Komm! Draussen wartet die Welt ...

Reisezeit: September 2007 - September 2008  |  von Nicola Stratmann

STOP! - Resumee nach 3 Monaten 'on tour'

Es gibt etwas, das ich nun mal "ausser der Reihe" loswerden moechte -

Seit etwas mehr als drei Monaten reise ich nun durch Indien und ihr werdet es sicherlich schon gemerkt haben - ich bin nicht der "typische" Sight-seeing-Typ ... nach dem Motto: 'Taj Mahal?- Nein Danke', habe ich bis jetzt so ziemlich alle MUSTS ausgelassen, was Tempelanlagen und Co hier in Indien angeht. Schande auf mein Haupt!

Hm, warum? Na, das hat den einfachen Grund, dass es mich einfach nicht so sehr interessiert. Natuerlich habe ich auch Tempel gesehen und es fasziniert mich schon, uralten Bauwerken zu begegnen. Aber was mich eben mehr interessiert, das ist das Leben, die Strassen, die Menschen ... das war schon immer so!

Aber ich spuere eine Veraenderung. Ich habe mich seit den Andamanen nicht mehr wirklich wohl gefuehlt in meiner Haut, in diesem Land, mit dem Rucksack auf dem Ruecken. Ich werde 'muede' nur umher zu reisen, werde 'muede' vom Traveller-Dasein. Es ist jetzt ganz klar - mir fehlt etwas!

Ich denke, das alles hat sich bereits auf den Andamanen
angedeutet, denn ich war oft so nachdenklich und in mich gekehrt, wusste 'mich' aber irgendwie nicht einzuordnen.
Ich war im "Paradies" und habe aber dennoch etwas gespuert, was ich jetzt mal als ein 'latentes Unwohlsein' bezeichnen moechte.

Klar, ich habe die Andamanen genossen - sehr, sehr, sehr sogar!! Aber dort hatte ich auch so viel Zeit und Einsamkeit zum Nachdenken, dass mir etwas grundlegendes klar geworden ist - ich brauche hier in Indien jetzt eine Aufgabe. Ich moechte mich aktiv irgendwo einbringen, eine 'Base' haben, die es mir erlaubt, tiefer in eine Kultur, eine Lebensweise, vielleicht eine 'Idee' einzutauchen. Ich moechte nicht laenger den Status einer Reisenden inne haben, die allein 'ansieht', zusieht', 'besichtigt'. So werde ich natuerlich auch von aussen gesehen und ich kann mich immer weniger mit dieser Rolle identifizieren.

In meinem Tagebuch habe ich eine Notiz aus Varkala (wo ich jetzt gerade bin), die ganz gut dazu passt:

"Ich sitze in einem Cafe, vor dem ein alter Mann, auf dem Bocen hockend, ein paar Lederschuhe verkauft. Rechts und links neben ihm die 'professionellen Geschaefte', die z.T. dieselben Schuhe anbieten. Er versucht vom Boden aus die vorbeischlendernden Touristen fuer seine Schuhe zu interessieren, aber die meisten beachten ihn nicht einmal. Halt - ein Mann bleibt stehen, gibt ihm seine alten Schuhe zur Reparatur und holt fuer den Uebergang ein neues Paar aus einer Plastiktuete...
Ploetzlich schiessen mir die Traenen ins Gesicht, ich kann nichts dagegen tun. Ich fuehle mich auf einmal so 'verbunden' mit diesem Mann, der dort in 'seiner' Welt sitzt, die nicht in die Welt passt, die um ihn herum existiert. Auch ich fuehle mich gerade nicht 'passend' hier an diesem Ort und nicht in meiner Rolle, die ich aber nunmal inne habe und der ich so gern entkommen wuerde.
Ein kurzer Blickkontakt, ein Laecheln - und doch sind wir einander so fern. Ich traue mich nicht, mich zu ihm zu setzen - warum, es waeren doch nur ein paar Schritte?!"

Aber jetzt erstmal nochmal zurueck.

Nach ein paar Tagen in Mamallapuram bin ich dann ca 50 Kilometer weiter in den Sueden Tamil Nadus gefahren; nach Pondicherry.
"Man" sagt, es sei soooo schoen dort; eine alte franzoesische Kolonie, die sich ihr 'franzoesiches Flair' bewahrt habe. Ja, in gewisser Weise stimmt das schon. Die Gassen direkt hinter der Uferpromenade sind wirklich eher im Stil einer franzoesichen Kleinstadt und man fuehlt sich wirklich nicht wie in Indien; kein Dreck, kein Laerm, kaum Bettler, wenig Englisch, viel franzoesisch. Ganz "suess".

Aber der Rest der Stadt ist wie andere Staedte auch, nur - wie ich finde - relativ nichtssagend. Durch 'klein Frankreich' in Indien zu schlendern ist zudem insofern etwas befremdlich, weil es irgendwie nicht passt - teure, schicke Hotels und Restaurants, natuerlich alle im franzoesischen Stil, in denen man noch nicht mal seinen Kaffee selber einschenken darf und die das Wort 'Chai' nicht verstehen (wollen).
Es ist dort nicht wie bspw. in Kalkutta, wo 'arm' und 'reich' trotz aller Paradoxe irgendwie 'zusammenpassen' (kling jetzt komisch, aber wenn ihr mein Kapitel ueber Kalkutta gelesen habt, dann wird's vielleicht verstaendlich, wie ich es meine?! )

Und ausserdem: hm, die Kolonialzeit war nunmal nicht fuer alle Seiten "rosig". Aber ich hatte dort den Eindruck, dass man dies in "Pondi" vermitteln moechte ... NUR ein Eindruck, aber eben AUCH ein Eindruck.

Von Pondicherry aus bin ich also mit dem Bus in knapp 18 Stunden nach Trivandrum (Hauptstadt; im Sueden Keralas, nochmal ca 2 Busstunden von Varkala (Strandoertchen) entfernt) geduest.

By the way - Ich LIEBE die Busfahrten in Indien!! So extrem laut-schraeddernde Bollywoodfilm-Beschallung (aber nur in den "Super Deluxe"-Bussen, die bis auf den Fernseher in Wahrheit jedoch wenig luxurioes sind , so schlecht gepolsterte Sitze, so dubiose Nachtstops an irgendwelchen Chaikuechen im 'Nichts', so viel Adrenalinausstoesse wegen waghalsigen Ueberholmanoevern ... GEIL!
Also ich ziehe die Busse zweifelsohne jedem Zug vor, auch wenn man sich wohl nie so sicher sein kann, heile anzukommen. Aber nen bisschen Risiko muss sein, oder?!

So, wo war ich?! Ach ja, Kerala.
In Kerala gibt es ausserdem ein Projekt, dass mich sehr interessiert und in dem ich mir vorstellen koennte zu Volunteeren.
Der Name des Projektes ist "Basis International" und sie arbeiten u.a. im Bereich umwelt- und sozialvertraeglich ausgerichteter Tourismuskonzepte.
Es geht mir hierbei aber im Grunde mehr um diese 'Base', als um die Arbeit an sich, auch wenn es natuerlich schoen waere eine fuer mich 'produktive', d.h. mein Studium betreffende Arbeit zu finden.

Ich muss und moechte ja auch an meinen weiteren beruflichen Weg denken, denn eines ist mir klar geworden -
Ich bin nicht eine dieser ewigen 'Traveller-Seelen, die am liebsten ihr Leben lang 'on tour' sein wollen und sich nirgends verwurzelt fuehlen und auch nicht fuehlen wollen - so, wie ich es eine Zeit lang selbst von mir dachte.

Diese Erkennsnis, die sich bereits auf den Andamanen angebahnt hat, ist die wohl bis jetzt tiefgruendigste, praegendste und meinen weiteren Weg beeinflussenste, die ich dank meiner Reise erlangt habe. Und es ist ein sehr positives und beruhigendes Gefuehl, jetzt wo ich es einzuordnen weiss!

Alles in allem mag sich das jetzt alles vielleicht ein wenig sehr negativ und deprimiert anhoeren. Ist es vielleicht auch, teilweise.
Denn wenn ich ganz ehrlich bin - zu euch und zu mir selbst -dann kann ich mir gerade keinen Ort auf dieser Welt vorstellen, den ich jetzt gerne bereisen moechte. Ich kann es nicht mehr richtig geniessen. So, wie ich schon Mamallapuram und auch Pondicherry nicht mehr wirklich geniessen konnte, ist es aehnlich auch hier in Varkala. Obwohl es hier tatsaechlich sehr, sehr schoen ist (abgesehen davon, dass es natuerlich schon sehr touristisch zugeht, aber das habe ich nicht anders erwartet)

Aber: Die schoensten, interessantesten, bezauberndsten, "exotischsten" (... ) Orte dieser Erde verlieren ihre Schoenheit und Besonderheit, wenn sie 'wahllos' aneinandergereiht werden - fuer mich zumindest.
Ich moechte mir die Schoenheiten dieser Welt aber doch bewahren! Und ich fuehle mich beinahe 'schuldig', hier so etwas nieder zu schreiben, wo doch so viele von euch bestimmt gerade in Fernweh schwelgen! Aber auch wenn bei mir momentan ein wenig 'die Luft raus' ist, so bedeutet das nicht, dass ich kein Fernweh mehr habe Ich muss nur mal etwas aendern.

Fuer meinen weiteren Aufenthalt hier in Indien bedeutet dies nun, dass ich mir eine 'Homebase' suchen werde.
Und diese 'Base' - so hoffe ich es zumindest - koennte eben dieses Projekt "Basis-International" sein.
(hm, mit faellt grad auf, dass die 'Base'ja schon im Namen enthalten ist ... Zeichen?! )
Mich in ein solches Projekt einzubringen hatte ich in meiner Reiseplanung sowieso vorgesehen, nur ist es bis jetzt nie dazu gekommen... jetzt allerdings ist die Zeit reif!
Na, sagen wir nach dem 24. - ich wollte immer schonmal am 'heiligen Abend' am Strand einen Cocktail schluerfen ...

Ich halte euch auf dem Laufenden -

nico

Und falls ich mich vorher hier nicht mehr melden sollte: Ich wuensche euch allen wunderschoene und gemuetliche Weihnachtstage mit lieben Menschen und mollig-warmen Socken an den Fuessen... !!
Hm, ein bisschen 'wehmuetig' werde ich ja dann doch.

© Nicola Stratmann, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Meine Reise nach Indien, Sri Lanka, Thailand ... und was mir sonst noch begegnen möchte.
Details:
Aufbruch: 15.09.2007
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: 03.09.2008
Reiseziele: Indien
Havelock Island
Thailand
Der Autor
 
Nicola Stratmann berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Nicola sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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