L'autentica Sardegna - Tour durch das eher unbekannte Sardinien

Reisezeit: August - Oktober 2017  |  von Uschi Agboka

Teil 2 - Streckenverlauf - 7.-15.09.2017: Infos Orogosolo - Murales

Orgosola - Supramonte-Gebirge (Barbagia) - Murales

Orgosolo, ca. 4.000 Einwohner. Der Ort liegt im Zentrum des zerklüfteten Supramonte-Gebirges im Herzen der Barbagia. Über dem Ort erhebt sich der Monte Lisorgoni, 978 m.

Im Erdmittelalter vor 225 bis 65 Mio. Jahren entstanden durch die teilweise Überflutung Sardiniens und die anschließende Flachmeerkalkbildung die leuchtend weißen, gen Himmel ragenden Kalksteinklippen des mit Schluchten, Spalten und Höhlen durchsetzen, wild zerklüfteten Supramonte. Die durchschnittliche Höhe der Gipfel dieses alten Gebirges innerhalb des Nationalparks Golf von Orosei beträgt nur 900 m.

Da der Supramonte aus Kalkgestein besteht, schluckt er jeden Regentropfen und leitet ihn in unterirdische Seen ab. So haben sich im Lauf von Jahrmillionen die abenteuerlichsten Karsterscheinungen gebildet. Wandern im Supramonte ist wunderschön, doch nicht ungefährlich. Abgesehen von den Touristenrouten Monte Tiscali oder Golla Su Gorruppu sind die Pfade kaum markiert und nur von erfahrenen Einheimischen zu finden.

Im Supramonte, genauer in der Grotte Corbeddu wurden Hirschknochen, die bearbeitet wurden, gefunden. Die Untersuchungen ergaben, dass die Knochen ca. 13.500 Jahre alt waren, dies ist der älteste Hinweis auf menschliche Anwesenheit auf der Insel. So geschichtsträchtig das Supramonte auch ist, es ist aufgrund der Trockenheit und der Rauheit der Landschaft inzwischen leider fast entvölkert und daher heute eine der menschenleersten und wildesten Gegenden Europas, aber auch gerade deshalb sehr wertvoll.

Stolz, misstrauisch und eigensinnig, mit einem völlig unverständlichen Dialekt, so charakterisieren die anderen Menschen der Barbagia die Orgolesi.

Der an einem Hang liegende Ort zeigt sich in vielerlei Hinsicht düster und unzugänglich. Holprige, schmale Gassen durchziehen den historischen Ortskern. An der Hauptstraße reiht sich eine Bar an die andere, davor sitzen Männer, von jung bis uralt, deshalb empfiehlt es sich für uns Frauen, etwas Bedeckendes zu tragen, wenn man die Murales, die berühmten Wandbilder, in Orgosolo anschauen will.

Murales – stummer Protest an den Hauwänden. Die naiven politischen Wandbilder und Fassadenmalereien, für die einige Orte auf Sardinien berühmt sind, haben Unterdrückung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit zum Thema. Seit Ende der 1960er Jahre schmücken sie die Hauswände in Orgosolo, Oliena und vielen anderen Orten. Sie berichten in Bildern und Schriftzügen von der jahrtausendealten Problematik Sardiniens. Ihren Ursprung haben die Murales in San Sperate und nicht in Orgosolo.

Standen Anfangs Themen wie Polizeistaat, soziale Ungerechtigkeit oder atomares Wettrüsten im Vordergrund, herrscht heute die Freiheit der Kunst. Die Themen, Stile und Motive der Bilder sind völlig unterschiedlicher Natur. So findet man in Orgosolo Helmut Schmidt, der wegen Stammheim als Experte in Sachen Staatsmord gebrandmarkt wird, romantisierende Darstellung des Hirtenlebens oder Kunstwerke im Stile Kandinskys. Es entstehen immer neue Wandbilder, die alten verwittern zusehends, weil die kleinen Gemeinden kein Geld haben, die eindrucksvollen Kunstwerke vor dem Verfall zu bewahren.

Unterdrückung, Überlebenskampf und unermessliche Opfer – Orgosolo hat es geschafft, dass seine tragische Geschichte kein touristischer Zirkus geworden ist. Wir haben uns Zeit genommen, nicht nur die Hauptstraße entlang zu laufen, sondern auch die Nebengassen zu erforschen. Orgosolo ist eine Freilichtgalerie, die fortwährend mit immer neuen, meist auf aktuelle Ereignisse bezogenen Wandbildern ergänzt wird.

Geschichte: 1903 bis 1917 starben in Orgosolo über 50 Menschen im Rahmen eines Familienkrieges - disamistade, der durch eine Erbschaftsstreitigkeit zweier verwandter Suppen ausgelöst wurde. Anfang bis Mitte der 1950er Jahre erschütterten mehr als 30 Morde die Region. Raubüberfälle und Viehdiebstahl waren an der Tagesordnung. Aber die Geschichte Orgosolos ist mehr als blutige Verbrechen, sie handelt auch von bitterer Armut, Ausbeutung und Unterdrückung. Eine Geschichte des verzweifelten Widerstandes einer archaischen Hirtengesellschaft gegen den Drang des modernen italienischen Staatswesens.

Einen friedlichen Sieg errangen die Orgosolesi 1969 im Kampf um den Pratobello, ihr gemeindeeigenes Weideland. Die mit knorrigen alten Korkeichen bewachsene Hochebene sollte ein Nato-Truppenübungs-Platz werden. Als die Soldaten und Panzer anrückten, stellte sich ihnen die gesamte Bevölkerung entgegen: Männer, Frauen, Kinder – Alte und Junge blockierten die Straßen und besetzten solange die Weiden, bis die Armee den Rückzug antrat. So wurde Pratobello zum Symbol des Widerstands der Sarden gegen Rom und Italien.

„Phönizier, Römer, Pisaner, Spanier und Piemontesen – das Volk der Sarden wurde niemals wirklich vom Staat und im modernen Staat verstanden. Es blieb immer in sich eingeschlossen, eingegrenzt, abgesondert, mit seinem archaischen Lebensgesetz von Gerechtigkeit und Rache, mit seinem alten Hirtenberuf.“ – der Schriftsteller Carlo Levi 1963.

Seit vor ca. 4.000 Jahren Hirtenstämme nach Sardinien einwanderten, wird auf der Insel Vieh- und Weidewirtschaft betrieben. Mit der Inbesitznahme fremder Eindringlinge wurden die Hirten in das steinerne, unwirtliche Herz Sardiniens abgedrängt, das Barbarenland – die Barbagia. Schon Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends entwickelte sich ein spontaner, unorganisierter Widerstand in Form blutiger Raubzüge gegen die Besetzer. Unter römischer Herrschaft wurden aus den Hirten „fellbehangene Banditen“. Seit dem Mittelalter sagten die Besetzer: Sardischer Hirte ist gleich Bandit.

Eine gänzlich vom Fortschritt isolierte, von Ausbeutung und bitterem Unrecht einerseits sowie grenzenloser Gier und Willkür andererseits geprägte Gesellschaft, wie sie ab dem 14. Jh. unter dem feudalen aragonischen Terrorregime Gestalt annahm, bereitete den Boden für das berühmt-berüchtigte sardische Banditentum.

Missernten, Hungerkatastrophen, Malaria, Pest, Cholera bestimmten das Bild, während eine kleine Oberschicht ein üppiges Leben führte. Räubereien und Viehdiebstähle nahmen zu. Erste Robin Hoods betraten die Szene. Sie riefen die Bevölkerung zur Steuerverweigerung auf und gingen mit Gewalt gegen Staatsdiener vor. Der Erlass zur Einfriedung verursachte ein Jahrzehnt lang einen Bürgerkrieg. Hungernde Hirten rissen die tancas, die Steinmauer nieder oder ritten eine bardana, einen blutigen Raubzug gegen die neuen Padrones. 1851 verhängte man das Standrecht über die gesamte Barbagia, womit die Menschen einer ganzen Region automatisch zu Verbrechern erklärt wurden. Selbst Beerensammeln wurde unter Todesstrafe gestellt. Auf der Flucht vor den Strafbehörden erwies sich die Vertrautheit der Hirten mit der rauen Bergwelt jedoch als Vorteil. Trotz Treibjagden gelang es nicht, sie zu fassen. So wurden ihre Familien, selbst ganze Dörfer in Sippenhaft genommen. Aber man schwieg. Omerta, Schweigepflicht umhüllte die Hirtenkultur, wie die Stille der Natur, in der sie ihre Wurzeln hatte. Einen ehrenwerten Banditen verriet man nicht gemäß einem uralten Rechtsempfinden – des Gesetz der Ehre.

Zur Klärung von Streitigkeiten benötigte man in den Dörfern keine staatliche Gerichtsbarkeit, geregelte Selbstjustiv – vindicau – lautete der Grundsatz, nach dem der Familienrat zusammentrat und urteilte. Viehdiebstahl, eigentlich ein Kavaliersdelikt, konnte eine jahrelange, über Generationen hinweg, disamistade – Familienkrieg – nach sich ziehen. Nur Kinder blieben verschont.

1961 geriet Orgosolo in die Schlagzeilen, als man in seiner Nähe ein entführtes englischen Journalistenpaar ermordet auffand. 3 Tage später wurden zwei der Täter ermordet. 14 Tage später erschoss Graziano Mesina – nachgewiesener 25-facher Mörder und in den Augen vieler der letzte ehrenwerte Bandit auf Sardinien – Andrea Muscau, der vorher Grazianos Bruder Giovanni getötet hatte, den Mörder der englischen Journalisten. Eine Frage der Ehre – so oder so. Danach herrschte Krieg in Orgosolo. Die baschi blu (ähnlich der deutschen GSG 9) kam zusammen mit 3.000 Soldaten, Polizisten und Carabinieri auf die Insel.

Entführungen waren eine neue Erscheinung auf Sardinien. Sie setzen Anfang der 1960er Jahre ein, mit der touristischen Erschließung der Insel. Reiche Urlauber brachten andere Sitten und eine andere Moral mit nach Sardinien. Spekulanten kauften ganze Küstenstriche. Überlieferte Werte waren plötzlich in Frage gestellt. Die „ehrenwerten Banditen“ traten zurück und überließen von Geldgier getriebenen Verbrechern mit weißem Kragen und gewöhnlichen Kriminellen die Bühne.

1996 wurde, neben 21 Sizilianern, auch ein Hirte aus Ottana verhaftet. Er war der verlängerte Arm der mächtigen Familie Alcamo aus dem sizilianischen Trapani, in deren Auftrag er auf Sardinien eine mafiose Struktur aufbauen sollte.

Interessant ist, dass die Kriminalitätsrate auf Sardinien im Verhältnis zur Einwohnerzahl nur halb so hoch ist wie im übrigen Italien.

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© Uschi Agboka, 2018
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Die Reise
 
Worum geht's?:
2017 - Italien - Tour durch das eher unbekannte Sardinien - L'autentica Sardegna Teil 1 - Anreise 31.08. bis 06.09.2017 Teil 2 - Sorgono 7. 15.09.2017 Teil 3 - Arbus 16. bis 21.09.2017 Teil 4 - Villamassargia - 22.09. bis 2.10.2017 Teil 5 - Heimreise 3. bis 5.10.2017
Details:
Aufbruch: 31.08.2017
Dauer: 5 Wochen
Heimkehr: 05.10.2017
Reiseziele: Italien
Der Autor
 
Uschi Agboka berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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