Mauretanien - Senegal - Kapverden

Reisezeit: Mai / Juni 2001  |  von Peter Kiefer

Mauretanien: Chinguetti: Von Vermummten und von Nackedeis

1. Juni 2001, Chinguetti:

Man blickt von der Höhe unseres Zimmers auf ein chaotisches Sammelsurium von flachen Tafeln, einen Friedhof. Dahinter reihen sich Palmen, Lehmhäuser, andere Häuser aus unbehauenen Steinen. Ein Bilderbuchpanorama. Bald aber, als wir mit dem Einsetzen der Tageshitze unterwegs sind, wird Chinguetti von der gleißenden Sonne verwischt, erstickt. Was wie "schmiegt sich in die Dünenlandschaft" anmutet, ist die sichtbar fortgeschrittene Bedrohung vom Sand begraben zu werden. Der Markt, man mag ihn kaum so nennen, ist ärmlich und bietet zum Frühstücken keine Möglichkeit. Jemand lotst uns in eine auberge. Der Tee wird auf die übliche Weise zubereitet: Schon während des Aufbrühens überm Holzfeuer wird er ständig im hohen Bogen umgegossen: von der Kanne in kleine Gläser, von Glas zu Glas, wieder zurück in die Kanne. Schaum setzt sich allmählich an den Glasrändern ab, nimmt an Volumen zu, bis einem der maître du thé (ich nenne ihn nur so) ein schäumendes, stark gesüßtes Glas reicht; flüchtig könnte man es mit einem bräunlichen Bier verwechseln. Nicht wegen des Tees, noch weniger des kleinen Baguetts und dem bisschen Marmelade - dass so ein Frühstück umgerechnet zehn Mark kostet, muss noch einen anderen Grund haben. Eine Herberge - ich spinne's mir jedenfalls so zurecht - ist kein Café, kein Restaurant, man zahlt nicht nur fürs Essen, man zahlt auch für die besondere Obhut, in die man sich begibt. Der Wechsel von auberge zu auberge, den wir gerade, wenn auch unabsichtlich vollzogen haben, ist kostspielig. War's Ahmed, der uns hierher gebracht hat? Ich erinnere mich nicht genau, jedenfalls erzählt er, dass er schon Leute mit Kamelen durch die Wüste geführt hat. Nach Ouadâne zum Beispiel? (Da wollen wir nämlich hin.) Schon, aber normalerweise nicht zu dieser Jahreszeit. Normalerweise. Schwer zu sagen, wer wen dann wozu überredet hat: Wir werden jedenfalls (vom morgigen Tag an) mit diesem Ahmed unsere Wanderung beginnen.

Durch die Wüste.

Durch die Wüste.

Er bietet sein Haus zum Übernachten an, alles gratis, der Tee, das Essen, ein Besichtigen der Oase. Die Leute vom Caravanes behandeln uns sehr reserviert, als wir kommen, um unser Gepäck zu holen. Der Manager wird Ahmed sogar einen Besuch abstatten, wird ihn beschuldigen uns abgeworben zu haben. Ein lukratives Geschäft geht ihm flöten. Sogar mit "Polizei" habe er gedroht, berichtet später Ahmed. Chinguetti ist ein geteilter Ort mit einer so zu sagen grünen Grenze, einem mit Palmen bewachsenen wadi. Der alte, der historische Teil von Chinguetti liegt auf der uns gegenüberliegenden Seite. Kaum vorstellbar, dass diese Stadt mit heute 2.000 Einwohnern einmal ein Sammelort für Mekkapilger gewesen ist, ein Kreuzungspunkt riesiger, nach Tausenden von Tieren zählenden Karawanen, ein Ort auch der Gelehrsamkeit. Die Koranbibliothek beherbergt noch Schriften aus dem 13. Jahrhundert, der Zeit, als Chinguetti gegründet wurde. Ein Holzkeil, der zwischen die Ösen der beiden schmalen Türflügel geschoben ist, verschließt die Tür des Hauses. Wer ahnt schon, dass man ihn nicht einfach entfernen kann, sondern einen Schlüssel dazu benötigt. Der Schlüssel sieht aus wie eine überproportionierte Zahnbürste mit Nägeln statt Borsten. Indem man diesen Schlüsselbart von unten in das Querholz eindrückt, trifft er auf Löcher von gleicher Anordnung und erst jetzt kann man das Querholz wegnehmen. Offen gestanden, bin ich nicht ganz hinter das Geheimnis gekommen, Tatsache ist nur, dass so ein Schloss Teil einer Handwerkskultur ist, deren Verschwinden vom patron der Bibliothek zwar nicht aufgehalten, aber wenigstens dokumentiert wird. Er hat nämlich ein "Museum" zusammengestellt, kaum mehr als eine Rumpelkammer mit alten Gerätschaften aus Ackerbau und Haushalt. Aus einem verstaubten Schrank holt er dann einige seiner Schätze hervor, Blätter mit kalligrafischen Schriften, Bruchstücke von Schriften, die erst im Anfangsstadium ihrer Restaurierung sind. Manches, sagt der patron, könne noch kraft der mündlichen Überlieferung ergänzt werden, 700 Jahre später! Die angrenzende Moschee ist zweihundert Jahre jünger als die Schriften, wir dürfen sie nicht betreten. Lediglich der Gesang der Koranschüler tönt von dort zu uns herüber. Weiter durch die Oase, die vom Sand umspült wird, der in alle Gassen, alle Ritzen vordringt. Eine stark nach vorn gebeugte, vermummte Alte gehört zu den Genrebildern. Schimpfend versucht sie zwei Ziegen aus ihrem Garten zu vertreiben, ohne Erfolg. Irgendwo werden Trommeln geschlagen. Ein angepflocktes Kamel schreit. Ahmed sagt, es werde am Morgen geschlachtet werden. Ein Kamel schlachten, ich habe Mühe mir das vorzustellen. Tee mit Mädchen und jungen Müttern, die sich auf ausgelegten Decken in der späten Nachmittagssonne um uns scharen. Ihre Neugierde, wie viele Kinder wir haben, und wir erzählen die üblichen Legenden. Karin zeigt passende Fotos. Darauf ist sie mit Kindern aus ihrer Gruppe abgebildet, halben und ganzen Nackedies, plus einer ebenso freizügig gekleideten Oma. Sie picknicken auf einer grünen Sommerwiese. Ein Mädchen, noch im Kindesalter und völlig verschleiert, ist unter denen, die sich die Bilder betrachten. Welche Gedanken sie wohl beim Betrachten hat? Ahmed lässt beiläufig durchblicken, dass er die Kamele für den morgigen Tag noch gar nicht aufgetrieben hat (und dass es bereits Absagen gegeben habe). Aber - wer hätte schon mit etwas anderem gerechnet? - pas des problémes.

© Peter Kiefer, 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eine Rucksackreise durch Teile Mauretaniens, des Sengal und der Kapverdischen Inseln, nur um irgendwo unterwegs meinen 50. Geburtstag zu feiern.
Details:
Aufbruch: Mai 2001
Dauer: circa 5 Wochen
Heimkehr: Juni 2001
Reiseziele: Mauretanien
Senegal
Kap Verde
Der Autor
 
Peter Kiefer berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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