Frankreich - Im wilden Vercors

Reisezeit: September 2013  |  von Ralf Beelitz

Kleine Pässerunde

Scheiteltunnel des Col du Galibier

Scheiteltunnel des Col du Galibier

Die Pässe der französischen Alpen kann man eigentlich in zwei Gruppen unterteilen: diejenigen, die sich wie auf eine Schnur gereiht auf der Route des Grandes Alpes vom Genfer See bis zum Mittelmeer ziehen, und diejenigen, welche abseits dieser Touristenstraße liegen. Der Col de la Croix de Fer (Eisenkreuzpass), welcher Rochetaillée nahe Le Bourg-d'Oisans im Romanche -Tal mit dem Maurienne -Tal verbindet, gehört sicher in die zweite Gruppe. Auf der Route des Grandes Alpes spielt sich ein Großteil des Touristenrummels ab. Das Gebiet des Col de la Croix de Fer (2.067m) ist dagegen deutlich ruhiger. Mit seinen malerisch gelegenen Stauseen auf der Südseite, der Schluchtenlandschaft im unteren Teil der Nordrampe und dem kargen, hochalpinen Hochtal rund um die Passhöhe gehört der Croix de Fer jedoch zweifelsfrei zu den schönsten Alpenpässen.

Die Gegend ist zunächst dicht bewaldet. Der Asphalt ist griffig und schwungvoll streben wir endlang des Flüsschens Eau d'Olle durch die Schlucht "Dèfilé de Maupas" aufwärts. Die Straße ist gut ausgebaut und leer. Eine gute Gelegenheit, die Gashand spielen zu lassen. Dann fangen die ernsten Sachen an. Die Steigung erreicht 14%. Es folgt eine Reihe schöner Serpentinen bis zum Stausee "Barrage de Grand Maison" (1.600m). Der Anblick ist traumhaft. Der See schimmert blaugrün in der Morgensonne und erinnert an einen kleinen Fjord inmitten einer grandiosen Bergwelt. Kein Laut hier oben. Wir können sie geradezu "hören" die Stille. Also einfach mal den Motor der Silver Wing abstellen und sich der Natur hingeben.

Die Landschaft beginnt sich nun zu ändern und öffnet sich zu einem kahlen, weiten Hochtal.

Am "Relais du Glandon" legen wir einen kleinen Zwischenstopp ein und genießen auf der Terrasse das einmalige Bergpanorama. Wuchtig ragen die Berge vor uns himmelwärts. Wasserfälle stürzen in der Ferne zu Tal. Wir sind zu dieser frühen Stunde die einzigen Gäste und können uns ganz der Stille widmen, die nur kurz vom Schrei eines Adlers unterbrochen wird, der über die Bergspitzen gleitet. Da fällt es uns schwer, wieder den Motor anzuwerfen und die letzten Höhenmeter unter die Räder zu nehmen. Auf der in einer herrlichen Alpinlandschaft gelegenen Passhöhe erwartet uns wenig später tatsächlich ein eisernes Kreuz und es bietet sich uns eine phantastischer Rundumblick mit Aussicht auf das Massif der "Chaîne de Belledonne" (2.977m) und die "Aiguilles d'Arves" (3.517m).
Die Ostabfahrt bietet keine Schwierigkeiten. Es sind einige kleine Tunnel zu durchfahren (Achtung - unbeleuchtete Radfahrer) und gelegentlich liegen wegen der in diesem Streckenabschnitt herrschenden Steinschlaggefahr recht große Brocken auf der Straße.
Die D 926 führt uns entspannt nach St-Jean-de-Maurienne. Das Tal der Maurienne ist nicht gerade ein erfreulicher Anblick. Schon von weitem sind viele Fabriken und die breite Schnellstrasse Richtung Turin zu erkennen. Wir sind daher froh, als wir ins Tal der Valloirette abbiegen und die Auffahrt zum Col du Galibier in Angriff nehmen können. Dem Galibier vorgelagert ist der Col du Télégraphe (1.566m), der die Auffahrt zum Col du Galibier bildet und zur "Route des Grandes Alpes" (Große Alpenroute) gehört. Der Col du Télégraph erhielt seinen Namen nach einem Telegrafenturm, der 1807 gebaut wurde.

Im unteren Teil verläuft die Straße - von gelegentlichen Ausblicken ins Tal abgesehen - überwiegend im Wald. Sie ist recht gut ausgebaut, müssen doch im Winter Horden von Urlaubern diese Strecke zu den Skigebieten in und um Valloire bewältigen. Die weit geschwungenen Serpentinen führen uns schnell zur Passhöhe. Hier erwarten uns eine Gaststätte, die ihre beste Zeit offensichtlich schon überschritten hat, Info-Tafeln und großräumige Parkflächen. Der Wald öffnet sich und gibt schöne Ausblicke über das Arc-Tal hinweg ins "Massif de la Vanoise", welches nach seiner Form auch "la poule" (das Huhn) genannt wird, frei.
Nach einer kurzen Rast im zu dieser Jahreszeit fast ausgestorbenem Wintersportort Valloire (alle Restaurants und Geschäfte haben offenbar zur Mittagszeit geschlossen) liegt der Aufstieg zum Galibier (2.645m) vor uns. Schwindelerregende Steilkurven führen uns himmelwärts. An fast senkrechten Steilhängen entlang zieht sich das Teerband durch eine zunächst noch bewaldete Landschaft. Diese wird mit zunehmender Höhe immer karger. Wir durchfahren eine baumlose, von Weideflächen bedeckte und von kleinen Rinnsalen durchzogene Hochalpenregion mit grau-braun-rötlich schimmernden Geröllteppichen, die einen ganz eigenartigen Reiz wilder Schönheit besitzt. Schließlich bleibt nur noch blanker Schiefer übrig, der immer öfter von Schneeflecken bedeckt ist. In Höhe des Scheiteltunnels ist die Straße über die eigentliche Passhöhe durch eine Schranke versperrt. Es hat in der Nacht hier oben geschneit - Wintersperre! Wir legen daher im Berggasthaus eine Pause ein, genießen bei einem Café au Lait die wärmenden Sonnenstrahlen und lassen mit Blick auf die umliegenden schneebedeckten Berggipfel einfach die Seele baumeln. Wir haben schließlich Urlaub und sind nicht auf der Flucht.

Während wir also unseren Café schlürfen trauen wir unseren Augen kaum: ein Straßenwachtfahrzeug kommt die Passstraße herunter und hält kurz an der Schranke um diese aufzukurbeln. Der Pass ist wieder frei - Glück muss man haben.
Vom Pass lohnt sich eine kleine Wanderung hinauf zur Orientierungstafel. Dort bietet sich ein wunderbares Panorama auf das Gipfelmeer des Écrins-Massivs (4.102m) im Süden und den Aiguilles d'Arves (3.514m) und dem Mont Thabor (3.178m) im Norden.
Nach der Passhöhe geht es steil abwärts. Kurz vor dem Col du Lautaret (2.045m) bietet der Meije mit dem Glacier de l'Homme (Massif des Écrins) einen herrlichen Anblick. Rasant gleiten wir am Abgrund entlang, ein kurzer Blick in die tiefen Schluchten sorgt für den notwendigen Nervenkitzel. Dann kommen die ersten Tunnels. Hier ist für Adrenalin-Schübe gesorgt, da viele Tunnel kaum beleuchtet sind und die Sonnenbrille zum Blindflug-Problem wird. Im Örtchen La Grave ist auf einem Parkplatz erst einmal Brotzeit angesagt. Knuspriges Baguette und würziger französischer Käse können nirgendwo besser schmecken. Ein französischer Motorradfahrer bietet uns sogar noch eine Salami an.
Bald darauf sind wir schon auf der N91 entlang des Flusses Romanche nach Le Bourg-d'Oisans unterwegs. Der Asphalt ist sehr rau, aber in gutem Zustand und die Kurven weit und flüssig zu fahren. Bei Freney-d'Oisans ist die Romanche zum Lac du Chambon aufgestaut. Der Fluss bildet unterhalb des Ortes die imposante Schlucht Gorges de l'Infernet, in die ich leider immer nur kurze Blicke aus den Augenwinkeln heraus werfen kann. Die beste Sozia der Welt will schließlich die heute Abend noch die vorzügliche Küche in Vaujany genießen.

© Ralf Beelitz, 2014
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Der Gebirgsstock des Vercors, im äußersten Westen der französischen Alpen, wirkt wie eine überdimensionale Trutzburg. Eine Landschaft mit tiefen, schroffen Schluchten und wilden Felsabstürzen, weit verzweigten Höhlensystemen und verträumten kleinen Örtchen. Dieses schwer zugängliche Gebirge mit Gipfeln bis zu 2.350m Höhe kann man auch heute noch nur über schmale und kühne Straßen erkunden.
Details:
Aufbruch: 16.09.2013
Dauer: 7 Tage
Heimkehr: 22.09.2013
Reiseziele: Frankreich
Der Autor
 
Ralf Beelitz berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.
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