Batterien aufladen

Reisezeit: Mai / Juni 2010  |  von Beatrice Feldbauer

Diese Reise ist eine Mischung von Abenteuer und Arbeit. Seit ich im August 2008 zum ersten Mal in Peru war, lässt mich das Land nicht mehr los. Ich habe danach im Regenwald am Amazonas eine Lodge gebaut und bin jetzt dabei, sie bekannt zu machen. Das ist an sich schon ein Abenteuer. Diesmal will ich aber das Dschungelfeeling noch etwas ausbauen und reise mit dem Frachtschiff von Pucallpa nach Iquitos... wer reist mit?

Fliegen

Ich sitze im Flugzeug. Endlich. Während der letzten sieben Monate musste ich immer wieder hören, 'Bist du nicht unterwegs?' 'Kommst du gerade von den Ferien zurück?' 'Wann fliegst du das nächste Mal?' Ich scheine einen ziemlich zweifelhaften Ruf zu haben. Nein, ich war am Arbeiten, und zwar sehr intensiv. Anders könnte ich mir mein aufwändiges Hobby gar nicht leisten. Aber jetzt ist es soweit, ich fliege nach Peru. Das heisst zuerst nach Madrid. Unter mir liegt eine dichte Wolkendecke und verdeckt die Sicht auf die Landschaft. Ich vertiefe mich in ein Sudoku. Zu blöd, nicht einmal ein Einfaches bringe ich in angemessener Zeit fertig. Und dabei bin ich doch immer so stolz auf mein Flair für Zahlen.

Kurz vor Madrid geht der Wolkenvorhang auf und unter mir liegt ein Puzzle von in sich greifenden Feldern. Da gibt es frisch gepflügte Äcker, sattgrüne Kulturen und Olivenhaine mit ihren schnurgerade angepflanzten Olivenbäumen. Es sieht wunderbar geordnet aus. Manchmal fehlt ein Puzzleteil. Das ist da wo Maschinen grosse Wunden in die Landschaft geschlagen haben. Man holt Kies oder Sandstein heraus. In hohen Treppenstufen wird das Gelände abgebaut. Wer wird diese fehlenden Puzzleteile irgendwann ersetzen?

Und dort gibt es neue Überbauungen. Das Gelände ist eingeteilt, Strassen gebaut, die Terrains abgesteckt. Auf einem Teil steht bereits ein Gebäude, ein Gebäudekomplex. Mir kommt es vor wie beim Monopoly-Spielen. Das Gelände ist gekauft, später werden Häuser, Hotels gebaut und diese drängen sich auf den paar Zentimetern, die man auf dem Spielfeld zur Verfügung hat. Doch schon bald verdrängen grosse Industriegebäude die beschauliche Landschaft. Eine riesige Tankanlage, Parkplätze mit Tausenden von Autos und da haben wir auch schon die Landebahn erreicht.

Seit ich das erste Mal vor 10 Jahren in Madrid gelandet bin, hat sich der Flugplatz enorm verändert. Damals spazierten wir einfach hinaus, baten einen Taxifahrer, uns Madrid zu zeigen weil wir vier Stunden Zeit hätten. Das erste was er uns zeigte, war das Barnabeo-Stadion. Er war so stolz darauf, dass er sogar vergass, uns den Eintritt zu kassieren, den er für uns auslegte.

Heute gibt es hier riesige Hallen. Auch wenn es Tag wäre, käme es mir nicht in den Sinn, das Flughafengebäude zu verlassen. Aber es ist Abend. Wir sind in den letzten Sonnenstrahlen des Tages gelandet. Mein Weiterflug geht kurz nach eins und ich suche das nächste Gate. Die Zeit ist angegeben, mit der man rechnen muss 23 Min. bis R S U. Lange Rollbänder fahren durch die Hallen. Vorbei an immer gleichen DutyFree-Shops, an langweiligen Imbiss-Buden. Preparado para comer - ready to eat - bereit zum Essen, steht über der Theke. Ja was denn sonst? Dürfte aber trotzdem etwas mehr bieten als nur die ewigen Sandwichs und Donuts, begleitet von Kaffee oder Cola.

Ich fahre mit der Rolltreppe hinunter. Immer tiefer hinunter. Auch die roten Rollschriften, die für die Shops Werbung machen, fahren hinunter. LAS TIENDAS DEL AEROPUERTO. Endlos verkünden Sie ihre Botschaft. Mit dem Zug fahre ich zur nächsten Halle. Sie unterscheidet sich von der ersten nur durch die Farbe der Stahlträger. Orange, was vorher gelb war.

Ich bin in der Halle R S U. Mein Flug hat Verspätung. Wird erst um halb vier abheben. Das gibt eine lange Nacht. Ich hole mir jetzt doch ein Sandwich. Mit Rohschinken. Und die Verkäuferin kann es sogar noch kurz in der Mikrowelle aufwärmen. Mit Speise und Trank ausgerüstet mache ich mich auf die Suche nach einer Steckdose. Es gibt nicht viele, in dieser riesigen Halle. Die paar wenigen, die ich entdecke, sind vor den Shops, da müsste ich mich auf den Boden hocken. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass diese Zeiten für mich vorbei sind, es muss eine andere Lösung geben.

Mit der Zeit entwickelt man ein Gespür für Steckdosen oder einen Blick auf Leute, die eine gefunden haben. Und wirklich, in der Nähe eines grossen Feuerlöschers sitzt einer mit seinem Laptop und hat Stromanschluss gefunden. Zum Glück vervielfältigt sich in dieser Halle alles mit einigem Abstand und so finde ich beim übernächsten Feuerlöscher eine freie Steckdose bei einer Sitzgruppe. Jetzt nur noch das Boingo-Abo erneuern und ich bin online. In Peru ist Rommy ebenfalls online. Mit ihr will ich mich am Morgen in Lima treffen. Jetzt kann ich ihr meine Verspätung mittteilen, damit sie nicht zu früh hinfahren muss. Sechs Uhr war abgemacht, jetzt reicht es, wenn sie um acht herkommt. Nein, den Bus kann sie um diese Zeit noch nicht nehmen. Das scheint am frühen Morgen zu gefährlich zu sein. Sie wird sich ein Taxi organisieren.

Ich surfe noch ein wenig durchs Netz, schreibe da eine Notiz ins Facebook, lese dort ein paar News. Auf dem Amazonas ist ein Frachter gesunken. Es gab Tote. Das Schiff war überladen. Tolle Aussichten, genau da will ich nämlich hin. Werde also darauf achten müssen, ob das Schiff nicht überladen ist. Kann man sowas sehen? Abenteuer lässt grüssen.

Wie hat man früher ohne Laptop diese ewigen Stunden überbrückt, in denen man allein in einem Flugplatz hockt, auf den nächsten Anschluss wartet, eine Verspätung aussitzt?

Irgendwann ist es Zeit, einzusteigen. Ich habe einen Fensterplatz. Doch das nutzt gar nichts, draussen ist es dunkel. Ich bin müde. Es gibt Essen. Nachtessen? Frühstück? Meine Uhr zeigt fünf Uhr morgens. Aber ab jetzt hat Zeit keine Bedeutung mehr. Ab jetzt heisst es 12 Stunden warten. Und die Zeit geht nicht vorwärts, im Gegenteil, sie geht rückwärts. 7 Stunden ist der Unterschied zwischen Europa und Peru. Eine Zeitlang kann ich noch lesen, doch irgendwann döse ich ein. Und wenn ich erwache ist es da draussen noch immer dunkel, auch die Kabine ist abgedunkelt. Der Film der vorher noch irgendwo über einen weit entfernen Bildschirm flimmerte ist vorbei. Also, die Beine etwas strecken, versuchen, eine andere Lage einzunehmen und noch einmal zurück ins Land der Träume. Sie sind lang, diese Stunden im Flugzeug. Es gibt keine Ablenkung, kein Gespräch. Nur warten, dösen, dahindämmern. Ich brauche auch nicht mehr von Abenteuern zu träumen, ich habe es ja bereits gestartet.

Schon wieder ist es fünf Uhr - peruanische Zeit. Es gibt Frühstück. Ein paar Kekse und ein trockenes Minisandwich mit nicht definierbarem Inhalt. Das Beste ist der Ananas-Saft. Und dass es wieder Licht gibt. Draussen liegen tief unter mir die Anden. Und dann landen wir in Lima. Eine Stunde früher als geplant. Rommy ist bereits da. Ich kann ihr meine Extra-Tasche mit der Schokolade abgeben. Die würde meine Reise in den heissen Dschungel nicht überstehen, aber ich werde sie brauchen, wenn ich in den letzten Tagen meine Vorstellungstour durch die Reisebüros machen werde.

Jetzt muss ich noch für den nächsten Flug einchecken und endlich, eine Stunde später setzen wir uns ins Restaurant, bestellen einen Cappuccino und Rommy kann mir ihre Strategie erklären. Sie besitzt eine kleine Reiseagentur hier in Lima. Und sie hat uns bereits ein paarmal Touristen für unsere Lodge geschickt. Jetzt möchte sie eine grosse Kampagne starten. Ganzseitige Inserate in der grössten Zeitung von Lima. "Ich werde euch bekannt machen" sagt sie mit der Erfahrung von Leuten, die wissen, wie man sowas macht. Ich kenne diese Ankündigungen unterdessen zur Genüge. Bin vorsichtig geworden. Yohany, mit der ich am Anfang zusammen arbeitete, versuchte mir riesige Plakatwände vor dem Flughafen von Lima schmackhaft zu machen. Die Vorstellung ist natürlich verführerisch "Besucht La Fuente del Amazonas, die schönste Lodge des Landes", oder so ähnlich hätte die Botschaft wahrscheinlich gelautet.

"Was würde denn eine Seite, oder wenigstens eine halbe Seite kosten?" will ich wissen. Das weiss Rommy auch noch nicht so genau. Aber sie kennt einen Freund der in Iquitos ein Hotel hat. Den würde sie ebenfalls einladen, mitzumachen und ein paar andere organisieren ein Bierfest, auch die sind interessiert an der Kampagne. "Wie heisst denn das Hotel?" will ich wissen. Ähm, der Name ist ihr soeben entfallen und vielleicht hat sie ihn auch noch gar nie gewusst.

Ich bin vorsichtig geworden mit grossspurigen Auftritten. Und ich bin inzwischen überzeugt, dass es nicht nur an der Sprache liegt, dass ich den Überlegungen meiner zukünftigen Geschäftspartner nicht immer folgen kann. Sie sind immer sehr grosszügig mit ihren Ideen, wenn es aber darauf ankommt, das Taxi zum Flugplatz zu zahlen, übersteigt das ihr Budget bei weitem. Auch einen Besuch bei uns in Iquitos hat sie vor Monaten angekündigt, hatte sogar das Flugticket bereits organisiert. Mit einem befreundeten Paar und ihrem Sohn wollte sie kommen. Als wir nur sie allein gratis einluden, und für den Rest einen Spezialpreis offerieren, reduzierte sich die Gruppe um das Paar und obwohl ich ihr und ihrem kleinen Sohn inzwischen den Aufenthalt gratis anbiete, meint sie, dass sie im Moment so viele Kosten mit dem Umbau ihres Büros hätte, dass sie sich den Flug gerade nicht leisten könne.

Mein Flug geht in einer halben Stunde, ich muss los. Die Inseratenkampagne muss warten. Ich will noch wissen, was mich das kostet und wie das aussehen wird. Für die Gestaltung des Inserates hat sie einen Freund zur Hand, der das sehr günstig macht. Ich bin gespannt, wie sich die Idee weiter entwickelt, verabschiede mich herzlich von Rommy, immerhin hütet sie ein paar Kilos Schokolade für mich und sitze schon bald in einem kleineren Flugzeug, das mich nach Pucallpa bringt. Dass ich für Rommy ein paar Extra-Lindorkugeln mitgebracht habe, versteht sich von selbst.

Ankunft in Pucallpa am Ucayali

Ankunft in Pucallpa am Ucayali

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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: 29.05.2010
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 20.06.2010
Reiseziele: Peru
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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