Auf dem Jakobsweg - von Pamplona nach Santiago de Compostela

Reisezeit: Mai / Juni 2014  |  von Hilde Lauckner

Vorbereitungen. Hamburg - Bilbao. Start in Pamplon: Triacastela - Sarria

Viel Wasser und Wald nahe Triacastela

Viel Wasser und Wald nahe Triacastela

4. Juni 2014 Von Triacastela nach Sarria

Ohne Frühstück marschiere ich um 7 Uhr los. Von Triacastela nach Sarria führen zwei Wege, entweder 30 km über die Berge oder 20 km durch eine weniger schöne Landschaft. Ich entscheide mich für die einfa­chere, kürzere Variante. Am Ortsausgang geht es zunächst auf einem sehr schmalen Weg, dann auf ei­ner geteerten Straße an einem völlig verlotterten Gehöft vorbei. Die Straße ist von Kuhmist ver­dreckt, überall liegt Gerümpel und Müll herum. Der Kuhstall steht offen und ich entdecke einen Schä­ferhund, der im Stroh liegt und den die Flöhe plagen. Ein anderer Hund sieht mich nur neugie­rig an. In ei­nem Hauseingang steht ein Getränkeautomat. 1 € für jede gekühlte Getränkedose, aber ein heißer Kaffee wäre mir lieber. Es ist kühl und neblig und es fängt an zu nieseln. Mit mir zusam­men sind viele Pilger aufge­brochen. Ich habe schon Flies- und Daunenjacke an, ziehe jetzt noch das Regencape über. Willkommen in Galicien, das für sein feuchtes, kühles Klima bekannt ist. Die Land­schaft ähnelt teilwei­se der in Südnor­wegen, saftige grüne Weiden, viel Wald, Eichen und Maro­nen. Für den Getreideanbau ist die Landschaft zu hügelig und unwegsam. An den Bäumen hängen Flechten und sind auf der Wetter­seite von Moos überzogen. An den Stämmen wuchert Efeu und an den Mauern viele kleine Farne, die aus den Spal­ten sprießen, Fingerhut, viele Blumen. Über eine Stunde geht es bergan. Heute habe ich mal wieder meinen Rucksack dabei, den ich bei Steigungen deutlich spüre. Der Nieselregen wird stär­ker und schließlich reg­net es richtig. Alle Wanderer haben ihre Capes oder Regenjacken angezogen, hasten als vermummte Gestalten vorbei. Zwischendurch ist ein Stück Gehen in der Ebene eine Erleich­terung. Irgendwann erreichen wir den höchsten Punkt und auf holprigen Pfaden geht es wieder ab­wärts. Die große Kapuze meines Capes rutscht mir immer wieder vor das Gesicht und inzwischen habe ich einen Tunnelblick. Der Weg führt über felsigen Grund, der zum Teil mit Erde bedeckt ist. Nur nicht ausrutschen oder stolpern! Die Walkingstöcke geben mir Halt und Sicherheit. Plötzlich taucht ein Schat­ten neben mir auf. Drei Spanier auf ihren Mountainbikes rasen auf dem lebensgefährlichen Weg an mir vorbei. Ich habe sie nicht herankommen hören. Dann fällt mir ein anderes Geräusch dicht hinter mir auf, als ob irgendjemand mich jeden Moment über den Haufen rennen würde. Dann setzt ein älterer Spanier zum Überholen an. Unter einem langen Regenmantel schauen seine dünnen Beine in schwar­zen Leggins hervor. Er macht sehr schnelle kleine Humpelschritte und es sieht aus, als ob er nach vorn fallen würde.

Nach einer 2 ½ stündigen Wanderung durch den Regen lockt mich ein Hinweisschild in eine Bar. In ei­nem am Waldrand gelegenen Haus bietet eine Spanierin Frühstück an. In dieser einsamen Gegend hät­te ich mit einem Massenandrang gerechnet, aber es sind nur vier Gäste da. Warum stellt sich nicht ein arbeitslo­ser Spanier an den Wegesrand und bietet heißen Kaffee und Bocadillos an? Die pfiffige Senora Carmen ist mit ihren Pfannkuchen da eine Ausnahme. Es gibt frisches Graubrot und deftigen Käse zum Milch­kaffee. Kaum habe ich bestellt, taucht Heide auf und bestellt das glei­che. Jetzt fühlen wir uns wieder gut und kön­nen erholt weiterwandern. Auf einer Weide eine Herde brauner Kühe mit einem Bul­len und Kälbern. Große Augen mit schwarzem Rand und nach vorn gedrehten Hör­nern, kein Milchvieh, keine Euter. Lang­sam wird es freundlicher, hört auf zu regnen und wir haben wie­der einen weiten Blick. Ein Pi­rol sitzt in den Sträuchern und singt, ein Schwarzstorch sucht auf einer Wiese nach Beute. In Richtung Sarria geht der Weg zunächst 300 m bergan und dann wieder 410 m bergab. Immer wieder kreuzen Bäche den Weg. Kurz vor Sarria geht die ländliche Gegend in die Vor­stadt über. Die ersten Häu­ser sind groß und hässlich, hinter dem Fluss fängt die schönere Altstadt an, wo wir in der Calle Mayor in einem al­ten Stadtpalast un­terkommen. In der unteren Etage gibt es einen Schlafsaal, in der oberen kön­nen wir in einem Vierbettzim­mer für den gleichen Preis wohnen (8 €).
Hier in Sarria gibt es ein großes Hotel und unzählige kleine Pensionen und Herbergen, denn von hier aus starten viele Pilger, die nur hundert Kilometer laufen wollen, um die begehrte Pilgerurkunde zu bekomm­en. Man erzählt, dass etliche junge Spanier den Jakobsweg wandern, um ihre sogenannten "soft skills" bei den Bewerbungen um einen Job aufzubessern. Angeblich gibt es in Santiago de Compostela auch schon einen Schwarzmarkt für die Heftchen mit den Stempeln. Auf dem Jakobs­weg sollen mehr als 2.500 verschiedene Stempel in Benutzung sein. Jede Unterkunft, jede Kirche oder Bar hat ihren ei­genen Stem­pel. Ich habe mir bisher nur in jeder Herberge meinen Pilgerausweis abstempeln las­sen, aber viele Pilger sam­meln die Stempel wie Briefmarken. In den Herbergen muss der Pilgeraus­weis zu­sammen mit einem Personalausweis vorgelegt werden, damit man hier zum günstigen Preis übernach­ten darf. Zu Hape Kerkelings Zeiten konnte man vielerorts noch kostenlos übernachten, aber das ist überall vorbei. Es ist auch nicht einzusehen, dass Pilger kostenlos übernachten sollten. Natürlich bringen Pil­ger auch Geld und sorgen für Arbeitsplätze in der strukturschwachen Re­gion. Aber die 5 bis 10 Euro pro Bett reichen wahrscheinlich kaum aus, die Unkosten der Herbergen zu decken. Deshalb gibt es auch überall Freiwillige, die ein paar Wochen oder Monate für Unter­kunft und Essen arbeiten. Sie sind meist selbst schon gepilgert, sind motiviert und freundlich und bringen oft ihre Berufserfahrungen mit ein.

In einem Laden treffen wir zwei deutsche Frauen, die uns erzählen, dass man ihnen in einer Herberge eine Hose und einen Schlafsackbeutel gestohlen habe. Wer weiß, vielleicht sind die Sachen auch heruntergefall­en, oder jemand aus dem Nachbarbett hat sie aus Versehen eingesteckt. Manchmal blei­ben auch Sachen auf der Leine hängen, weil die Leute sie vergessen. Mit Schwund muss man rech­nen, aber natürlich kann es auch vorkommen, dass mal etwas gestohlen wird.
Nachmittags sitzen Heide und ich vor einem Café in der Sonne. Die stolze Spanierin, die ich in O'Cebrei­ro fotografiert habe, kommt vorbei. Sie ist bunt geschmückt wie eine Indiofrau aus Peru, in ihren Ohrläppc­hen stecken bunte Wollfäden wie bei den peruanischen Lamas. Nach Kaffee und Kuchen bestelle ich bei der freundlichen brasilianischen Kellnerin noch ein Glas Wein. Wir möchten den Tisch, der in­zwischen im Schatten steht, in die Sonne schieben, aber da ist die Polizeistation. Dort ist man nicht damit einverstan­den, dass die Bar sich vor ihrer Tür breit­macht. Heide bestellt die regionale Speziali­tät, Caldo Gallego. Sie bekommt eine große Schale mit einer dünnen Plörre ohne Gewürz oder Ge­schmack, darin schwimmen ein paar kleine Kohlblätter zwischen geronnenen hellen Teilchen. Das ist der be­rühmte Kohl, das belieb­teste Gemüse in Galici­en. In jedem Gemüsegarten stehen diese riesigen, über einen Meter hohen Strun­ken mit den großen Blättern am oberen Ende. Mit meinem Kuchen war ich sehr zu­frieden und zahle nur ca. 5 Euro für Kaf­fee, Kuchen und zwei Gläser Wein. Als Nachtisch wollte Heide gern ein bisschen Käse mit Brot ha­ben. Beim Bezahlen stellt sich heraus, dass Käse und Brot kos­tenlos sind.
Die beiden Betten über uns sind inzwischen von zwei jungen Mädchen belegt, Iga und Ra­bine aus Deutschland. Sie kochen immer selbst in den Herbergen, so sparen sie Geld und haben die Sicherheit, dass es ihnen schmeckt. Iga hat Hüftprobleme, außerdem schwitzt sie an den Füßen und hat sich in den nassen Socken Blasen geholt. Jetzt wechselt sie alle drei Stunden die Socken, um immer trockene Füße zu haben.
Vor der Abreise von Zuhause hatte ich schon mit Schrecken an die vielen schlechten Gerüche in den Her­bergen gedacht, aber meine Erwar­tungen wurden zum Glück nicht erfüllt, denn die Wanderschuhe wer­den nicht mit in die Schlafsäle ge­nommen. Schweißfüße oder Körperschweiß habe ich nicht gero­chen.

Praktische Regencapes

Praktische Regencapes

© Hilde Lauckner, 2015
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wanderung auf dem berühmten Jakobsweg mit Übernachtung in den Pilgerherbergen
Details:
Aufbruch: 13.05.2014
Dauer: 5 Wochen
Heimkehr: 14.06.2014
Reiseziele: Spanien
Der Autor
 
Hilde Lauckner berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.
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