Heilige Kuh! 7 Wochen Indien

Reisezeit: September - November 2006  |  von Anne Obert

Eine indische Zugfahrt

Eine indische Zugfahrt:

Ich liebe Zugfahren.

Besonders Nachtzug oder ganz frueh morgens. Nachtzug gibt einem das Gefuehl von Abenteuer und einer langen bevorstehenden Reise. Diese geht in der Regel mit mehreren Stunden Warten auf einem ueberfuellten Bahnhof los. Doch dazu spaeter.

Ein Ticket fuer einen Nachtzug zu bekommen, ist nicht einfach und kann gelegentlich in einen tagelangen Kampf aus Warten, Hoffen und Bangen ausarten. Eine Milliarde Inder scheint staendig auf der Schiene zu sein. Wenn man nur ein "Waiting list ticket" hat, ist bis zum Abfahrtstag unsicher, ob man mitgenommen wird. Man kann dann eine Stunde vor Abfahrt auf einer Tafel am Bahnhof in endlos langen Listen unter Hunderten von Namen versuchen, seinen eigenen zu finden und die dazugehoerige Sitzplatznummer. Mit Glueck findet sich spaeter der eigene Name auch auf einer Liste, die aussen am Zug haengt. Da fuehlt man sich doch gleich willkommen.

Und man ist erleichtert, da man zwischenzeitlich ja schon Einiges erlebt hat: Bahnhoefe sind bevorzugter Aufenthaltsort von Moskitos und Dieben. Man tut also alles dafuer, um mitten in der Nacht hellwach zu bleiben. Allerdings wird einem das manches mal auch ein wenig erleichtert, da auf indischen Bahnhoefen Einiges geboten ist.

Insbesondere das Verhalten von Kuehen auf Bahnsteigen und Bahngleisen ist immer wieder spannend. Auf indischen Bahnhoefen liegen in der Regel einige Hundert Menschen rum und schlafen oder schlafen auch nicht, jedenfalls aber liegen sie offensichtlich gern auf dem Boden. Die Kuehe wandern dann zwischen den liegenden Menschen umher und lassen gern im Gehen auch mal was fallen. Aus grosser Hoehe flatscht die Scheisse zwischen die herumliegenden Inder. Langsam werden sich diese der Situation bewusst und gucken sich im Zeitlupentempo um, ob sie von spritzender Kuhscheisse getroffen wurden. Waehrenddessen hat sich die Kuh schon aus dem Staub gemacht, aus dem Bahnhof heraus, oder vielleicht auch die Treppe zur Ueberfuehrung hinauf?

Eine bemerkenswerte Frage ist naemlich die: Wie kommt die Kuh wohl auf Bahnsteig Nummer 3 und 4? Sie muss wohl die Ueberfuehrung genommen haben.

Spannend auch das Verhalten von Kuehen auf Gleisen. Hatte einmal waehrend einer langen Wartephase mehrere Stunden Zeit, eine Kuh zu beobachten, die je nach Zugverkehr immer von Gleis 1 auf Gleis 2 gewechselt ist und zurueck. Schoen, dass sich Zug und Kuh so gut vertragen.

Also, dann nach laengerem Warten, endlich der Zug. Der Zug ist ungefaehr einen Kilometer lang. Man versucht bereits beim Einfahren, eine Idee davon zu bekommen, wo sich das eigene Abteil befinden koennte. Einer vagen Vorstellung folgend, schnappt man seinen Koffer und beginnt, den Bahnsteig entlangzuhasten, in der Hoffnung, vor der Weiterfahrt sein Abteil zu finden. Zwischenzeitlich ein Hoffnungsschimmer: Es muss wohl noch einen Weile dauern, bis der Zug abfaehrt, da vor jeder Tuer der Holzklasse ungefaehr 50 Menschen versuchen, sich neben-, ueber- und untereinander durch die Tuer zu zwaengen. Wenn man von aussen einen Blick durch das vergitterte Fenster in das Abteil ergattert, wird einem der Grund fuer die Panik klar: Bereits vor Abfahrt sind alle Plaetze gnadenlos ueberfuellt. Irgendwann schafft man es dann doch, sein Abteil zu finden. Sodann also die Suche nach der reservierten Liege. Nachts reist man privilegiert und mit Reservierung.

Liege gefunden. Man beobachtet, wer sich so um einen herum niederlaesst. Wird selbst beobachtet. Dann beginnt die Diskussion darueber, wer mit wem die Liege tauschen koennte. Der eine ist fusskrank und kann nicht auf die obere Liege klettern, die andere ist schwanger und ich selbst bevorzuge statt dem kurzen seitlichen Bett ein laengeres im Compartment. Da die Inder fuer gewoehnlich eher klein sind, bestehen gute Chancen, mein seitliches Bett gegen ein oberes Bett im Compartment zu tauschen. Lange Diskussionen, wer wo hin ziehen koennte. Am Ende ziehen fast alle um, und jeder ist zufrieden. Ich liebe diese Offenheit.

Spannend ist es, am naechsten Morgen frueh in einer fremden Stadt anzukommen. Man wird von Portern empfangen, die einem den Koffer foermlich aus der Hand reissen, um ihn auf dem Kopf irgendwohin zu tragen. Dann allerdings die leidige Diskussion um Geld. Manche der Porter sind mit 10 Rupee zufrieden. Andere fangen an, zu diskutieren und wollen, 20, 30 oder unverschaemte 50 Rupee. Ich glaube, dass 10 Rupee fuer 3 bis 5 Minuten eine angemessene Summe ist, wenn man bedenkt, dass die Menschen in laendlichen Gebieten zwischen 16 Rupee am Tag (Frauen) und 24 Rupee (Maenner) verdienen. Dann erstmal ein Kaffee zum Wachwerden.

Schoen auch die Situation, frueh morgens abzureisen. Morgens zwischen 5 und 6 h auf einem indischen Bahnhof: Es ist noch dunkel, viele Menschen, geschaeftiges Treiben. Kaffee fuer 5 Rupee an einem Stand am Bahnsteig. Porter, die den Koffer mit Glueck in den Zug und auf die Ablage transportieren.

Abfahrt. Langsam wird es hell draussen. In der Luxusklasse wird kostenlos Fruehstueck auf einem Tablett serviert. Tee, Falafel, Pommes und Erbsen. Waehrend des Fruehstuecks kann man zusehen, wie die Leute - mittlerweilse ist es hell - neben den Bahngleisen ihr morgendliches Geschaeft verrichten. Beliebt ist es, sich auf neben der Spur liegende Gleise zu hocken und von diesen herunterzuscheissen. Mahlzeit.

Waehrend des Fruehstuecks unglaubliches Schmatzen vom Nachbarn und danach das obligatorische CRRRRRRRRRRCCCCKKKKKKK. Lautstark wird irgendwas (was nur?) aus den Tiefen indischer Lungen nach oben befoerdert. Frage mich: Ist das noetig? Offensichtlich schon. Dann Ruelpsen. Auch sehr gaengig. Ist wohl Audruck, dass es einem geschmeckt hat.

Tagsueber reise ich auch gern mal Holzklasse. Immer wieder spannend. Leute steigen ein und aus, es gibt immer was zu beobachten. Unglaublich, wo und wie die Leute sich hinsetzen, wenn (nach europaeischer Vorstellung) gar kein Platz mehr ist. Wenn auch nur ein Zentimter Bank frei ist, wird dort eine viertel Pobacke platziert, die dann nach und nach in Richtung auf den eigenen Schoss draengt. Wenn man rueckt, weil es dann doch ein bisschen eng wird, rueckt die Pobacke sofort nach. Auf der anderen Seite gern eine Familie mit mehreren Kindern. Und schon kommt noch jemand von der anderen Seite dazu. Privatsphaere kennt man hier nicht.

Fruehstueck wir hier nicht auf dem Tablett serviert, aber auch in der Holzklasse kommt staendig jemand vorbei, der Tee, Kaffee, Omlett, Tali oder Falafel verkauft. Immer koestlich. Allerdings seit meinem Ausflug in die Zugkueche nicht mehr konsumierbar.

Daneben Bettler, die ein- und aussteigen, Kinder, die Essen haben wollen und Musiker, die Geld wollen.
Ein Highlight auch die Kinder, die auf dem Boden kriechen und so tun, als wuerden sie diesen aufwischen. Im Wesentlichen schieben sie mit einen wahnsinnig ekligen Lappen den Dreck hin und her und wollen Geld dafuer. Wenn man Pech hat und gerade eingenickt ist, wischen sie einem - um Aufmerksamkeit zu erlangen - mit dem widerlichen Lappen ueber die frisch pedikuerten Fuesse. Dumm gelaufen.

Ankunft in einer neuen Stadt, Porter, Taxifahrer, Rikschafahrer, Kaffee.

© Anne Obert, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Von Norden nach Süden, mit Zug, Bus, Auto, Rikscha, Kamel, Pferd ... Zu zweit und allein, krank und gesund, alles einmal dabei. Ein indisches Abenteuer.
Details:
Aufbruch: 21.09.2006
Dauer: 7 Wochen
Heimkehr: 08.11.2006
Reiseziele: Indien
Vereinigte Arabische Emirate
Der Autor
 
Anne Obert berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.