Auf dem Jakobsweg - von Pamplona nach Santiago de Compostela

Reisezeit: Mai / Juni 2014  |  von Hilde Lauckner

Vorbereitungen. Hamburg - Bilbao. Start in Pamplon: Obanos - Estella

16. Mai 2014 - Von Obanos nach Estella - 25 km

Der Schlafsaal ist nur halbvoll, aber einer der beiden italienischen Radfahrer schnarcht mächtig. Ab 4 Uhr höre ich immer wieder die Kirchturmuhr schlagen, um 6 Uhr macht der Herbergsvater das Licht an. Weil alle gleich bei der Ankunft geduscht haben, herrscht morgens kein Gedränge in den Waschräumen. Für mehr als 30 Betten gibt es nur ein WC/Dusche für Frauen und eines für Männer. In manchen Her­bergen sind Duschen und WCs nicht getrennt, werden von Männern und Frauen gleichermaßen ge­nutzt. Vor 7 Uhr sind alle fertig und auf dem Weg.
Im nächsten Ort, Puente de la Reina, halten wir für ein Frühstück. Der schöne alte Ort hat sei­nen Na­men von der sehenswerten Brücke aus dem 11. Jahrhundert. Unterwegs treffen wir Angela und Melba wieder, die uns von ihren geschälten Orangen abgeben. An Getreidefeldern vorbei steigt der Weg an und auf den Ort Cirauqui zu, der schon von weitem wie eine mittelal­terliche Festung aussieht. Der ca­mino führt uns durch einige winklige Gassen des malerischen Ortes. Dann kreuzt er - welcher Kontrast! - mehrfach die Autobahn.
In Lorca kehren wir in einer Bar ein, die von einem Spanier und einer Koreanerin betrieben wird. Bei ei­ner Pilgertour hat sie ihren Mann kennengelernt und ist hier hängenge­blieben. Er ist ein lie­ber sympa­thischer Mann, aber vergesslich und steht sich selbst im Weg. Sie behält die Übersicht und hat alles im Griff, hat Hinweistafeln auf koreanisch an die Tür ge­stellt, was dazu führt, dass viele der pilgernden Ko­reaner hier einkehren.
Bald kommen wir an eine andere alte Brücke, auf der etliche Pilger rasten. Vor ihnen steht die Koreane­rin, die ich gleich am ersten Tag im Waschraum kennengelernt hatte, barfuß im flachen Wasser. Aus vol­ler Kehle schmettert sie ein Lied, dazwischen immer wieder ein Jodler. Alle sind begeistert und klat­schen Bei­fall. Zum Abschluss filmt sie ihre Zuschauer.

Der nächste Ort, Villafuerte, hat eine schöne Parkanlage am Fluss, ansonsten finden wir das Dorf lang­weilig und beschließen, nach einer kurzen Rast noch etwas weiterzulaufen. Ein älterer Italiener kommt vorbei, er hat einen Rucksack mit Rädern. Bei geteertem Weg kann er sein Gepäck hinter sich herzie­hen. Die letzten Kilometer ziehen sich hin, es ist heiß, aber die Land­schaft sehr schön: Weizenfelder, darin ein Meer von roten Mohnblumen, dazu Thymian, Salbei und blühende Disteln am Wegesrand. Tausende Schwalben, Mauersegler am Fluss, ein Storchennest auf einem Schornstein.
In Estella gibt es mehrere Herbergen. Wir bleiben auf dem camino und kommen zur kommunalen Herberg­e, die schon gut gefüllt ist. Die Betten (für 6 €) stehen eng nebeneinander. Nach den 25 km sind wir müde und wollen uns so schnell wie möglich langmachen. Aber der Schlafsaal wirkt nur abschre­ckend. Ich fra­ge die Herbergsmutter nach einem anderen Zimmer, nein, hat sie nicht, aber dann fällt ihr doch etwas ein. In der oberen Etage schließt sie eine Gittertür auf, die zu einer hellen freundlichen Ab­stellkammer führt. Unter großen Dachfenstern stehen zwei schöne Betten neben den Putzmitteln. Wir sind begeistert und fühlen uns hier oben königlich. Um zur Dusche oder Toi­lette zu gelangen, müssen wir die inzwischen voll belegten Schlafsäle durchqueren, aber das nehmen wir gern in Kauf. Das Wäschewa­schen ist in manchen Herbergen problematisch, weil man nur auf dem Hof und mit kaltem Wasser wa­schen kann. Am besten nimmt man daher seine Sachen gleich mit unter die warmen Dusche.

Vor dem Weingut Monasterio de Santa Maria la Real de Irache gibt es zwei Hähne: aus dem einen fließt Wasser und aus dem anderen Wein.

Vor dem Weingut Monasterio de Santa Maria la Real de Irache gibt es zwei Hähne: aus dem einen fließt Wasser und aus dem anderen Wein.

17. Mai 2014 - Von Estella nach Los Arcos - 20 km

Zwar schlafen wir allein unter dem Dach, aber die Geräusche dringen gut zu uns nach oben. Ab 5 Uhr ste­hen die ersten Pilger auf. Auch wir packen im Schein unse­rer Kopflampen die Sachen zusam­men, denn die Deckenlampe unserer Oase geht nach einer Minute jedes Mal automa­tisch aus. Ab 6 Uhr wird es lang­sam hell. Nach Kaffee und Croissant in der Bar gegenüber machen wir uns auf den Weg. Die Spanier neh­men morgens nur ein sehr bescheidenes Frühstück ein. Das Croissant wird in der Regel mit einem kleinen Besteck serviert, recht praktisch.
Seit gestern hat Heide eine geschwollene Achillessehne, die schmerzhaft und beunruhi­gend ist. Bisher hatten wir ein gleiches Lauftempo, aber ab jetzt muss Heide sich auf das Gehen konzen­trieren und läuft langsamer. So wandern wir ab sofort getrennt, treffen uns manchmal bei einer Pause oder spätes­tens in der verabredeten Unterkunft.
Am Weingut Monasterio de Santa Maria la Real de Irache machen wir Halt. Im Hof gibt es an einer reich verzierten Wand zwei Hähne - einen für Wasser, den anderen für Wein. Mor­gens um 8 Uhr steht uns der Sinn noch nicht nach Wein, aber probieren müssen wir ihn jedenfalls. Der Weinhahn gibt nur einen klei­nen Schluck frei, schaltet sofort wieder ab. Nicht, dass jemand auf die Idee kom­men sollte, sich eine gan­ze Flasche zu füllen. Der kleine Schluck ist so sau­er, dass wir keinen Durst auf mehr haben.
Der Weg geht leicht bergan, durch Eichenwälder und an Getreidefeldern vorbei. Schon von weitem se­hen wir die Ruine einer alten Wehrburg aus dem 10. Jahrhundert auf einem stei­len Felsen (Pico de Monjar­din). Wir frühstücken in Villamajor de Monjardin. Inzwischen ist so warm geworden, dass wir draußen sitzen können. Ich probiere eine Tortilla, wie sie hier überall angeboten wird. Gekochte Kartof­feln werden mit Eiern in einer Pfanne zu einem Ku­chen geba­cken. Lecker, preiswert und immer frisch, weil sie so oft bestellt wird.

Danach folgen 12 Kilometer ohne Ortschaft. Der camino führt hier durch eine schöne Land­schaft mit vie­len Grüntönen. Heute gehen wir langsamer und machen öfter mal eine Pau­se. Mittags ist es sehr heiß, über 30 Grad. Bei der Pause im Schatten ist es dagegen so kühl, dass ich eine Ja­cke anziehen muss. Erst gegen 15.30 Uhr kommen wir in Los Arcos an. Hier wählen wir die Herber­ge der Österreicher und neh­men in einem Vierbettzimmer zwei Betten für 11 € pro Person. Heide vertraut ihren Fuß dem Masseur Konrad an, der als Freiwilliger in der Her­berge arbeitet, und der sie dann zum Arzt schickt. Eine kommu­nale Poliklinik hat auch an diesem Samstag Nachmit­tag geöffnet, die Behandlung ist für Rent­ner umsonst. Der Arzt hat ein Übersetzungspro­gramm, das sein Spanisch in ein witziges Deutsch umwandelt. Er ver­schreibt Ibuprofe­ne und empfiehlt Heide, kürzer zu treten.
Neben der Arztpraxis liegt der schöne sonnige Marktplatz. Wir genießen die kleinen gegrillten Paprika­schoten, eine spanische Spezialität. Dann kommen Angela und Melba, die Amerikanerinnen, vorbei. Auch die Marathonläuferin Angela hat es erwi­scht, nicht aber die unsportliche Melba. Sie hat eine Stu­fe über­sehen, ist gestolpert und sich den Knöchel verstaucht. Unterwegs hatte Angela immer wieder zusätzlich Melbas Rucksack getragen, also ihren eige­nen auf dem Rücken und einen zweiten vor dem Bauch. Auf dem Marktplatz treffen wir etliche Leute wieder, die wir in den letzten Tagen immer wieder gesehen ha­ben. In unserer Herberge treffen wir auch Robert, mit dem wir uns schon beim Früh­stück unterhalten haben. Er wohnte früher in Flensburg und ist dann nach Neuseeland aus­gewandert. Sein Job ist es, neuseeländis­che oder australische Yachten dahingehend zu prüfen, ob sie für eine Einfuhr nach Europa der EU-Norm entsprechen. Das muss ein Traumjob sein.
Unsere Herberge hat einen gemütlichen Innenhof und ein großen Aufenthaltsraum. Hinter einem Vor­hang massiert Konrad Heide und etliche andere Wanderer. Er hat keine festen Preise, nimmt, was man ihm an­bietet und fährt dabei sicherlich nicht schlecht. Er ist Ende 60, sieht zehn Jahre jünger aus und hat auf dem Jakobsweg seine zwei­te Frau kennengelernt. Er gehört zu den freiwilligen Hel­fern in der Herber­ge, arbeitet ohne Entgelt gegen Kost und Logis und darf das Geld, das er für seine Massagen be­kommt, behalten. Etliche Praktikanten arbeiten hier, sie kommen aus Frankreich, Italien, Österreich und Deutschland. Petra ist mit ihrem Hund Mambo aus dem fernen München hergewandert. Mit Zelt im Rucksack schleppte sie 15 kg. Seit drei Jahren macht sie solche Jobs.

Tagsüber ist es heiß geworden und die Rast auf der Isomatte ist wunderbar.

Tagsüber ist es heiß geworden und die Rast auf der Isomatte ist wunderbar.

18. Mai 2014 - Los Arcos

Wunderbar geschlafen! Im Bett über mir liegt eine junge Deutsche, die bei ihrer Ankunft Heide fragte, ob sie schnarche. Aber die Nacht war himmlisch ruhig. Wegen Heides Achil­lessehne ist ein Ruhetag eingep­lant. Zum Frühstück gibt es selbstge­backenes Brot und le­ckere Marmelade. Ich wandere über die Hügel rund um Los Arcos, gegen Mittag komme ich wieder zum Marktplatz direkt neben der Kirche. Sie ist ge­öffnet und der Anblick verschlägt mir den Atem. Dieser relativ kleine Ort hat ein unglaublich schönes Got­teshaus aus dem 12. bis 18. Jahr­hundert. Alle Figuren und Schnitzereien sind mit dunklem Gold überzo­gen. Auch die Or­gel, an der ein Organist gerade Choräle intoniert, passt wunderbar in die­ses Bild. Wel­cher Kontrast: hier diese beeindruckende Kirche und daneben der quirlige Marktplatz.
Auf dem Marktplatz lässt es sich wunderbar aushalten, die Sonne genießen und die Leute beobachten. Am Nebentisch sitzen drei Männer, mit denen ich ins Gespräch komme. Chris, aus Australien, Michael aus Südafrika und George aus England. Chris hatte viel Geld mit seiner Firma, die Kunstrasen vertrieb, ver­dient. Er hat die Firma verkauft und nun viel Zeit, in der Welt herumzureisen. Der Ältere, Michael, hat mit seinen Freunden immer viel Sport getrieben und ist fit. George ist halb so alt wie die beiden an­deren, hat seine Schuhe ausge­zogen und pflastert seine Füße. Obwohl er Engländer ist, verstehe ich ihn am schlech­testen.
In unserer Herberge lerne ich außerdem Richard kennen. Er ist Lehrer, kommt aus Alaska und reist sehr viel. In seiner Heimat leitet er Touren und für ihn sind 40-50 km Wandern am Tag in Ord­nung. Ri­chard vertritt eine Stiftung, hält Vorträge und sammelt Geld für sein Schulprojekt, mit dem er die Bedingun­gen für benachteiligte Schüler verbessern will. Von Bill Clinton hat er mehrere Millionen für sein Pro­jekt be­kommen, über das er ein Buch geschrieben hat: "The Education Re­volution". Wir sitzen im Hof der Her­berge zusammen, halten die Füße in ein Wasserbecken, in dem die Haare von Hund Mambo schwimmen. Richard erzählt, dass er bei seinen Touren schon zwei mal mit dem Flugzeug abgestürzt sei. Der letzte Un­fall war im März, deshalb musste er die Wanderung auf dem camino verschieben. Sei­ne rechte Hand wur­de operiert und in seinen Rücken Metall eingebaut. Aber er ist wieder so fit, dass er bei der Wanderung uns allen davonlaufen könnte.

Ein junges deutsches Paar, das heute Mittag angekommen ist, erzählt von seinem Start in St. Jean, dem ersten Abschnitt auf dem camino vor einer Woche. Sie haben Nebel, Regen, Schnee und Hagel erlebt und fürchterlich gefroren. Glücklich waren sie über einen Getränkestand, wo sie sich aufwärmen konn­ten. Ein Südkoreaner schwärmt von den deut­schen Kirchen, besonders dem Kölner Dom und erzählt von einem Dorf in Südkorea, das wie ein deutsches Dorf aussieht. Ich erinnere mich, es einmal im Fern­sehen gesehen zu haben.
Wir wollten gern eine weitere Nacht in dieser Herberge bleiben, müssen aber nach dem Früh­stück das Haus verlassen. Ab 12 Uhr wird wieder geöffnet und die ersten Pil­ger strömen herein. Heute ist deut­lich mehr Betrieb als gestern und die Herberge ist bald ausgebucht. Hei­de will heute ihr Rezept einlö­sen, steht aber wegen des Sonntags vor der geschlossenen Apothe­ke. Spanier nehmen sie stattdessen in ih­rem Auto mit zum nächsten Ort. Von dort aus nimmt sie den Bus zurück. Abends sitzen wir wieder zu­sammen auf dem schönen Marktplatz, wo wir etliche bekannte Gesichter wiedersehen. Marie setzt sich mit ihrer neuen Bekanntschaft Michelle zu uns. Ein paar Tische weiter fällt mir ein lauter Schwabe auf, der eindringlich auf zwei Frauen einredet. Heute haben wir in unserem Vierbettzimm­er nicht so viel Glück. Zu uns ist ein älteres holländisches Paar gekommen. Der Mann liegt in dem Bett über mir und schnarcht, was das Zeug hält. Also ist es egal, ob ich in einem kleinen Raum oder im großen Schlafsaal die Nacht verbringe. Ich drücke mit meinem Fuß gegen die obere Matratze, der Holländer ist eine Weile still, setzt aber dann sein Schnarchen fort.

Die Schuhe dürfen nicht mit in den Schlafraum genommen werden. Das ist auch wegen des Drecks und Geruchs gut so, aber ich habe mich morgens immer über ein Wiedersehen gefreut.

Die Schuhe dürfen nicht mit in den Schlafraum genommen werden. Das ist auch wegen des Drecks und Geruchs gut so, aber ich habe mich morgens immer über ein Wiedersehen gefreut.

© Hilde Lauckner, 2015
Du bist hier : Startseite Europa Spanien Obanos - Estella
Die Reise
 
Worum geht's?:
Wanderung auf dem berühmten Jakobsweg mit Übernachtung in den Pilgerherbergen
Details:
Aufbruch: 13.05.2014
Dauer: 5 Wochen
Heimkehr: 14.06.2014
Reiseziele: Spanien
Der Autor
 
Hilde Lauckner berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.
Bild des Autors