Kurventraum - Vom Niederrhein nach Südtirol

Reisezeit: September 2012  |  von Ralf Beelitz

Die Felsenwelt der Sellarunde

Der Sellastock

Der Sellastock

Gegen 7.30 Uhr mache ich mich auf den Weg nach Meran. Meine Mitfahrer schlafen noch. Es ist saukalt. 6 Grad minus! Die Regentropfen auf meiner Siwi sind gefroren. In der Motorradjacke ist Winterfutter angesagt. Zu dieser frühen Stunde sind die Straßen im Ultental noch leer. Ich komme zügig voran. Es herrscht eine seltsam ruhige Stimmung. Je weiter ich ins Tal komme, um so wärmer wird es und dann geht auch die Sonne über den Berggipfeln auf. In Meran stellt sich heraus, die Adresse stimmt nicht mehr. Dank hilfsbereiter Mitmenschen finde ich die Werkstatt schließlich doch noch. Nach einer Stunde rolle ich mit einem neuen Reifen und 140 € ärmer vom Hof.
Mein Ziel sind die Dolomiten. Die "Große Dolomitenstraße" führt mich durch die romantische Eggentalschlucht, über der imposant das "Castel Cornedo", eine der schönsten Burgen des Landes, thront. Der erste Teil der Strecke verschwindet leider meist in den neuen, vor Steinschlag gesicherten Tunneln. Man kann nur noch Teile der von Felsabbrüchen geprägten Schlucht befahren. Mit Steigungsspitzen von über 10 % geht es, meistenteils im Wald, durch mehrere Kehren bergan. Unter mir sehe ich den sagenumwobenen Karersee durch die Bäume schimmern. Ein kleiner grüner Bergsee zwischen den Bergmassiven des Latemar und des Rosengartens. "Märchensee der Dolomiten" wird er aufgrund seiner glitzernden Oberfläche genannt. Und da sind sie auch schon wieder - die wuselnden Touris, ausgespuckt aus den Bäuchen der Autos und Reisebusse. Mit Fotoapparaten bewaffnet strömen sie in Scharen zum See, um das "ultimative" Postkartenmotiv zu (er)schießen. Ich schenke mir das Gedränge und erreiche nach 4 km den Passo di Costalunga, den Karerpass (1.745). Oben am Gipfel kann ich den nördlich gelegenen Rosengarten als ersten echten Dolomitenstock bewundern. Ansonsten ist die Passhöhe recht unspektakulär - ein weiter Sattel in almenartiger Atmosphäre. In Canazei treffe ich auch meine Freunde wieder. Der Weg führt uns nun gemeinsam hinauf zum Sellajoch. Das Sellajoch (2.214) gehört neben dem Grödner Joch, dem Pordoijoch und dem Passo Campolongo zum Pässequartett der Sella-Runde. Eingeschlossen ist es von den Gipfeln der Sella-Gruppe (3.151) im Osten und der Langkofel-Gruppe (3.181) im Westen. Im Süden blitzt die weiße Spitze des Marmolada-Gletschers (3.342) in der Sonne. Zunächst steigt die bestens ausgebaute Straße in einer weiten Schleife und dann in mehreren engen Kehren nach Norden an. Nach einer satten Folge von Serpentine taucht plötzlich das Passschild vor uns auf und wir lernen ein Highlight der Dolomiten kennen: den gigantischen Sellastock. Zugegeben, es gibt größere Bergmassive, aber dieser große Klotz hat schon etwas Magisches an sich. Wie Orgelpfeifen ragen die Felstürme in den blauen Himmel. Direkt unter den Felswänden führt die Straße durch eine lichte Vegetation auf unzähligen, teilweise unübersichtlichen Kehren hinauf auf den Sattel. Der Passübergang bildet die Verbindung zwischen dem Fassa- und dem Grödner Tal und schenkt uns ein absolutes Traumpanorama. Auf der anderen Seite schlängelt sich die Sellajochstraße in sanften Kurven abwärts. Es gibt kaum enge Kehren und das Gefälle ist mäßig. Wir können so in Ruhe den Blick auf das bald vor uns liegende Grödner Joch (2.121) genießen. Das Joch inmitten der Alpenregion Dolomiten, auf halber Wegstrecke zwischen Klausen an der Brennerroute und dem Olympiaort Cortina d'Ampezzo, ist ein Highlight für jeden Pässefahrer. Landschaftlich trüben nur die gehäuft auftretenden Skilifte die gigantischen Impressionen der umliegenden Felsbastionen. Zweimal fordern uns enge Serpentinen heraus, dann ist der Pass erreicht. Die Ostabfahrt hat es dann wieder in sich. Die Straßenbauer haben hier wohl etwas zu tief ins Glas geschaut, denn mit Absicht kann man so viele Spitzkehren nicht bauen. Es folgt Serpentine auf Serpentine. Das verlangt nach einer gehörigen Portion Aufmerksamkeit. Die Kurvenhatz hat erst kurz vor Colfuschg ein Ende. Hier lösen saftige Almen die grauen Felsen ab. Bis Corvara ist es dann nicht mehr weit. Von Corvara aus geht es gleich richtig zur Sache, denn bereits die ersten Kehren sind nicht von schlechten Eltern. In engen, steilen Serpentinen gewinnen wir schnell an Höhe, dann führen uns weit geschwungenen Kurven weiter hinauf auf den Sattel des Passo di Campolongo (1.875). Hier öffnet sich uns einer der schönsten Blicke auf das ewige Eis der Marmolada.

© Ralf Beelitz, 2013
Du bist hier : Startseite Europa Italien Die Felsenwelt der Sellarunde
Die Reise
 
Worum geht's?:
Von den weiten Ebenen des Niederrheins zu den mächtigen Felsformationen der Dolomiten - abwechslungsreicher kann eine Motorrollertour kaum sein. Die „Königsetappe“ Stilfser Joch; eine Herausforderung für jeden Motorrollerfahrer und das Pordoijoch; der höchste Pass der Dolomiten mit herrlichen Kurven und super Ausblicken sind nur einige Höhepunkte der Reise.
Details:
Aufbruch: 05.09.2012
Dauer: 14 Tage
Heimkehr: 18.09.2012
Reiseziele: Schweiz
Italien
Deutschland
Der Autor
 
Ralf Beelitz berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.
Bild des Autors