Auf dem Jakobsweg durch die Schweiz

Reisezeit: Juni 2003  |  von Andreas Honisch

Lebe langsam...: von Konstanz nach Tobel

8.6.2003 1. Tag, von Konstanz nach Tobel

Was für eine Hitze! Über 30° im Schatten und ich muss hier durch die Schweiz wandern! Mir war zwar klar, dass ich schönes Wetter haben werde, schließlich habe ich ja Urlaub, aber 10° weniger hätten auch gereicht! Naja, nachdem ich unter der Dusche den ganzen Schweiß weggewaschen habe, fühle ich mich wieder wie ein Mensch. Vorher war ich wohl eher ein Kamel oder so was.

Abmarsch in Bernrain

Abmarsch in Bernrain

Heute war endlich der lang ersehnte Tag des Abmarschs! Mein Rucksack stand schon seit 2 Tagen fertig gepackt in meiner Wohnung im Weg rum. Trotz allem vorherigen Wiegen und überlegen hatte ich es natürlich geschafft, mich mal wieder überladen zu wollen. Also ganz spontan beim Abmarsch meinem Vater noch meine "Wintersachen" mitgegeben und die ganze Sache wurde im wahrsten Sinne des Wortes wieder erträglicher. Trotzdem weiß ich nicht, wie ich morgen früh wieder dieses Teil auf meine Schultern bekommen soll. Ich bin mal gespannt, ob dieses Sport-Tonikum, das ich kurz vor meinem Reisestart noch ausgegraben habe, hilft. Angeblich soll es kühlen, aber es hat mir eher neue Hitzewallungen in meinen Schultern und Nacken gebracht. Angeblich soll es wiederbeleben, das muss es auch, sonst brauche ich morgen einen Sherpa, hier würde der wohl eher "Älpler" heißen, aber ich glaube da habe ich wenig Chancen, so dumm sind die hier nicht, ganz im Gegenteil, und dazu noch sehr nett!

Trotzdem tut mir die Schulter weh und ich habe das Gefühl, als hätte mich heute jemand den ganzen Tag mit einem Baseballschläger von hinten traktiert, mal links, mal rechts! Aber immer wenn ich mich umgedreht habe, war da niemand, keine Menschenseele, nur ich ganz allein!
Ganz alleine, so bin ich heute morgen in Bernrain, kurz hinter Kreuzlingen, losgegangen. Bei der Kapelle hat man einen wunderbaren Ausblick auf die Konstanzer Bucht und den Bodensee. Über die Straße rüber, und um kurz vor 9 Uhr bin ich dann regelrecht eingetaucht in einen wunderschönen Waldweg, in meine Wanderung, in mein Abenteuer, in meine Pilgerreise, in eine ganz andere Welt als meine bisherige. Fern von Hektik, Stress, Zeitdruck, einfach berauschend und durch den Kontrast der wohl beste Startpunkt meiner Reise für mich.

Wirtshaus in Amlikon, gleich nach der Thur-Brücke

Wirtshaus in Amlikon, gleich nach der Thur-Brücke

Von Bernrain ging's immer wieder auf schönen Waldwegen über Siebnhau, Schwaderloh nach Ellighausen, wo ich dann leider falsch abgebogen bin, was mir einen kleinen Umweg bis Lippoldsweiler einbrachte. Die Sonne hatte sich bislang meistens brav hinter ein paar Wolken versteckt, was das Gehen recht erträglich machte.

Bis zum Hörnli ist der Jakobsweg als Schwabenweg ausgeschildert

Bis zum Hörnli ist der Jakobsweg als Schwabenweg ausgeschildert

Schon von weitem war das Schild "Brucky Bar geöffnet" zu sehen, direkt am Weg neben einem einsamen, alten Bauernhaus kurz vor Märstetten. Die Bar ist eine kleine, offene Hütte. Sie wird von einem jungen Mann bewirtschaftet, den ich im Garten sah und nach einem Kaffee fragte. Vor der Bar war ein Schild, "Santiago de Compostella Bar" und damit natürlich ein Muss für mich um dort kurz zu rasten.

the one and only "Santiago de Compostella Bar" vor Märstetten

the one and only "Santiago de Compostella Bar" vor Märstetten

Inzwischen hatten sich die Wolken verzogen und die Sonne brannte unbarmherzig auf mich runter, als ich mich über Märstetten nach Amlikon schleppte. Kaum Wald, kaum Schatten, dafür direkt nach der Brücke über die Thur eine Wirtschaft mit einer sehr netten Wirtin, die mein Pilgerbuch stempelte, mir telefonisch mein Nachtquartier in Tobel organisierte und zu guter Letzt mir noch einen saftigen Apfel schenkte. Frisch gestärkt ging's weiter, zunächst nach Hünikon und Holzhuseren, wo ich mich für diesen Tag vom Wald verabschieden musste um mich ab sofort in der Mittagshitze von der Sonne rösten zu lassen. Wald, Bäume, Schatten wurden für mich fast zur Fatamorgana, und immer wenn ich vor mir einen ausmachen konnte, bog der Weg links oder rechts kurz davor ab. Inzwischen war ich mir auch sicher, dass ich mir am rechten Fuß eine Blase angelaufen hatte. So kam ich dann in Affeltrangen an und genoss im Löwen-Biergarten bei heimischen Radioklängen ein kühles Nass. Nach einer Stunde gehorchte mir mein Körper wieder und war bereit, den Rucksack zu schultern und die letzte halbe Stunde bis zu meiner "Pilgerherberge" in Tobel zu marschieren. Glücklich kam ich an und freute mich nur noch auf eine Dusche und ein Bett.

meine Pilgerherberge in Tobel

meine Pilgerherberge in Tobel

Meine Herberge ist ein kleines Holz-Gartenhäuschen mit lauter Gartenzwergen, die mich heute Nacht bewachen werden und mit Jakobsmuscheln und Karten an der Wand. Sogar im Türstock sind oben drei Jakobsmuscheln eingeschnitzt, die ursprünglich von einer Bank am Pilgerweg stammen, die unglücklicherweise in ein Auto gelaufen war. Meine Wirtin hier ist die Messnerin der Mauritius-Kapelle in Affeltrangen und nahm mich gleich noch zum Blumen gießen in die Kapelle mit, wo sie mir alles zeigte und wir interessante Gespräche führten. Sie ist die mit Abstand esoterischste Messmerin, die mir jemals begegnet ist und vor allem eine herzensgute und sehr sympathische Frau. Abends kam noch ihr Untermieter zu mir auf ein Schwätzchen vorbei. Von wegen ganz alleine und einsam durch die Schweiz ziehen! Ich bin mal gespannt, was mir in den nächsten 2 Wochen noch so alles passiert. Heute war's auf jeden Fall ein schöner erster Tag!

Türstock mit Jakobsmuscheln

Türstock mit Jakobsmuscheln

© Andreas Honisch, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Reisebericht von meiner Wanderung auf dem Jakobsweg durch die Schweiz. Gestartet bin ich in Kreuzlingen und nach 2 Wochen in Genf angekommen.
Details:
Aufbruch: 08.06.2003
Dauer: 14 Tage
Heimkehr: 21.06.2003
Reiseziele: Schweiz
Der Autor
 
Andreas Honisch berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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