Komm! Draussen wartet die Welt ...

Reisezeit: September 2007 - September 2008  |  von Nicola Stratmann

Kalkutta - zwischen Laufrikscha und Nightlife

Was fuer Kontraste!!

Vorgestern bin ich heile und einigermassen ausgeruht in Kalkutta angekommen.
Die Zugfahrt war diesmal echt easy, ich haette tatsaechlich noch 5 Stunden laenger geschafft!

Aber ich moechte mich mal nicht beschweren!
Die Zimmersuche war ebenfalls kurz und knapp. Habe ein furchtbar kleines, dunkles, stinkiges Zimmerchen mit Neonlicht und "Hart"core-Matratze, aber es ist ok. Fuer dreimal schlafen goenn ich mir den Luxus eines LOW-LOW-Budget Feelings in der einzigen Stadt Indiens, in der man sich noch mit Laufrikschas fortbewegt.

Ich muss zugeben: Ich habe mir Kalkutta "haerter" vorgestellt. Die Sudder Street, dort wo alle Backpacker naechtigen, klang in allen Beschreibungen immer so "krass" - ich hatte mich auf die "haerteste" Konfrontation zwischen "arm" und "reich" vorbereitet ... aber tatsaechlich war mein Einstieg eher "sanft". Die Menschen hier sind arm - sehr, sehr arm. Aber die Laufrikscha-Wallahs sind beispielsweise nichtmal halb so "aufdringlich" wie in Varanasi. Die Armut ist hier so extrem praesent, dass sie irgendwie gar nicht so "schockt", wie ich es gedacht habe.

Auch die Bettelei laeuft hier anders ab. Es wird mehr "gejammert", sie ziehen teilweise richtige "Shows" ab, um ihre Rupees zu bekommen. Entweder ich bin mittlerweile schon zu "abgebrueht", das ich Kalkutta als nicht 'so heftig' ansehe, oder aber es ist diese "Bettel-Masche", mit der sie bei mir einfach an der falschen Adresse sind. Versteht mich nicht falsch, natuerlich gebe ich weiterhin und natuerlich empfinde ich weiterhin Wut, Scham, Mitleid, Hilflosigkeit, Traurigkeit, Ohmnachtsgefuehle, ... beim Anblick und bei der Konfrontation mit der Armut. Aber - und ich glaube so geht es jedem, der hier laengere Zeit reist - man faengt an, anders mit all dem umzugehen. Ich wuerde es vielleicht "realistischer" nennen. Ich beobachte viel. Wie verhalten sich die Inder den Bettlern gegenueber? Was machen sie, wenn die Kinder sich an sie dranhaengen und mit dem ganz offensichtlich gespielten Weinkraempfen beginnen? Wann und wieviel geben sie und was tun sie, wenn sie nicht geben?

Nach aussen hin reagiere ich mittlerweile recht "sicher", so denke ich. Koennte man in diesen Situationen mein Innerstes sehen, dann waere diese Sicherheit aber sofort dahin.
In der Sudder Street wohnen bspw. viele Volunteers, die im Mutter Theresa Haus arbeiten. Jeder von Ihnen berichtet mehr oder weniger das gleiche, was die Gefuehle im Umgang mit der Armut angeht. Sie koennen einem wirklich sehr viel "Sicherheit" geben, indem sie einfach nur erzaehlen, oder indem ich sie beobachte, wie sie mit den Bettlern umgehen.

Was ich z.B. noch nicht wusste - kauft man den Kids sowas wie Chips, Kekse, Saft, etc dann sollte man die Packungen immer vorher aufreissen. Ansonsten tauschen sie sie spaeter wieder gegen Geld um.
Dahinter stecken meist richtige "Mafias", die den Kids das Geld abnehmen. Jetzt wundert es mich auch nicht mehr, dass sie meistens lieber Chips haben wollen, als eine richtige Mahlzeit ... Reis mit Curry kann man eben nicht so leicht wieder umtauschen.

Ausserdem - und das wusste ich schon vorher - sollte man Kindern generell kein Geld in die Hand druecken. So "erzieht" man sie letztendlich dazu, in der Bettelei haengen zu bleiben. Sie lernen auf diese Weise nichts, nur das es einfacher ist, die Hand aufzuhalten als etwas zu lernen und sein Geld in einem Job zu verdienen.

By the way - Selbstbewusstsein entsteht auf diese Weise sicherlich auch nicht! Es geht darum ihnen zu zeigen, das auch sie "wertvoll" sind und das auch sie die Faehigkeiten haben, etwas anderes aus ihrem Leben zu machen. Der erste Schritt dafuer ist, sie nicht in ihrer Bettelei zu unterstuezten (auch wenn es einem manchmal das Herz rausreisst...).

Viele kleine Organgisationen kuemmern sich darum, diese Kinder dementsprechend zu "foerdern" und ihnen so die Chance auf eine Zukunft weg von der Strasse zu geben.
Es ist daher im Grunde besser diese Organisationen zu unterstuetzen, als den Kindern dirket das Geld zu geben. Ein paar Rupees koennen sowieso nur fuer den Moment eine kleine Hilfe bieten, das eigentliche Problem besteht weiterhin und wird teilweise dadurch sogar noch verstaerkt.

Aber - trotz dessen mir das alles bewusst ist: Wenn ein kleiner Racker auf mich zulaeuft und mir zu verstehen gibt, das er/sie Hunger hat, dann gehen wir was essen. Auch wenn es nur der knurrende Magen ist, dem dies in diesem Moment "hilft" ... und vielleicht noch meinem Gewissen, wenn ich ganz ehrlich bin!

Oh, Kalkutta! Ich bin das erste (und letzte) Mal in meinem Leben in einer Laufrikscha gefahren und habe mich so unwohl gefuehlt, das koennt ihr euch nicht vorstellen.
Fuer mich ist das beinahe eine Erniedrigung desjenigen, der mich durch die Strassen zieht (auch wenn diese Menschen einem absolut nicht dieses Gefuehl geben. Es ist das Unbekannte, das "Fremde" zwischen unseren Kulturen und das "Vertraute" in Indien, mit dem "Clash" zwischen arm und reich zu leben. Hier also ganz normal!)

Die Regierung moechte die Laufrikschas verbieten, aber die Menschen lehnen sich dagegen auf. Sie verdienen ihr Geld auf diese Weise - was sollten sie tun, wenn die Regierung auf einmal Fahrradrikschas fordert, sie aber kein Geld fuer ein Fahrrad haben?! Dann gaebe es zu wenig Rikschas in Kalkutta, also bleibt alles beim alten.

Dieser "Clash" - arm / reich - ist wohl in allen grossen Staedten Indiens sehr praesent und offensichtlich. Aber Kalkutta ist auch die Stadt mit dem besten Nightlife, den craziest Parties, den coolsten Bars ... so hat man es mir zumindest erzaehlt!

Da ich ja seit Delhi keinen Tropfen Aklohol mehr getrunken hatte - weil Rishikesh und Varanasi heilige Orte sind, in denen Alk und auch Fleisch verboten sind - habe ich mich sehr, sehr, sehr auf ein Bier hier in Kalkuttas Bars gefreut!
Habe am Strassenimbiss in der Sudder Street gleich nette Volunteers und andere Touristen kennen gelernt und vier von uns sind gestern Abend losgezogen... in eine Bar "Someplace Else" in einem Luxushotel mitten in Kalkutta - KRASS!

Eben noch ueber schlafende Menschen auf der Stasse ruebergestiegen, und ploetzlich findet man sich in einer goldglaenzenden Lobby wieder, alles so sauber, das man bestimmt auch davon krank werden koennte!

In der Bar fast nur indische Geschaeftsmaenner, ein paar verliebte Paerchen, einige voellig unpassend gekleidete Traveller ...
Ein Bier kostet hier soviel wie mein Zimmer pro Nacht und auf den Toiletten haette ich am Liebsten uebernachtet!

Leute, leute! Die Musik ist der Knaller. Nein, kein Bollywood und auch keine internationalen Charts. Sie spielten Live-Musik: Guns n Roses, Pearl Jam, Aerosmith, Metallica ... und die Geschaeftsmaenner huepfen und springen erfreut vor der Buehne, halten sich an den Haenden (das machen Maenner hier untereinander, ganz normal), singen mit ... also DAS haette ich in Indien nun wirklich nicht erwartet. Zu dieser Musik pogen sich in Deutschland die Teenis die Seele aus dem Leib und hier wird es in den Luxurioesesten Bars zum Besten gegeben - ich hab mich gefuehlt wie in nem falschen Film, aber ich habe es genossen, diese Crazy-Atmosphaere in diesem immer wieder Crazy-India!

Gegen 1 Uhr sind wir dann total betrunken nach Hause gestiefelt. Kaum oeffnet sich die Tuer vom klimatisierten Hotel, wird es einem wieder bewusst: "Ah ja, I'm in India! Haette ich fast vergessen ... aber nur fast."

War ein interessantes, lustiges, feuchtfroehliches, krasses Erlebnis in dieser Bar in Kalkutta - muss ich aber nicht sobald wieder haben. Der Kontrast ist zu heftig!
Aber auch DAS ist Indien, genau wie das Leben auf den Strassen, nachts um 1 Uhr ...

Gleich werde ich zusammen mit ein paar Volunteers aus dem Mutter Theresa Haus ein kleines Projekt besuchen, das sich um die Kinder von Prostituierten kuemmert. Auch hier wird nicht versucht, die Prostitution zu "verbannen", sondern der Fokus der Arbeit liegt in der Verbesserung der Arbeitsbedinungen. Ich bin sehr gespannt!

(Uebrigens: In Varanasi war ich nicht bei dem Back To Live -Projekt, von dem ich euch erzaehlt habe. Sie haben nur am Sonntag Besuchtstag und an dem ersten Sonntag hatte ich mit meinem Kulturschock zu kaempfen, an dem zweiten war ich bereits wieder on tour ... schade, aber vielleicht sollte es auch einfach nicht sein.)

Morgen frueh geht mein Flieger auf die Andamanen und ich kann es kaum noch erwarten, endlich wieder das Meer zu sehen ... und zu riechen und zu fuehlen!

Ich meld mich wieder -
NAMASTE !!!

© Nicola Stratmann, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Meine Reise nach Indien, Sri Lanka, Thailand ... und was mir sonst noch begegnen möchte.
Details:
Aufbruch: 15.09.2007
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: 03.09.2008
Reiseziele: Indien
Havelock Island
Thailand
Der Autor
 
Nicola Stratmann berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Nicola sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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