserer Verpflichtung gegenüber unserem Heimatplaneten. Und vielleicht liegt genau darin der Wert und der Schatz des Reisens per Flugzeug: von anderen Kontinenten und Kulturen zu lernen, unseren eigenen Horizont zu erweitern und dabei unsere individuelle Weltsicht einer universellen Sprache anzuvertrauen, die jedem Individuum bekannt ist. Fortschritt kann schließlich nur entstehen, indem man sich der eigenen Vergangenheit, der eigenen Herkunft und des eigenen Selbst bewusst wird.

Aus dem Fenster des Flugzeugs blickend denke ich zurück an die Zeit. Wieder tauche ich ein in eine andere Welt, in ein neues Abenteuer, in eine neue Zeit. Die Schätze trage ich in mir, die Tränen zeigen mir, dass sie einen wahren Wert haben und dass es nicht viel relativer Zeit bedarf, um durch zeitlose Abenteuer die Relation der eigenen Lebenszeit neu zu ordnen. Sicherlich bedarf es dazu einer Portion Mut und Vertrauens, der eigenen Stimme folgend in eine universelle Erfahrung eintauchend, das eigentlich Bedeutsame zu erkennen. Denn jedem Reisenden kommt im Nachhinein der Reise unweigerlich die Frage, welche Lehren er aus der Reise gezogen hat und welchen Sinn die Reise für ihn hatte. Denn Reisen ist eine Form des Sich-Erlebens in einem veränderten Raum, was somit zu einem bewussten oder unbewussten Abgleichen des eigenen Selbst innerhalb der Gesamtheit der Existenz führt.
Am Ende des Tages sind wir alle Menschen, die sich unter dem Leuchten der Sterne ihren Träumen hingeben und am Anfang jedes Tages vom Aufgehen der Sonne erwachen, um ihnen Leben einzuhauchen. Ein jeder trägt jeden Tag dazu bei, an der Gestaltung des Morgens mitzuwirken. Denn jeder Mensch ist Reisender und jeder Reisende ist Mensch. Wo wir unseren Anker werfen, wo wir unsere Wurzeln schlagen, wo wir unseren persönlichen Ort der Heimat schaffen, das bleibt jedem selbst überlassen. Doch dass es solch ein Zentrum des eigenen Seins braucht, um als Ausgangspunkt für die Sehnsucht und dem Ruf des Unbekannten zu dienen und ihnen auf diese Weise zu ermöglichen, die volle Kraft zu entfalten, daran besteht kein Zweifel...

© Julian H., 2020
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Südamerika trachtet danach, sein reichhaltiges Repertoire an kulturellen, landschaftlichen und spirituellen Schätzen, dem aufmerksamen Besucher zu eröffnen. So ist die Reise durch Kolumbien auch eine persönliche, die neue Horizonte eröffnen kann.
Details:
Aufbruch: 27.02.2020
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 21.03.2020
Reiseziele: Kolumbien
Der Autor
 
Julian H. berichtet seit 6 Jahren auf umdiewelt.
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