12 (?) Monate in Benin - ein Leben in einer anderen Welt

Reisezeit: Oktober 2007 - Oktober 2008  |  von Johanna Hoffmann

März 2008

Bienvenu ist von der Schaukel gesprungen und hat sich das Bein verdreht und angebrochen. Jetzt hat er einenGipsfuß und kann nicht laufen. Also muss ihn jeden Tag jemand in die Schule tragen und mittags wie abends wieder abholen. Das mache ich natürlich liebend gerne Mein Engel, er strahlt schon immer ovn einem Ohr bis zum anderen, wenn ich um Punkt 16Uhr rein komme und ihn auf den Rücken nehme. Und alle anderen Kinder sind einerseits eifersüchtig (schließlich bin ich ja ihrer aller Tata) und andererseits finden sie es witzi, dass ausgerechnet Tata JOhanna ihren Klassenkameraden abholt.
Ja, und dann bin ich den ganzen Tag mit ihm auf dem Rücken im DOrf unterwegs. Das Leben hat sich nach den Ferien sehr schnell normalisiert. VOrmittags Schule, mittags heim kommen und essen und dann abends wieder Schule. Bei SOS ist es so, dass die Mittagspause nur kurz ist, dafür kommen die Kinder 3 Stunden früher aus dem Unterricht nach Hause. Bei öffentlichen und anderen privaten Schulen (z.B. LICA, wo René hingeht) ist die MIttagspause von 12-15Uhr und somit endet der Unterricht erst um 19Uhr. Ich komme meistens um kurz vor 12 zu SOS, da kommen dann die Zwillinge und Rosa heim. Cythile, der Papayer, geht gleich wieder in die Schule. Aber bis die anderen um halb 3 wieder zum LICA fahren ist er mit Unterricht fertig und somit hab ich immer Gesellschaft. Wir sitzen dann gerne bei ihm, Haus 11, auf der Terasse unter dem Mangobaum und quatschen, fotografieren, wie auch immer. Wir nennen uns gegenseitig nur noch "maman" und "papa", weil ich ja sowieso im Dorf zur "maman Bienvenu" geworden bin. Und er hat auch eine ganz wunderbare Art mit Kindern umzugehen. Er spielt gerne mit ihnen und respektiert sie. Kinder sind nicht dumm und auch keine Marionetten!!

Bienvenu hat mich neulich verarztet. Das war so süß! Ich hatte eine längst verheilte Wunde am Fuß. Aber er, neugierig und scharfäugig wie immer, hat das natürlich entdeckt und dann genauestens inspiziert. Dann hat er Nathalie, die Nächstältere in seinem Haus, geschickt ihm diese Heilblätter zu holen und dann hat er mir den Saft drauf getropft. Und immer mit einem besorgten Blick gefragt: "Ca fait mal?!" (Tut das weh?!) Er ist so ein GOldschatz...

Am 06. März hat mich Richard, ein 18jähriger Internatsschüler von SOS (er kommt aus Zentralafrika) ins INternat mitgenommen. Also, "mitgenommen" ist hier eigentlich der falsche Begriff, denn Dorf und INternat werden nur durch... nichts voneinander getrennt. Man sagt einfach "Hier ist die Grenze und die darf weder von der einen noch von der anderen Seite überschritten werden." Aber im Endeffekt ist keine Abgrenzung vorhanden. Deswegen ist es den Kinder auch ein Leichtes, die Vorschrift nicht zu respektieren

JEdenfalls wollte ich das INternat auch mal von innen sehen. Es gibt zwei Gebäude, eines für die Jungs, eines für die Mädchen. Insg. sind momentan 36 Schüler untergerbacht. Die doppete Anzahl wäre theoretisch möglich. Rein praktisch hat SOS, bzw. das Collège, noch nicht die finanziellen Mittel um alle Zimmer vollständig einzurichten. Es mangelt an Tischen, Vorhängen, den Studierzimmer (das ist momentan noch komplett leer), Glühbirnen, schlichtweg an allem. Aber das ist trotzdem um einiges besser als die vorige Behausung: ein altes KLassenzimmer. Das Internat ist erst seit Januar 2008 aktiv, weil die Schüler protestiert haben. Vertändlicherweise. Jedenfalls läuft hier auch nicht alles so rosig, aber das bin ich ja inzwischen gewohnt. Der Internatszuständige für die Jungs hat keine Ahnung von Tuten und Blasen, nimmt sich aber fürchterlich wichtig. Als ich ihm eine Woche später in der Direktion begegnet bin hat er es natürlich nicht lassen können mich anzugraben. Naja...

Aber im Großen und Ganzen ist das INternat nett, hell, einfach aber okay. Und auf jeden Fall eine wichtige Sache, denn ESMA (École secondaire des métiers d'arts = Kunstgymnasium) ist nur eines von wenigen (ich glaub es gibt nur noch ein anderes) Kunstgymnasien in Westafrika. Daher auch der große Zulauf von außerhalb.

In feierabedlicher Aktivität bin ich zum ersten Mal abends in Benin in einem Maquis, also so eine Buvette gewesen. Romaric, der beste Freund von René und Carin, hat mich mitgenommen. Es waren noch ein paar Kumpels von ihm da, echt nette Kerle. UNd es war auch an diesem Abend dass ich zum ersten Mal DEN Disco- bzw. Pratyhit Benins mitbekommen habe: Dragosta Dintei Ja, und obwohl sie nicht einmal wissen in welcher Sprache das gesungen wird, grölen sie es von anfang bis Ende mit. So der Hammer das zu sehen!! Das nächste wäre dann noch Barbie Girl von Aqua und Chihuahua von DJ Bobo. Naja, jedem das Seine...

Vom Weltfrauentag habe ich hier mehr mitbekommen als in Deutschland. Leider nur durch Sprüche wie "Na und, hast du gefeiert?" und auf die Antwort "Nein, und selbst?" kam nur ein müdes "Haha, ich habe ja gar keine Zeit zu Feiern..." zurück.

10. und 11. hab ich mal wieder aushilfsweise im KIndergarten gearbeitet. Die Maitresse musste auf Versammlungen und Schulungen und da bin ich eben eingesprungen. Hat mir wieder total viel Spaß gemacht!! DIe ganzen KLeinen, hat mir schon gefehlt so... Gleichzetig habe ich gemerkt, dass ich in den 6 Wochen Auszeit nicht mehr daran gewöhnt bin und jetzt viel schneller die Geduld verliere. Schon crass wie schnell sowas geht... Aber es war auf jeden Fall schön, haben BIlder gemalt und viel gesungen. Das ist immer am einfachsten, denn das machen sie auch gerne.

Abends im Dorf hatte ich dann mit einem inzwischen im Foyer wohnenden großen SOS-Bruder eine crasse Diskussion. Er meinte, er habe Hitler schon immer gemocht und würde sich gerne das Hakenkreuz auf den Oberarm tätowieren lassen. Schon früher habe er das immer überall hingemalt. Ob er eigentlich wisse, was Hitler getan hat, frage ich. Ja klar, Lebensraum und die Einheit des Volkes wollte er. Außerdem natürlich Arbeitsplätze und Deutschand ist doch erst durch ihn richtig bekannt geworden. Naja, das ist wohl Ansichtssache, sage ich. Aber wie stehts mit Holocaust? Judenverbrennungen? Massenvernichtung? Geistesgestörtheit? Wie, was ich da jetzt meine.
Naja, End vom Lied war, er hatte keine Ahnung. Das Schlimme ist, dass er seine positiven Informationen von seinem Lehrer im geschichtsunterricht hatte. Klar, die Leute hier (die meisten, und das beschränkt sich nicht auf die ohne BIldung) wissen hier entweder gar nihts vom 2. Weltkrieg (und wenn man es ihnen erzählt, ansatzweise, dann ist es letztendlich doch nur einer der vielen Kriege in der weißen Welt). Oder sie haben ein völlig verdrehtes Bild von der ganzen Sache, so wie eben z.B. Hitler sei toll. Naja, es ist schn schwer, da einen Fuß in die Tür zu kriegen und sie vom gegenteil zu überzeugen. Warum sollten wir denn in der Schule was falsches lernen? werde ich gefragt. Naja, weilder Lehrer es ebensowenig weiß wie ihr.
Hier geht es nicht nur um den 2.WK sondern generell um ältere GEschichtsthemen. DIe heutigen geschehnisse werden übers Fernsehen und die Nachrichten (es gibt sogar eine extra Sendung auf Fon) ganz gut übertragen und sind auch, soweit ich das beurteilen kann, wenig gefärbt. Aber was die Vergangenheit angeht... klar, über ihre eigene Geschichte wissen sie alle Bescheid. Dass man zwar auch von jedem eine andere Version hört ist hier normal, aber immerhin wissen sie Bescheid. Aber an den "weißen GEschichten" fehlt auch das Interesse. Es ist eh immer wieder das Selbe und es geht ja schließlich nicht um ihre Brüder und Schwestern.

Auch so ein Phänomen: Alles (zumindest ist das bei den meisten Menschen so) was weiß ist, ist automatisch französisch. Das liegt natürlich daran, dass Benin früher unter frz. Herrschaft stand. Aber naja. Es kamen danns oSätze wie: "Ja, Johanna ist Deutsche. In ihrem Land, Frankreich, ..." Frankreich = Europa = Amerika = das Weiße. Blöd ausgedrückt. Aber wahr. In deren Augen. Und, naja, wenn ich ehrlich bin, dann kann ich dieses Denken auch verstehen. Was interessiert es sie schon was die anderen machen, wenn sie selber ums Überleben und fürs Leben kämpfen müssen?!

Da die Regenzeit ganz ganz langsam wieder anfängt kommt es immer mal wieder zu kleinen Regengüssen. So saß ich neulich abends im Dorf fest und konnte nicht heim. Ich bin mit den Jungs, Teddy und Jostène, durch den Reegn gerannt und hab das Wasser auf der Haut gespürt und war glücklich! Regentanz in Afrika, wie geil ist das denn?! Nachher in Haus 10 geduscht und trocken gelegt und nach ein bisschen mit Cyrille spielen glücklich ins Bett gegangen. ICh habe mich selten so zu Hause gefühlt wie an diesem Abend in diesem Haus. Das Haus 10 ist zu meinem SOS Haus geworden, Maman 10 zu meiner SOS Mama. Ich bin am allerliebsten hier. Alles ist menschlich, frei, ungezwungen. Und endlich, nachdem ich das schon seit über einem Monta am liebsten getan hätte, war ich nun eben gezwungen hier zu schlafen. ICh habe mich so wohl gefühlt. Mit den Geräuschen aus dem WOhnzimmer und so.
IN der Früh dann wach werden mit den Kindern, alle in die Schule schicken und dann auf der Terasse sitzen und einen Ausblick über das ganze Dorf haben, wie die bunten UNiformen langsam runter zu gehen, die SOnne aufgeht, die Vögel singen und Maman hinterm haus fröhlich trällernd das Laub zusammen kehrt. Da war wohl der schönste MOrgen, den ich in meiner gesamten Zeit in Benin erlebt habe. Ich habe mich wohl gefühlt, geborgen, geliebt, zu Hause. Zu Hause bei meinen Kindern, die meine Kinder sind und mir gleichzeitig ebenbürtig. Vielleicht ist doch nicht alles an SOS so schlecht...

Cythile (der Papyer) mit Bienvenu

Cythile (der Papyer) mit Bienvenu

meine Maman!!!

meine Maman!!!

© Johanna Hoffmann, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Endlich wird ein Traum wahr: Mama Africa, ich komme!! Für voraussichtlich 12 Monate werde ich in Abomey leben, davon 6 Monate in einem SOS Kinderdorf, die anderen 6 in einem Krankenhaus ein freiwilliges Praktikum machen.
Details:
Aufbruch: 07.10.2007
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: Oktober 2008
Reiseziele: Benin
Ghana
Der Autor
 
Johanna Hoffmann berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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