Radreise in der Horde und auf eigene Faust nach Südosteuropa

Reisezeit: August / September 2003  |  von Manfred Sürig

Auf der Suche nach den Moldauklöstern

Dienstag, 9.September 2003
Notgedrungen beginnt der Tag schon um Mitternacht. Zwei Schaffner kontrollieren uns und beim Anblick der Fahrräder gibt es "Problem". In ersten Palaver versuchen wir klarzumachen, dass man nur mit diesem Zug nach Suceava kommen kann, also müßten auch die Räder mit. Der dicke Schaffner läßt sich davon nicht überzeugen, der hagere blättert in der Tariftabelle, scheint aber damit überfordert zu sein. Endlich verlassen sie das Abteil, und die beiden Quatschtanten steigen auch aus. Nun könnte die Nachtruhe beginnen. Doch bald kehrt der hagere Schaffner allein zurück, schließt die Abteiltür hinter sich und zieht den Vorhang vor. Neue Verhandlungsrunde um zwei Uhr nachts. Diesmal ist er gut vorbereitet und zückt die schon bekannte Tabelle für "baggages volumineuses". Ich sehe ihm über die Schulter, damit er nicht in der Zeile "mehr als 800 km" abliest. Doch dann weist er noch auf Zusatzspalten für besonders komfortable Züge, denen ich nicht entnehmen kann, ob es Zuschläge oder höhere Grundtarife sind. Als er dann auch noch einen Zuschlag für Fahren ohne Fahrkarte einrechnet, platzt uns der Kragen. Den bezahlen wir nicht, schließlich hat man uns am Schalter die Fahrradkarten ja nicht verkaufen wollen. Aber den übrigen Preis wollen Sie bezahlen ? Zu spät bermerke ich seinen überraschten Gesichtszug, wir sind müde und weichgeklopft.
Also lasse ich ihn das Ticket ausschreiben. Doch genau das überfordert ihn erneut, erschöpft sinkt er auf den Sitz und macht uns einen Vorschlag: für 1,4 Millionen Lei(=37 Euro) ohne Dokumente die Räder im Lokus verstecken, den Schlüssel dazu habe er ja. Also bugsieren wir die viel zu großen Räder in den viel zu kleinen Lokus, der ab jetzt für Passagiere gesperrt ist. Endlich Ruhe, wobei es mir schließlich egal ist, ob wir die Räder in Suceava auch wieder raus kriegen, macht nichts, Suceava ist doch Endstation, da muß es doch gehen. Tatsächlich taucht der hagere Schaffner um 6.15 pünktlich auf und schließt uns den Lokus auf. Durch das Schütteln des Zuges haben sich die hochkant stehenden Räder nun hoffnungslos verkeilt. Wir bekommen sie nur wieder heraus, in dem wir die Vorderräder abmontieren und in Einzelstücken herausheben. In Suceava angekommen, laden wir die Räder aus, aber als wir das Gepäck hinterhergeben wollen, fährt der Zug schon wieder an. Ich stehe draußen, aber meine Urschreie bewirken nichts. Jonas wirft geistesgegenwärtig die Gepäckstücke aus der Tür und springt dann aus dem fahrenden Zug. Auf etwa 100 Meter Bahnsteiglänge suchen wir anschließend unser Gepäck zusammen und schnallen es auf die Räder. Das muß eine Schikane des dicken Schaffners gewesen sein, der von dem Deal seines Kollegen wohl nichts oder zu wenig abbekommen hatte.

In der Morgendämmerung schieben wir auf den Bahnhofsvorplatz und kommen uns vor wie in einem Industrienest in Kasachstan. Hunderte von Menschen hasten neben uns zu bereitstehenden Bussen, die sie zu den Fabriktoren riesiger Industriekomplexe karren. Weitere Züge spucken immer mehr Menschen aus, und aus den Bussen strömen auch noch welche. Arbeit scheint es hier zu geben, und wir sind wohl genau zum Schichtwechsel angekommen. Wir schwingen uns auf die Räder uns setzen uns Richtung Westen ab, dort muß die Stadt Suceava liegen, und dort müßte es auch zu den Moldauklöstern weitergehen.
Oben in der Stadt finden wir ein leidliches Cafe, in dem wir ein Frühstück bestellen, der Gang zum Lokus führt an einer resoluten Klofrau vorbei, die einem Eintritt nur gewährt, wenn man zuvor bei ihr Klopapier kauft. Unsere Stimmung nähert sich dem Tiefpunkt. Nach dem ersten warmen Getränk breiten wir die Karte am Tisch aus. 28 Kilometer sind es noch bis zum ersten Kloster, leider alles auf der Europastraße Richtung Klausenburg. Der Verkehr ist stark, aber läßt nach, als wir endlich aus der Stadt heraus sind. Dafür geht es stetig bergauf, denn die Karpaten liegen wieder vor uns. An einem kleinen Kirchlein pausieren wir und machen ein paar Fotos, u.a. von "Kirchenschrott" auf dem Kirchhof.
Über einen Paß geht es dann bergab ins Tal der Moldau, dem wir nun bergan folgen. Ein großes neues Best Western Hotel in Humorlui scheint nur von den Touristen zu leben, die hier die Klöster besuchen. 8 km rechts liegt das erste, Humor. Es wird von Nonnen bewohnt, eine kleine ruhige Anlage am Ende der Straße in ein Tal. Wir steigen auf den Schatzturm am Rand der Anlage und staunen über die Malereien an der Außenfront der Kirche, die zwar etwas verwaschen sind, aber immerhin 400 Jahre dem Wetter trotzen. An der Andenkenbude bekommen wir eine deutschsprachige Karte, auf der alle übrigen Klöster aufgeführt sind, mit vielen weiteren Erläuterungen, die Neugier auf weitere Klosterbesuche weckt.

Voronet, ein Muß für jeden Rumänienbesucher, liegt gleich links von der Straße, weitere 16 km entfernt. Auch dorthin fahren wir, der Grundriß ist ganz ähnlich, aber hier sind noch mehr Malereien erhalten und die Nebengebäude sind größtenteils schon wieder aufgebaut, in der Kirche inmitten des Klosterhofs die Ikonentafel, die Außenwände der Kirche bemalt mit Bildern aus der Kirchengeschichte. Der blaue Hintergrund der Malereien wurde aus einem Material hergestellt, das besonders witterungsbeständig ist und dessen Zusammensetzung man bis heute nicht kennt. Auf dem Bauhof werden Dachschindeln aus Holz von Hand keilförmig zugeschlagen. Schön, dass man uns in beiden Klöstern neben dem Eingang auf der Innenseite die Fahrräder abstellen läßt, eine Stelle, die gut bewacht ist und wo nichts wegkommt. Hinter dem Kloster halten wir unsere Picknickpause, die heute durch ein paar Minuten nachgeholten Tiefschlaf ergänzt wird, dann geht es weiter nach Vama, wo wir endlich die Europastraße verlassen und weiter im ruhigen Moldautal bergauf radeln können. In Vama ist ein großes Sägewerk, für das die umliegenden Abhänge schonungslos abgeholzt wurden. Die Folgen sieht man in großen Erosionsrinnen, von Neuaufforstung keine Spur.
Das Bahngleis neben uns steigt nicht stärker als die Straße an, wir können bequem fahren und doch dabei gute hundert Höhenmeter steigen. Um 18 Uhr erreichen wir das Kloster Moldovita, das fotogen in der Abendsonne strahlt. Hier ist gelb die vorherrschende Untergrundfarbe der Außenmalereien.
Oberschwester Tamara nimmt uns gleich unter ihre Fittiche, wir können ohne Eintritt und Fotoerlaubnisentgelt munter knipsen, sie spricht tadellos deutsch und will uns sogar eine Unterkunft vermitteln, während wir noch die Kirche besichtigen.

Vor dem Kloster empfängt uns anschließend eine Frau Tatjana, die uns in ihr Haus führt, ein großes Holzhaus, in dem jedes Zimmer in der Hauptsaison vermietet wird. Abendessen gibt es -eigens für uns zubereitet- im Haus ihrer Mutter und Frühstück morgen früh auch. Wir fühlen uns richtig wohl und das Vier-Gänge-Menü aus Großmutters Goldrandtellern erinnert uns an das Festmahl in Bulgarien. Aber unsere Wirtin lebt nicht von der Hoffnung auf Tourismus, sie nutzt ihn bereits. Ihr Mann fährt jeden Sommer zum Erdbeerenernten nach Deutschland, dort hat er das nötige Grundkapital für das Holzhaus verdient, das er im übrigen ganz allein in vielen Jahren seit der Wende gebaut hat. Wir schlafen heute himmlisch in völliger Ruhe, das gibt die nötige Kraft für morgen.

Mittwoch, 10.September 2003

Eine Million Lei (= 27 Euro) haben wir zu zweit für unsere schöne Halbpension zu bezahlen, auch mit dem reichhaltigen Frühstück sind wir zufrieden und sollen uns sogar noch Brote für unterwegs mitnehmen. Schwester Tamara lädt uns noch zu einer ganz privaten Führung durch ihr Kloster ein und wir erfahren zum ersten Mal die Bedeutung der Wandmalereien an der Außenseite der Kirchen. So erkennen wir die Belagerung Konstantinopels, und die Himmelsleiter, die den Gläubigen offensteht. 40 Nonnen hat das Kloster, über Nachwuchsmangel braucht sie sich nicht zu beklagen. Jonas erweist sich als bibelfester Gesprächspartner, Schwester Tamara ist ganz angetan. Als wir einen Obulus für die Restaurierung des Klosters zahlen wollen, winkt sie ab, das sollen lieber die Reicheren machen, die mit Autos und Bussen hier anreisen.

Sie weist noch auf die Besonderheiten der Klöster hin, die wir noch besuchen werden und steigt dann in das Auto unserer Wirtin ein. Das hat sie heute von ihr geliehen bekommen, um zum Arzt nach Suceava zu fahren, eine Tour, die per Bus zwei Tage dauern würde.

Zum nächsten Kloster Sucevita geht es über den Paß Ciumarna mit 1180 m über dem Meer, 500 m ü.M mögen wir hier schon sein. Radfahrer kommen hier öfter her, nur nicht mehr so spät in der Saison. Im Reiseprospekt von ro-aktiv lese ich die Namen der Klöster vor, die dort angeboten werden - wir befinden uns zufällig genau auf derselben Route. Dann müßte auch dieser Paß zu meistern sein. Fragt sich nur, wann wir oben sind, wenn wir um 10 Uhr starten. Kaum zu glauben, dass ich bald schon Berge, an denen ich zunächst noch hinaufschauen konnte, nun von oben sehe, aber dennoch lange nicht oben bin. Jonas schafft alle Steigungsstrecken ohne abzusteigen. Er wartet gelegentlich auf mich und nutzt die Zeit zum Fotografieren. Immer großartigere Blicke eröffnen sich für uns, als wir die Straße unter uns nur noch in vielen Schleifen sehen. Der Zustand ist im übrigen recht gut und der Verkehr minimal, kurz: Radeln pur, auch wenn es kräftig ansteigt. Um kurz nach 12 sind wir oben, und nun beginnt eine Abfahrt, wie ich sie noch nie gemacht habe. Das Gefälle ist gerade so stark, dass man nur gelegentlich vor den Kehren bremsen muß, im übrigen lassen wir uns rollen. Dabei geht es durch dichten Laubwald viel tiefer herunter als wir vorher aufgestiegen sind.
Schon nach einer halben Stunde sind wir beim Kloster Sucevita, das in noch schönerer Umgebung liegt, noch größer ist und noch besser erhalten. Auch hier besichtigen wir alles, aber jetzt schon mit etwas fachkundigerem Blick. Rot ist hier der Grundton der Außenmalereien.

27 km sind es nun noch bis zum Kloster Putna, das uns Radu besonders empfohlen hatte, das ist auch noch heute zu schaffen. Leider kommt man nicht direkt dorthin, weil man das Gebirge umfahren muß. Wir kommen schon 12 km an Radauti heran, wo auch noch ein Kloster mitten in der Stadt sein soll. Unterwegs begrüßen uns drei Jungen am Wege und schenken uns einen Plastikbeutel voller Pflaumen. Wir geben ihnen etwa 20 Cents zum Dank und kommen in den Genuß von Früchten, die wir in dieser Qualität noch nie gegessen haben. Wo mögen die Jungs die geklaut haben ? Und dann noch so ein Auge für höchste Qualität !
Als wir endlich beim Kloster Putna eintreffen, dämmert es schon, höchste Zeit, ein Quartier zu suchen. Das finden wir bei den Mönchen selbst. Sie haben eine große Landwirtschaft und viele Obstplantagen und ein großes Gästehaus befindet sich im Bau. Wir mieten eine kleine Holzhütte von 2,20 Meter Länge, in die gerade einmal zwei Betten und unsere Rucksäcke hineinpassen, für 200000 Lei (5,30 Euro). Waschräume sind am anderen Ende des Obstgartens, aber ohne Duschen. Doch der Pope verspricht uns, dass wir abends um 20.30 Uhr in einem Anbau des Gästehauses duschen könnten, das Wasser müsse nur erst warm werden. Nun können wir uns sogar noch den Innenhof des riesigen Klosters ansehen, den Strom zum Anstrahlen der Kirche bei Nacht spart man sich aber, die ganze Anlage wird statt dessen um 20 Uhr geschlossen. Die Dorfkneipe verfügt sogar über eine Speisekarte, allerdings nur in Rumänisch, und wir staunen, was für ein gutes Essen wir für wenig Geld bekommen.

Donnerstag, 11.September 2003

In diesem Kloster herrscht Leben ! Hinter der Klostermauer sehen wir schon am frühen Morgen eine Menge Mönche, die in ihrer Arbeitstracht Obst ernten und Heu verladen. Das Kloster betreibt einen Bücher- Foto und Andenkenladen, wo auch selbstgemachte Ikonen verkauft werden, der Bau des Hotels wird die wirtschaftliche Grundlage weiter festigen. Nachwuchssorgen habe man keine, man müsse sogar einige Bewerber ablehnen, weil die Nachfrage zu groß sei. In der Kirche ist ein Gerüst bis in die höchste Kuppel eingezogen, auf dem Restauratoren in mühsamer Kleinarbeit entweder alte Malereien freilegen oder abgeblätterte Flächen stilgerecht mit nachempfundenen Malereien ergänzen. Ein Drittel ist seit dem Jahr 2000 etwa fertiggeworden, bis 2012 wird man noch zu tun haben, bis alles in neuem Glanz erstrahlt. Und finanziert wird das alles aus den Eintritten und Spenden der Besucher vor allem aus Rumänien.

© Manfred Sürig, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Rumänien und Bulgarien per Rad zu bereisen traute ich mir zunächst allein nicht zu, also buchte ich eine Gruppenreise, an deren Ende sofort noch eine Zweiertour durch Rumänien, die Ukraine und die Slowakei angehängt und zu einem großartigen Erlebnis wurde
Details:
Aufbruch: 22.08.2003
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 19.09.2003
Reiseziele: Rumänien
Bulgarien
Ukraine
Slowakei
Ungarn
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.