On Tour auf MADAGASKAR

Reisezeit: April / Mai 2006  |  von Uwe Decker

Tana zum Vierten - und Letzten

Antananarivo,
Samstag, 20. Mai 2006 bis Montag, 22. Mai 2006

Der Flieger hat Verspätung. Das macht nichts, ich habe Zeit und schiebe mir in der Flughafenbar zum Frühstück einen Teller köstlicher gebackener Krabben nach dem nächsten rein.

Dasselbe Programm wie immer in Tana, Glacier Hotel, Glacier Cabaret. Im Cabaret gastiert heute Abend Tearano, einer der bekanntesten Sänger Madagaskars, die Stimmung ist toll. Anschließend besuche ich noch zwei weitere Discos, das "Caveau" und das "Pandora", ein äußerst eigenartiger Schuppen, der so duster ist dass man sich nur tastend fortbewegen kann. Es werden aber nur kurze Stippvisiten, ich bin so müde, dass ich fast im Stehen einschlafe.

Sonntag bin ich bei Tinah eingeladen. Eigentlich will ich mit dem Taxi hinfahren, aber sie sagt, ich hätte keine Chance, die Adresse zu finden und holt mich vom Hotel ab. Sie hat Recht. Das Taxi lädt uns an einem Sandplatz in irgendeinem Stadtviertel ab, dann gehen wir zu Fuß einen holprigen Feldweg lang, balancieren über einen Steg, sie macht eine löchrige Holztür auf und wir stehen in einem Areal, das drei Häuser und ein paar Schuppen umfasst. Im zweistöckigen Haupthaus wohnen die Vermieterin und ihre Tochter, die auf Tinahs Sohn aufpasst, wenn sie als Friseuse arbeitet. Oben im 1. Stock ist es angenehm luftig, auch ist die Wohnung nett eingerichtet. Vor der Tür krabbeln drei mächtige Schildkröten herum, die Älteste ist ca. 80 Jahre.

Dann gehen wir zu Tinahs Wohnung. Sie besteht aus einem kleinen Raum, so voll gestellt mit Sitzmöbeln, einem kleinen Tisch und einer Vitrine, dass man sich kaum bewegen kann ohne etwas umzuwerfen.

Hinter einem Vorhang befindet sich ein Bett, daneben liegen ihre spärlichen Kleidungsstücke auf einem Haufen. Draußen ist noch ein winziger Raum mit einem Gaskocher und etwas Geschirr. Wasser muss von einer Gemeinschaftszapfstelle, weit entfernt, geholt werden. Tinah ist 23, ihr Sohn 5, der dazugehörige Vater unbekannt verzogen. Wie so häufig. Ihre Eltern haben es ihr übel genommen, dass sie so früh schwanger geworden ist und sie verstoßen. Sie ist daraufhin von Antsirabe in die Hauptstadt gezogen, schlägt sich hier so durch. Ich denke mir, es wäre interessant, später einmal zu erfahren, was aus ihr geworden ist, wie ihr Leben in 5 oder 10 Jahren aussieht.

Einziger Luxus in der Wohnung ist ein Fernseher sowie ein DVD-Player. Hier kann ich meine in Antsiranana erworbenen VCDs ausprobieren. Tinah gefällt die Musik, sie stellt auf volle Lautstärke. Gestört fühlt sich dadurch keiner der Nachbarn.

Auf dem Rückweg in die Stadt kippt zwei Autos vor uns ein Kleinbus um, der als Sammeltaxi in der Stadt unterwegs ist, voll beladen mit Gepäck und Menschen. Wie das passiert ist habe ich nicht gesehen. Im Vorbeifahren sehe ich aus dem zerbrochenen Rückfenster ein paar blutige Kinderbeine herausragen. Vielleicht war meine Entscheidung, wenn möglich auf anständige Fahrzeuge zu achten, doch die richtige.

Abends bekomme ich die üblichen Bauchschmerzen, jeweils kurz vor Urlaubsende. Abschiedsschmerz ? - Keine Ahnung, aber auf jeden Fall Zeit für ein Fazit:

Ich habe auf der Reise mehr gesehen vom Gastland als in manchen Urlauben vorher, vom süßen Nachtleben der Upper Class in der Hauptstadt bis hin zum entbehrungsreichen Leben der Bewohner im Busch, habe die größten Städte besucht und weitgehend unberührte Natur und undurchdringlichen Dschungel erlebt. Es mag aufregendere Tiere geben als Halbaffen, und spektakulärere Landschaften, sehenswert aber ist Madagaskar allemal, nicht gespickt mit absoluten Highlights, mehr als Gesamtgemälde. Auf jeden Fall aber auch durch die Tatsache, dass Flora und Fauna größtenteils endemisch und nur hier zu bewundern sind. Stirbt hier eine Tierart aus, und die Gefahr besteht durch den Raubbau an der Natur und der damit verbundenen Beschneidung der Lebensräume mancher Tiere, ist sie für immer verloren.

Auch die Mischung stimmte, einige Touren in Kleingruppen, der Rest allein -frei und unabhängig. Und weniger entbehrungsreich als ich anfangs befürchtete. Nun ja, sich einen Privatfahrer zu leisten ist natürlich viel angenehmer als mit dem überfüllten Buschtaxi zu reisen. Abgerundet wird das Ganze durch die überwältigende Freundlichkeit und Fröhlichkeit der Menschen, die den Besucher aus dem Schlaraffenland Europa angesichts der erbärmlichen Lebensumstände breiter Bevölkerungskreise nachdenklich machen sollte. Der überall zu hörende Ruf "Bonjour Vazaha" jedenfalls wird mir noch lange nachhallen.

Montag ist Einkaufstag. Ich lasse mich zum Souvenirmarkt La Digue fahren, wo über einen Kilometer weit eine Verkaufsbude an der nächsten steht. Allerdings haben alle weitgehend dasselbe Warenangebot, Holzschnitzereien, Stickereien, Gewürze, Autos aus Altblech.

T-Shirts kauft man besser im Baobab- oder Maki-Shop in der Stadt. Am Nachmittag treffe ich hier -Überraschung- Maria und Kalle von unserer Bootstour wieder. Wir tauschen unsere Erlebnisse aus und gehen die Straße hinunter zum nächsten Souvenirshop. Dort sehen wir - Natasha und Rok, den Rest der "Truppe", welch ein Zufall auf der viertgrößten Insel der Welt. Die Vier haben noch zwei bzw. drei Tage in Tana und wollen gemeinsam zu Abend essen. Ich muss mich leider schnell verabschieden, Koffer bzw. Reisetasche packen, heute Abend geht mein Flieger.

Das Taxi hatte ich vorbestellt, ein schicker Peugeot, nicht so eine Klapperkiste von R4 oder Ente. Unterwegs bleibt er aber mitten in der Botanik stehen, irgendwas mit der Benzinpumpe. Der Fahrer entschuldigt sich, saust davon und lässt mich allein zurück. Nach 30 Minuten in absoluter Dunkelheit fährt er mit einem anderen Taxi wieder vor und verschwindet mit einem Ersatzteil unter dem Kühler. Kurze Zeit später ist der Karren wieder fahrbereit. Natürlich bin ich viel zu spät am Airport. Die verlorene Zeit hole ich aber spielend wieder rein. Ich gebe einem Träger ein gutes Trinkgeld, der lotst mich dafür an der langen Schlange vor dem Air France-Schalter vorbei und innerhalb von zwei Minuten habe ich eingecheckt.

So habe ich sogar noch ein bisschen Zeit, durchs Flughafengebäude zu streifen und komme auch an die Stelle, an der jemand bei meiner Ankunft ein Schild mit meinem Namen hochgehalten hat. Seitdem habe ich viel erlebt. Ist das tatsächlich erst dreieinhalb Wochen her?

Veloma Madagascar

Veloma Madagascar

© Uwe Decker, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Dreieinhalb Wochen quer durch Madagaskar - zu Fuß, mit Auto, Boot und Flugzeug - Einblicke in eine andere Welt, "rechts unten neben Afrika"
Details:
Aufbruch: 28.04.2006
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 23.05.2006
Reiseziele: Madagaskar
Der Autor
 
Uwe Decker berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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