Komm! Draussen wartet die Welt ...

Reisezeit: September 2007 - September 2008  |  von Nicola Stratmann

Namaste India!: Zum Ende - was sagt man da?!

Irgendwie finde ich nicht den "richtigen" Anfang fuers "Ende" - 5 Monate in Indien; sooo viele Erlebnisse, Erfahrungen, Emotionen, Begegnungen, Erinnerungen, Bilder, geraeusche, Gerueche, ...
und ausserdem war ich noch nie besonders gut im Zusammenfassungen schreiben!

Wenn ich mir noch einmal vor Augen fuehre, wie ich an meinen ersten Tagen durch die Strassen Mumbais gelaufen bin, und wie ich mich heute auf den Strassen Chennais gefuehlt und verhalten habe, dann wird mir eines klar: ich bin jetzt eine andere Nico, als die, die vor 5 Monaten in Duesseldorf in den Flieger nach Indien gestiegen ist.

Damit meine ich nicht, dass ich mich komplett veraendert habe in dieser Zeit, aber ich bin definitiv "gewachsen" und fuehle mich sicherer, staerker, selbstbewusster, einfach "mehr". Und, um diese so "abgelatschte" Redewendung doch mal zu verwenden - meinen Horizont habe ich ganz sicher auch erweitert!

Indien. Ein Land, das wohl die wenigsten wieder losslaesst. Ein Land, das so schwer zu beschreiben, so schwer zu verstehen ist. Ein Land, in das ich mich verliebt habe, ohne genau erklaeren zu koennen, warum eigentlich.
Irgendwann einmal ging es in einem Gespraech um den "Reiz" Indiens, warum sich so viele in dieses Land verlieben, aber gar nicht genau benennen koennen, woran das liegt. Denn "einfach" ist Indien nicht.
Aber ich denke, dass es genau DAS ist - Einfach ist ja auch langweilig.

Ja, und auch fuer mich ist Indien wirklich nicht immer leicht gewesen und vieles hier hat mich an meine Grenzen gebracht. Es gab auch Zeiten, in denen ich am Liebsten das Handtuch geworfen haette und zurueckgekommen waere. Aber ich habe es nicht getan und darueber bin ich jetzt sehr, sehr froh.

Denn auch - oder vielleicht gerade - diese schwierigen Momente meiner Reise durch Indien haben mich extrem gepraegt und mir vieles gelehrt - ueber das Land, aber auch ueber mich selbst.

Viele fragen mich, was ich so rueckblickend als das "tollste" Erlebnis, den "schoensten" Ort bezeichnen wuerde. Das ist schwer. Naja, das mit dem "schoensten" Ort eher weniger, denn da kann ich ohne gross zu ueberlegen die Andamanen nennen - diese Naturschoenheit hat mich tatsaechlich ueberwaeltigt!
Es war fast ZU schoen fuer mich, so dass ich meinen Aufenthalt ein wenig verkuerzt habe dort. Manchmal ist das "Paradies" eben gerade nicht das Richtige fuer einen! Aber SCHOEN war es dort, keine Frage!!

Hm, ansonsten passt der Ausdruck "schoen" eigentlich nicht wirklich zu Indien (obwohl es NATUERLICH auch sehr viele wunderschoene Orte hier gibt) - aber da gibt es sicherlich schoenere Flecken auf dieser Erde.
Der Dreck und Muell, der einen hier z.B. tagtaeglich umgibt, ging mir schon ab und zu sehr auf die Nerven! Die hygienischen Zustaende sind teilweise echt zum Schreien und beinahe jeden erwischt es hier mit irgendwelchen "stomach-problems" (und - ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen - da gibt es NICHT nur Duchfall und Vertsopfung, nein, nein! ).
Ein Grund zum Feiern unter Travellern ist da tatsaechlich, wenn der Stuhlgang mal als "normal" bezeichnet werden kann ... selten gab's ne Party, sehr selten.

Das intensivste Erlebnis ist und bleibt wohl die Zeit in Varanasi, in der ich fuer kurze Zeit meine Grenzen ueberschritten hatte, in der ich aber auch Stunden und Tage erlebte, fuer die ich unglaublich dankbar bin!

Ich habe mal geschrieben, dass ich nichts "gesucht" habe hier (und dies auch weiterhin nicht tun werde), aber mir ist waehrend meiner Reise in Indien so einiges begegnet, was tief in mir drinnen darauf "gewartet" hat, dass ihm begegnet wird ... so z.B. habe ich in Varanasi endlich meinen verstorbenen Vater "verabschieden" koennen, weil "er" sich dort auf einmal von mir verabschieden wollte.

Es gab auch so unglaublich viele schoene Begegungen, nicht nur mit anderen Travellern, sondern auch mit InderInnen, wie zum Beispiel mit 'Vicky' aus Goa.
Anfangs dachte ich, er wolle mich nur "anmachen", aber es hatte sich schnell herausgestellt, dass dem nicht so war.
Er war naemlich todtraurig, dass seine Freundin mit ihrer Familie nach London gezogen ist, und ich war ganz offensichtlich etwas ueberfordert mit der Riesenmetropole Mumbai ...
ich sass an meinem ersten Tag am Gate of India auf einer Mauer und habe (vielleicht ein wenig zu intensiv) meinen Reisefuehrer studiert. Er setzte sich zu mir und bat mir an, mir "seine" Stadt zu zeigen.
Erst war ich sehr skeptisch, aber es war dann wirklich ein richtig schoener Nachmittag - auf seinem Moped durch Mumbai zu duesen und alles Moegliche anzusehen (wobei ich ihn dann ab und zu troesten musste, weil ihn ploetzlich ein Ort, ein Getraenk oder sonstwas ) an seine Freundin erinnert hatte ... der Arme!.
Abends sind wir dann noch zusammen Essen und Biertrinken gegangen und er bestand darauf, die komplette Rechnung zu bezahlen. Als "Willkommensgeschenk" fuer mich in seinem Heimatland Indien!
Zu keinem Zeitpunkt (mal ausgenommen den ersten Minuten) hatte ich ein ungutes Gefuehl.

Es war ein wirkliches Glueck einen so offenherzigen Einstieg in Mumbai und Indien generell "geschenkt" bekommen zu haben - Dhanyawad dafuer, Vicky!

Oder die Frau in Ratnagiri am Bahnhof. Ich war mit dem Nachtzug auf dem Weg von Mumbai nach Ganpatipule und musste dafuer in Ratnagiri aussteigen. Es hat gegossen wie aus Kuebeln und die Rikschas am Bahnhof waren heiss begehrt. So hiess es warten... und als ich endlich eine bekommen hatte, da wollte der Typ mich komplett ubers Ohr hauen. Die Frau neben mir, die mit ihrem Mann unterwegs war, fauchte den Wallah ganz schoen zusammen und entschludigte sich bei mir fuer dieses Verhalten. Sie bot mir anschliessend an, die Rikscha mit ihr und ihrem Mann zu teilen und wir zwaengten uns mit allem Gepaeck in eine rein. Dazu musste dann noch ein Umweg gefahren werden, weil mein Ziel nicht auf ihrem Weg lag, aber das war kein Problem. Auch wollten sie mich ebenfalls nicht bezahlen lassen.
Auf die Frage, warum sie das alles fuer mich - eine Fremde - tun, sagte sie nur, dass sie sich das fuer sich selbst auch wuenschen wuerde, wenn sie (oder ihre Kinder) einmal die Gelegenheit dazu haetten, nach Deutschland zu Reisen.
Ich weiss es klingt schlimm, aber beinahe wuenschte ich mir, dass sie NICHT zu "uns" kommen ... sie wuerden sehr wahrscheinlich enttaeuscht werden. Leider!

Ja, das werde ich z.B. vermissen. Diese offenherzige Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft, das warmherzige Laecheln einander unbekannter Menschen auf der Strasse, im Zug, auf dem Bahngleis, vor der Toilette. Ich werde die vollgestopften Strassen vermissen, die viel zu laute, qualitaetsfreie indische Schraeddermusik aus viel zu alten Lautsprechern, den Anblick schlecht gekleideter junger indischer Machos, die Anmut und Farbenvielfalt der Frauen in ihren Saris, das verschaemte Kichern der Maedchen bei meinem Anblick, ja wahrscheinlich sogar das ungenierte angestarrt werden von der gesamten indischen Bevoelkerung, die absolut fehlende Privatsphaere in der Oeffentlichkeit, den ploetzlichen Koerperkontakt zu mir wildfremden Menschen, die "fehlende" Logik im Reden und Tun, die Gemaechlichkeit, mit der "man" hier durch den Tag geht (Stichwort: Geduld - shanti, shanti ...) - ach, da gibt es so vieles! Zusammengenommen werde ich wohl die gesamte "Perfektionslosigkeit" Indiens im "westlichen" Sinne vermissen.

Da waren aber auch sehr ernste Begegnungen und Erfahrungen, die mich sehr gepraegt haben, wie z.B. die tagtaegliche Konfrontation mit der Arrmut. Oftmals war sie so erschuetternd und laehmend, dass ich am Liebsten die Augen zugekniffen haette und weggerannt waere. Aber das WOLLTE ich nicht!
Der Anblick der Armut hat mir erneut bewusst gemacht, wie unglaublich dankbar ich mich schaetzen kann, dass ich eine solch privilegierte Position in dieser Welt "geschenkt" bekommen habe, denn getan habe ich dafuer nichts! Aber mir ist ebenfalls bewusster geworden, welche Verantwortung ich damit tragen sollte und auch tragen moechte.

Oft haben mich andere Traveller (und vor allem auch Inder) beinahe angewidert angesehen, wenn ich dreckige, zerlumpte Bettler und Kinder auf der Strasse beruehrt und mit ihnen gesprochen habe, als ich ihnen Essen oder Geld gab. Und manchmal war es ehrlich gesagt auch fuer mich eine Ueberwindung. Wie beispielsweise gibt man jemandem, der - wahrscheinlich aufgrund einer Lepraerkrankung - keine Arme mehr hat?! Es geht. Man muss sich eben nur ein wenig mehr Zeit nehmen! Und das WOLLTE ich, auch wenn es mir in einigen Faellen ehrlich schwer fiel, wollte ich diese Menschen eben nicht als "Aussaetzige" behandeln, wie es hier die meisten tun.

Aber auch solche "Gesten" machen das eklige Bewusstsein ueber die Ungerechtigkeit in dieser Welt nicht wett.
Es bleibt. Und "man" muss es einfach "aushalten", wenn "man" sich entschliesst, dort hinein zu Reisen. Und "man" muss sich AUCH bewusst darueber sein, wie moralisch "fragwuerdig" eine solche Reise im Grunde ist.

Da faellt mir noch etwas ein, was ich eigentlich schon viel eher hatte schreiben wollen: Einen Kommentar zu meinen eigenen Zeilen, als ich am Anfang meiner Reise in Goa war.

Ich habe dort geschrieben, dass ich nach Norden reisen moechte, um endlich das "real India" kennen zu lernen.
Mir ist aber mittlerweile klar geworden, dass dieses "real India" UEBERALL in Indien zu finden ist. Denn was meinte ich eigentlich damit?! Wenn ich ehrlich bin, dann wohl irgendwas wie "authentischeres", traditionelles, "einfaches", vielleicht sogar "armes" Leben, mit moeglichst wenigen "westlichen" Einfluessen.
Dazu dann aber natuerlich eine wenigstens halbwegs gut ausgebaute touristische Infrastruktur und "westliche Oasen" zum Zurueckziehen...

ABER: Was bedeutet denn eigentlich "Authentizitaet"?! Doch wohl, das es "echt" ist, kein Fake. Und Indien ist (nunmal) so, wie es ist:
Goa ist so authentisch indisch, wie es heute ist. Rishikesh ist so authentisch indisch, wie es heute ist. Varanasi und Kerala sind so authentisch indisch, wie sie heute sind. Genau wie die Grosststaedte Mumbai, Delhi, Chennai, Cochi, Trivandrum, Bangalore ...
Das alles IST das authentische Indien von Heute!
Und ich habe es erleben duerfen, zumindest in Teilen.

... DHANJAWAD INDIA & NAMASTE !!!

So, und zum schluss nochmal ein wenig "seichte Kost" - Was ich so erlebt habe:

Ich bin unglaublich vielen interessanten und lieben Menschen aus aller Welt begegnet; habe Freunde gefunden; habe keine einzige Postkarte geschrieben (sorry! Ich verspreche mich zu bessern!); kann nicht behaupten, sonderlich viele Tempel von Innen gesehen zu haben; war in keinem Ashram; habe nicht meditiert; war die Jane in Goa an einem Ganjan-Tree; habe in Rishikesh im Ganges gebadet und auf dem Kopf gestanden; habe mir in Varanasi von einem Guru-ji meine Chakren testen lassen; bin in Kalkutta Laufrikscha gefahren und habe mit indischen Geschaeftsmaennern zu Guns'n'Roses getanzt; habe auf den Andamanen zwei liebe Menschen aus meiner Vergangenheit wieder getroffen; habe an meinen 29. Geburtstag 75 Minuten unter Wasser mit den buntesten Fischen verbracht; bin (zusammengenommen) tagelang in oeffentlichen Verkehrsmitteln (ob tauglich oder nicht) durchs Land geduest; bin trotz geschaetzter 10 Billionen Moskitistische nicht an Malaria erkrankt; habe mit Kakerlaken, Spinnen, Froeschen; Ratten (und was weiss ich noch) mein Zimmer geteilt; habe zwischenzeitlich verlernt zu Staunen; habe das Jahr 2008 auf einer Goa Trance Party begruesst; habe aus einem Busfenster gekotzt; habe mich in ein kleines Maedchen namens Lalitha verliebt; habe mir ein neues Tattoo stechen lassen und bin dabei fast ohnmaechtig geworden; habe mein Handtuch - grob ueberschlagen - stolze 7 Mal gewaschen (das ist echt eine logistische Herausforderung, die ich regelmaessig verpeilt hab ... und ausserdem ist auch Faulheit dran Schuld, denn: Handtuch waschen sucks!);habe trotz chronischer Durchfaelle geschaetzte 5 Kilo zugelegt (HAE?!?) ...

UND: ich habe tagelang in diversen indischen Internetcafes gehockt!!!

© Nicola Stratmann, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Meine Reise nach Indien, Sri Lanka, Thailand ... und was mir sonst noch begegnen möchte.
Details:
Aufbruch: 15.09.2007
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: 03.09.2008
Reiseziele: Indien
Havelock Island
Thailand
Der Autor
 
Nicola Stratmann berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Nicola sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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