Auf dem Weg nach Albanien (2023)

Reisezeit: September - November 2023  |  von Andreas Kirchner

Die Unvollendete

Die Nacht ist sehr unruhig und ziemlich früh zu Ende. Beinah pausenlos bläst der Wind gegen unser Wohnmobil. An Schlaf ist kaum zu denken, ständig werden wir wachgerüttelt. Beim Frühstück, dass heute sehr, sehr früh auf dem Tisch steht, zeigt der Blick in die Wetterapp, dass wir uns so ziemlich in der Mitte des Regentiefs befinden, dass sich kaum fortzubewegen scheint. Rundherum genauso viel Wind wie hier, in den Bergen ist er vielleicht noch stärker. Was tun?

Schöne Aussichten

Schöne Aussichten

Aus dem Sturmgebiet rausfahren hieße, rund 400 km weiter in den Nordosten zu fahren – in Belgrad scheint die Sonne und es ist windstill. Keine realistische Option. Wir beschließen, von hier aus direkt nach Tirana zu fahren, auf einem Stellplatz, wo man im Windschatten steht. Die Schlechtwetterphase ließe sich dort recht gut überbrücken, wir würden allerdings den Nordosten von Montenegro auslassen – einschließlich des Mrtvice-Canyons.

Als wir losfahren, fallen sofort die Bäume am Straßenrand auf, die sich gar nicht so sehr im Wind krümmen wie die Bäume auf dem Stellplatz zuvor. Sollten wir in einer Art Windkanal gestanden und deswegen die ganze Nacht die volle Breitseite abbekommen haben? Der nächste Kreisverkehr lädt geradezu ein, eine volle Runde zu drehen und wieder zurück in den Norden statt zum südlichen Tirana zu fahren. Wir riskieren es, zumal es bis zum Ausgangspunkt der Wanderung nur rund 40 km sind. Die können wir auch wieder zurückfahren, sollte es sich als zu stürmisch herausstellen. Obwohl 40 Kilometer in Montenegro gut und gerne wie 80 Kilometer in Mitteleuropa sind.

Die Fahrt bis Međuriječje ist ein Wechselbad der Gefühle. Mal wedeln die Sträucher kräftig im Wind, mal scheint sich kein Lüftchen zu regen. Wohl je nachdem, in welchem Teil des Tals man sich befindet, ist es mal so, mal so. Da war mal was mit Luv und Lee. Gibt’s wohl nicht nur auf See.

Wir erreichen den Campingplatz, zu dem ein schmales, schlaglochbewehrtes Sträßchen führt. Das Auto, dass uns entgegen kommt, hat zum Glück Allradantrieb und kann an der Seite die Böschung hinunterfahren, um uns Platz zu machen. Der Campingplatz besteht aus einer Wiese, dem Wohnhaus des älteren Paares, die ihn bewirtschaften, einem Klohäuschen und einem Wasserhahn, der am hinteren Ende aus dem Rasen herausschaut. Duschen, so erklärt uns der Besitzer, der uns bei unserer Ankunft auch gleich zu einem Kaffee und einem Schnaps einlädt, könne man im Badezimmer des Ehepaares, gleich hinten den Flur durch. Man sieht ihm das Bedauern an, dass wir nach einem Schnaps – es ist immerhin erst 11 Uhr morgens – einen zweiten dankend ablehnen. Er hätte sicherlich gerne noch einen weiteren genommen, ganz nach seiner uns radebrechend erläuterten Devise: Frauen 1 Schnaps, Männer 2 Schnäpse.

Als wir uns einen Platz auf der Wiese aussuchen, trifft uns die Erkenntnis: Windstille! Ja, wirklich: Kein Lüftchen. Stattdessen öffnen sich die Wolken und die Sonne zeigt sich. Viel mehr Aufforderung brauchen wir gar nicht, um sofort den Rucksack mit Wasserflasche und Riegelration zu füllen und uns auf den Weg zum Mrtvica-Canyon zu machen.

Der Canyon gehört mit zu den spektakulärsten in Europa. Will man von oben starten, braucht es eine gewisse Transportlogistik, weil der Eingang zum Canyon sich beim angeblich entlegensten Ort Montenegros befindet und nur über schwieriges Gelände zu erreichen ist – Allrad ist hier das mindeste, was man braucht. Will man den rund neun Kilometer langen Weg dann nicht wieder zurück laufen, braucht man jemand, der einen unten wieder abholt. Da wir über eine solche Transportlogistik nicht verfügen und erst in Kolašin, 30 Kilometer von hier, für gutes Geld solche Trips angeboten werden, bleibt uns nur der Weg von unten in den Canyon hinein. Ist man jung und startet früh am Morgen, kann man es tatsächlich schaffen, bis ganz nach oben durch und dann wieder zurück zu wandern. Ist man schon etwas älter, startet erst kurz vor Mittag und hat schon einen Schnaps intus, kommt man nur halb so weit. Was schade ist, weil es oben noch einige tolle Passagen gibt. Was aber vollkommen in Ordnung ist, weil wir bis zu den besonders sehenswerten Stellen kommen und uns insgesamt ausgiebig beeindrucken lassen können von dieser Schlucht. Einfach großartig. Dennoch: die Mrtvica-Schlucht bleibt für uns leider die Unvollendete.

Auf dem Weg nach Mordor

Auf dem Weg nach Mordor

Blick in die Schlucht

Blick in die Schlucht

Brücke am Ende der Schlucht

Brücke am Ende der Schlucht

© Andreas Kirchner, 2023
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eine Tour mit dem Wohnmobil nach Albanien
Details:
Aufbruch: 16.09.2023
Dauer: 9 Wochen
Heimkehr: 14.11.2023
Reiseziele: Kroatien
Montenegro
Albanien
Slowenien
Der Autor
 
Andreas Kirchner berichtet seit 8 Monaten auf umdiewelt.
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