Mauretanien - Senegal - Kapverden

Reisezeit: Mai / Juni 2001  |  von Peter Kiefer

Mauretanien: Chinguetti: Kamele und Sterne

2. Juni 2001, Chinguetti:

Und dann stehen sie doch bereit, drei Kamele für fünf Menschen. Mohammed ist der Besitzer, der "Kameltreiber"; Abderahman, ein munterer Teenager, fungiert als chef de la cuisine und Ahmed - mal sehen. Die einzigen Reiter sind Karin und ich; das dritte Kamel wird mit Rucksäcken, Wasserkanistern und einem größeren Zelt beladen.

Abderahman, le chef de la cuisine.

Abderahman, le chef de la cuisine.

Der Aufbruch ist vom Schreien und Ächzen der Kamele begleitet, es ist immer die gleiche Nummer: Sich aus ihrer Sitzhaltung erheben zu müssen, hört sich an, als unterzöge man sie einer grausigen Folter. Wenn sie sich dann aber in Bewegung gesetzt haben, sind sie willig, haben sie das Temperament von Zugochsen. Aber sie leugnen es doch mit jedem ihrer tastenden Schritte, mit der mechanischen Grazie ihrer Bewegungen. Übellaunig reagieren sie auf zu steile oder steinige Wegabschnitte und - wenn man sie zwingt sich wieder hinzusetzen. Sofort fängt das Geschrei von Neuem an. Dass wir rein zum Vergnügen auf ihnen reiten (was langweilig und auf Dauer ein wenig schmerzhaft werden kann), gehört zur Touristenfolklore; Kamele sind in erster Linie Packtiere. Die von Maulbeer- und anderen Bäumen gesäumte Piste, der wir folgen, wird auch von Autos befahren (auch wenn an diesem Morgen nur ein einziges unterwegs ist). Aber nach einiger Zeit biegt unsere kleine Karawane nach rechts ab und von da an gehen/reiten wir "querfeldein". Der heutige Aufbruch hatte sich wegen des säumigen Ahmed verzögert (der in der Nacht noch kilometerweit gelaufen ist, bis er endlich mit Mohammed und dessen Kamelen jemanden gefunden hatte, der bereit war die Reise mit anzutreten). Normalerweise bricht man zeitig am Morgen auf, um eine möglichst große Entfernung zurücklegen zu können, bevor die Hitze alles zum Erlahmen bringt. Dann aber lagert man einen großen Teil des Tages unter einem Baum, ehe am späteren Nachmittag die nächste Wegstrecke folgt. Als wir das erste Mal abgestiegen sind und uns in den Schatten eines Baumes drücken, spielt uns einer der Ziegenhirten etwas auf einem selbst gebauten Zupfinstrument vor, einer Hybride aus einer verbeulten Olivenöldose, einem Stock und etwas Draht. Über uns, kaum sichtbar, kreischen gelb gefiederte Vögel in der dornigen Baumkrone. Sie sind anfänglich aufgescheucht worden von den Kamelen, die ihre Hälse zeitlupenhaft ins Geäst stecken und die jüngeren Triebe verspeisen. Man wandert im Lauf der Zeit immer mit dem Schatten um den Baum herum und ist darauf bedacht auch die Gepäckstücke aus der Sonne zu schaffen; sie könnten - blanker Unsinn - anschmoren. Die Zeit vergeht mit Lektüre, Gesprächen, Wassertrinken und Spielen (zum Beispiel eine Art Backgammon mit den ausgetrockneten Kotkügelchen der Kamele). Dann endlich weiter; bis zum Abend wollen wir ein Nomadenlager erreichen. Die Bilder der Wüste gleichen heute jenen der Abenteuerromane, die ich als Kind - man sagt ja gerne: "unter der Bettdecke" - gelesen habe. Ein paar von fern grüßende Menschen, die auf Trampelpfaden mit ihren Ziegen umherziehen. Auch das: Kinder, die um einen sprudelnden Brunnen herumtollen, der bis hinunter zu einem unterirdischen See reicht. Vor allem aber eine Dünenlandschaft, die alle wunderbaren Klischees bedient, windflüchtige Palmen, Wellenmuster, der aufgewirbelte Sand auf den Dünenkäm-men, der sich allmählich rötende Himmel, die Postkartenpoesie unseres Kameltrosses noch inklusive. Dann, da ist die Dämmerung schon weit fortgeschritten, das angekündigte Lager der Larlelle-Nomaden. Sichtbar zunächst nur ein kleineres weißes Zelt, dann auch die Umrisse eines größeren schwarzen. Männer sitzen in kleineren Grüppchen zusammen, trinken Tee. Eine Frau, die ebenfalls dabeisitzt, will ich wie die anderen mit einem Handschlag begrüßen. Sie macht eine schüchterne Abwehrbewegung und mir wird bewusst, dass ich einen Fauxpas begangen habe. Einer Frau die Hand schütteln! Und wenn nur noch das Mondlicht leuchtet, sind alle Mauren grau. Deshalb strecke ich auch unserem Mohammed, den ich nicht gleich erkannt habe, die Hand hin. Verwunderung und Gelächter. Beeindruckend, wie unser junger Koch, wie Abderahman einen alten Mann, der auf einer Decke hockt, begrüßt: Mit gesenktem Kopf beugt er sich zu ihm hinunter, der Alte umarmt ihn und beide führen in dieser Umarmung ein langes Wiedersehensgespräch. Fürs Couscous mit Kamelfleischsoße bin ich bereits zu müde. Ahmed will das mitgebrachte Zelt für Karin und mich aufschlagen, nicht aus Gründen eines fragwürdigen Komforts, sondern damit die Moral gewahrt bleibt. Wir haben uns aber längst für den Sternenhimmel entschieden, nehmen deshalb die Schlafsäcke und entfernen uns ein Stück vom Rest der Gemeinde.

© Peter Kiefer, 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eine Rucksackreise durch Teile Mauretaniens, des Sengal und der Kapverdischen Inseln, nur um irgendwo unterwegs meinen 50. Geburtstag zu feiern.
Details:
Aufbruch: Mai 2001
Dauer: circa 5 Wochen
Heimkehr: Juni 2001
Reiseziele: Mauretanien
Senegal
Kap Verde
Der Autor
 
Peter Kiefer berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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