Mauretanien - Senegal - Kapverden

Reisezeit: Mai / Juni 2001  |  von Peter Kiefer

Mauretanien: Diebe

4. Juni 2001:

Irgendwo fernab. Wenn zwei sich begegnen, entspinnt sich ein stakkatohaftes Frage- und Antwortspiel, unterstützt von einem ebenso rhythmischen beiderseitigen Anschlagen der Fingerkuppen. Was wie eine heruntergeleierte Checkliste des Wohlbefindens und wie lauter verhinderte Handschläge anmutet, hat einfach den Zweck ein soziales Band zu bekräftigen, eine gemeinsame Stammeszugehörigkeit, zumindest jedoch eine freundliche Gesinnung. Szenen dieser Art erleben wir wieder am heutigen Morgen beim Wasserschöpfen. Zu den durstigen Kreaturen, die ein Brunnen anlockt, gehören auch die wilden Kamele. Zaghaft, aber beharrlich kommen sie näher, als Mohammed mit Hilfe eines primitiven Krans den vollen Wassereimer aus der Tiefe holt. Es sind unwillkommene Bettler, die mit Stöcken und Schimpfen vertrieben werden. Anders Mohammeds Kamele; in drei, vier Zügen schlabbern sie einen Eimer Wasser auf. Der Brunnen selbst reicht ungefähr acht Meter in die Tiefe, bis hinunter zu dem bereits erwähnten unterirdischen See, der die ganze Gegend um Chinguetti versorgt. Auf dem weiteren Weg nach Ouadâne wird es nicht mehr viele Gelegenheiten geben Wasser zu schöpfen, deshalb werden die Kanister wieder gefüllt. Die Landschaft wechselt nun häufiger ihr Gesicht. Manchmal ist sie ein Meer aus gelben Grasbüscheln, ganz plan und nur gelegentlich mit kleinen dornigen Bäumen bestanden. Dann folgen steinige Passagen, Kalkstein, Muscheln. Tatsächlich ist auf einmal jedes Sandkorn eine winzige Muschel und stammt noch aus jenen Urzeiten, als der Ozean bis hierher vorgedrungen war. Abderrahman beruhigt mich, sagt, aus den Brunnen schöpfe man heutzutage ausschließlich Süßwasser, verdursten müssten wir also nicht. Er schenkt mir winzig kleine Steinwerkzeuge, die er im Sand findet.

Mohammed haut frisch ergrünte Äste mit dem Beil ab, Futter für die Kamele.

Mohammed haut frisch ergrünte Äste mit dem Beil ab, Futter für die Kamele.

Mohammed drückt mir zwei alte Gewehrkugeln in die Hand; er hat sie auf einem harten, vom Wind gefegten Stück Erde entdeckt und man möchte wissen, wer da im Nirgendwo auf einen Menschen oder ein Tier geschossen hat. Mohammed weiß es oder sagt es nicht. Den wunderschönen Baum, unter dem wir um die Mittagszeit lagern, hat er mit Bedacht ausgewählt. Denn kaum dass die Kamele entladen und an den Vorderbeinen gefesselt sind, setzt er sein Beil an und hackt dicke, frisch ergrünte Äste ab. Sie sind zart und dornig und die Kamele knabbern stundenlang daran herum - eine echte Delikatesse. Unterwegs schiebt Mohammed ihnen zusätzliche Bonbons, kleine Büschel Gräser, ins Maul, die er im Vorbeigehen aufsammelt. Bei der abendlichen Rast hängt er ihnen einen Futtersack um, und um noch das letzte Körnchen darin aufzustöbern, strecken die Kamele sich im Sand aus und erinnern dabei an riesige, platt getretene Frösche. Gegen Abend die Oase Tenochert. Da, sagt Mohammed, betreibe sein Bruder eine auberge, und dort werden wir heute übernachten. Ein angenehmer, fast anheimelnder Ort: keine schwarzbraunen Lehmziegel, sondern Häuser aus leichtem Holz und Palmzweigen. Manche haben die rundliche Form von Zigarrenkippen und ihre Gartenzäune sind aus dornigem Baumgeäst. Im Garten der Herberge begrüße ich drei Männer, die Tee schlürfend auf einer Bastmatte sitzen. Kurze Zeit später sind sie der Mittelpunkt einer überraschenden Aktion. Denn plötzlich tauchen zwei Autos auf, das ganze Dorf strömt aufgeregt zusammen. Auch ich eile zum Ort des Geschehens, bekomme aber nicht mehr viel mit, weil die beiden Wagen gerade wieder abgefahren sind. Was zu hören ist: Die Ankömmlinge waren Polizisten und sie hatten zwei Kameldiebe verhaftet, zwei der Teetrinker von vorhin. Die Aufregung hat sich rasch wieder gelegt, die Dorfbewohner gehen zurück in ihre Häuser, die Dunkelheit bricht bald herein. Aus einiger Entfernung ist Musik zu hören, eine Hochzeit. Ich bin zu müde, um Abderahman dorthin zu folgen, Karin ebenso. Hinter der kleinen Einfriedung der Herberge schnarchen die Kamele. Ich starre beseelt den Mond an.

© Peter Kiefer, 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eine Rucksackreise durch Teile Mauretaniens, des Sengal und der Kapverdischen Inseln, nur um irgendwo unterwegs meinen 50. Geburtstag zu feiern.
Details:
Aufbruch: Mai 2001
Dauer: circa 5 Wochen
Heimkehr: Juni 2001
Reiseziele: Mauretanien
Senegal
Kap Verde
Der Autor
 
Peter Kiefer berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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