Railroad Crossing - mit dem Zug quer durch die USA: New York - San Francisco

Reisezeit: Mai / Juni 2007  |  von Markus Keune

17.05. New York

Ich werde wach und sehe, es ist bereits hell draußen. Ach nein, das ist ja nur das Licht vom Gang. Also wie spät ist es? Ich fühle mich jedenfalls putzmunter und so riskiere ich einen Blick auf die Uhr: Es ist 6 Uhr früh! Wie kann das sein? Weniger als 4 Stunden geschlafen und doch so munter? 6 Uhr New Yorker Zeit entspricht 12 Uhr Mitteleuropäischer Zeit und ich habe es schon fertig gebracht, länger als mittags zu schlafen.
Jedenfalls freue ich mich sehr über diesen Erfolg, denn so früh wollte ich eigentlich auch jetlag-bedingt aufstehen, hatte nur nach der späten Ankunft letzte Nacht die Hoffnung aufgegeben. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, sogar Klopapier haben Heinzelmännchen in den letzten 4 Stunden im Gemeinschaftsbad aufgefüllt.

Bei meinem ersten Freigang draußen vor dem Hotel schlage ich erstmal meinen Stadtplan auf: Wo ist die Manhattan Bridge? Wäre ich einfach nur die 20m bis zur Ecke gelaufen, dann hätte ich mir das Herauskramen der Karte sparen können.
Der Blick hinüber auf die Brooklyn Bridge und die dahinter erwachende Stadt ist wirklich nicht schlecht, jedoch kann ich einen Spaziergang über die Manhattan Bridge zu dieser Uhrzeit zumindest alltags nicht empfehlen, es sei denn, lauter Lärm und Vibrationen, die jede Stativaufnahme scheitern lässt, stört nicht, denn direkt neben dem Fußweg spielt die MTA mit ihren U-Bahnzügen. Natürlich ist der Fahrplan so abgestimmt, dass sich stets nur eine Bahn gleichzeitig auf der viergleisigen Brücke befindet, so dass ständig irgendwo die nächste Bahn kommt, statt alle zusammen und dann 5 Minuten Ruhe.

Gestern Abend muss es übrigens ein furchtbares Unwetter gegeben haben. Selbst mein Taxifahrer fragte väterlich, ob ich denn auch ein Zimmer vorgebucht hätte, denn ganz New York wäre ausgebucht gewesen, weil viele Flüge gestrichen wurden und so mehr Leute als geplant eine weitere Nacht in der Stadt verbringen mussten. Gestern konnte ich es kaum glauben, da wir ohne Beanstandung landen konnten, aber die Ausmaße kann ich heute früh noch gut auf der Promenade oberhalb des Brooklyn-Queens-Expressway erkennen. Dutzende dicke Äste sind wie Streichhölzer abgebrochen, so dass man sich auf der Promenade echt wie durch einen Dschungel kämpfen muss, um die verschiedenen Aussichtspunkte auf die Brooklyn Bridge einzunehmen.

Auf der Brücke selber, einem Paradies für Fotografen, bettelt meine Kamera dann um jedes Motiv, dass sie schießen darf: "Bitte, nur noch 5 Minuten. Noch ein Foto, bitte!!!" Und ich kann ihr doch so schlecht einen Wunsch abschlagen, aber irgendwann ist auch mal genug. Ok, ein Foto noch, aber das ist dann das allerletzte. Zumindest vor dem allerallerletzten.

Zurück in der Stadt wandele ich wieder auf vertrauten Pfaden. Habe ich 2004 die Stadt nach 7-jähriger Pause praktisch neu kennen lernen müssen, kommt mir dieses Jahr alles gleich wieder bekannt vor. Ich stehe vor einem schönen monumentalen Gebäude, höre aus Lüftungsschächten unter mir etwas unheimlich laut quietschen, und so schließe ich daraus, dass ich vor der City Hall stehen muss und unter mir die U-Bahnlinie 6 sein muss, die hier in einer wunderschönen, geschlossenen, alten Station in sehr engen Kurven wendet.
Weiter geht es zum Ground Zero, den ich bereits 2004 schon einmal besucht habe, doch noch immer ist kein Baufortschritt erkennbar und noch immer überkommt einen ein richtiger Schauer, wenn man hier steht. Ich glaube, das wird auch niemals mehr anders sein.

Freundlicher präsentiert sich da schon die Börse an der Wall Street. Ob der DAX gestiegen ist, weiß ich nicht, denn ich bezog die freundliche Präsentation auf die Lage des Gebäudes in der Sonne. Schön, wenn man Urlaub hat und solche Details genießen kann, obwohl ich nichts gegen einen schnell verdienten Dollar hätte. Und wie gerufen finde ich einen Dollarschein auf der Straße. Merke: Du musst nicht an der Börse handeln, um reich zu werden.

Wieder einmal muss ich meinen Stadtplan nach dem Weg fragen und glücklicherweise verlangt er dafür nichts. Im Gegenteil: Ich glaube, er ist auch eher froh, mal an der frischen Luft zu sein und nicht immer in meiner Tasche eingesperrt.
Jedenfalls verrät er mir, dass es sich nicht lohnt, mit der U-Bahn Richtung Bowling Green zu fahren, denn besagter Park, übrigens winzig klein, ist nur ein paar Blocks entfernt. Danke kleiner Stadtplan, hast was gut bei mir.

Ein paar Gehminuten später fahren mein kleiner Stadtplan und ich auf einer großen Fähre hinüber nach Staten Island. So viele Menschen, so eine große Fähre und dennoch so kostenlos. Wie kann das sein? Ich meine, irgendwer muss die riesigen Schiffe doch bezahlen. Wenn jeder Passagier 25 Cent zahlen müsste, was eigentlich niemanden wehtun würde, würden sich wahrscheinlich noch immer nicht die kosten decken lassen, aber es wäre sicher ein hübscher Betrag. Jedenfalls: Danke Staten Island Ferry, hast was gut bei mir.

Was aber um Himmels Willen will ich überhaupt in Staten Island? Eigentlich gar nichts und darum fahre ich auch gleich wieder zurück. Und warum das ganze? Weil man so ohne große Wartezeit und auch noch kostenlos nahe an der Freiheitsstatue vorbei kommt und sehr gute Fotos aus der Entfernung machen kann. Den Tipp habe ich übrigens aus dem usa-reise-Forum. Danke Forum, hast was gut bei mir.

Zurück an Land wird es nun aber Zeit für eine Fahrt mit der U-Bahn, doch die einzigen beiden Automaten an der South Ferry Station werden zur Zeit von einer Schülergruppe belegt. Das dauert ja ewig! Von Vorteil ist, wer sich hier etwas auskennt. Nur 100m entfernt liegt nämlich die Whitehall Street Station. Zwar halten dort die momentan falschen Linien, aber ein freier Fahrkartenautomat lacht mich an. Danke Automat, hast was gut bei mir.

Zurück in South Ferry sehe ich die Gruppe noch immer mit dem elektronischen Schaffner kämpfen. Ich jedenfalls habe mein Ticket und bin ab durch die Mitte.
Bis 2010 kann man sich als Eisenbahnfreund an dieser ungewöhnlichen Station noch erfreuen, bis sie einem Neubau weichen wird. Die Station liegt an der sehr engen Wendeschleife und bietet nur 5 Wagen der 10 Wagenzüge Platz. Durch den sehr engen Gleisradius ergeben sich zwischen Türen und Bahnsteig große Lücken, die auch mit einem ,Mind the Gap' á la London nicht zu lösen sind, sondern hier wurden bewegliche Plattformen, so genannte Gap-Filler, installiert. Sehr interessant zu beobachten. Der Zug fährt ein ganz kurzes Stück an, Lichtschranken registrieren die Bewegung, fahren die Plattformen zurück und der Zug kann abfahren. Wer das jemals mit ansehen will, sollte sich danach die Ohren zuhalten, denn das Kurvengequietsche des beschleunigenden Zuges ist kaum auszuhalten.
Spaß macht anschließend das Jagen der Züge. Die von South Ferry abfahrende Linie 1 ist ein Lokalzug, ab Chambers Street verkehren parallel die Expresszüge der 2 und 3 und durch den gut abgestimmten Fahrplan ist es so möglich, vorausfahrende Lokalzüge der 1 einzuholen.

Am Central Park erblicke ich wieder das Tageslicht und kurz darauf schließe ich im Gras liegend wieder die Augen und lausche einem der zahlreichen Saxophon-Spieler, die zum Geldeinsammeln überall im Park verteilt wurden. Aber Spaß beiseite, die meisten sind echt gut und haben sich wirklich ein Trinkgeld verdient, im Gegensatz zu den Leuten, die die Parklaternen aufgestellt haben. So gut wie keine von denen steht gerade.
Hinterm Zoo spielt sogar eine kleine Band, der ich auch noch ein paar Sekunden meiner kostbaren Zeit sowie ein paar Fotos von Präsidenten schenke.

An der Unterführung am Bethesda Fountain werden gerade die Fresken an der Decke und die Gemälde an den Wänden restauriert und gereinigt. Es sieht wunderschön aus, nur frage ich mich allen Ernstes, ob sich die Mühe lohnt, denn ich sehe keine Gitter, die zu nächtlicher Stunde Sprayer und andere Anti-Künstler von der Verunstaltung dieser Werke abhält.
Ich denke nun, das war genug Kunst für heute, so dass ich mir den Eintritt ins Kunstmuseum sparen kann. Ok, wer mich kennt, weiß, dass ich da wohl nie freiwillig rein gegangen wäre. Anders die armen Kiddies, die zu Hunderten per Schulbus angekarrt werden. Die haben keine Chance zu entkommen.

Mit der U-Bahn mache ich einen kurzen Abstecher zur Grand Central Station und nutze die Gunst der Stunde, die mächtige Halle noch vor der Überfüllung während der Rush Hour in Augenschein zu nehmen.

Draußen auf der Straße hat das Dauerchaos auf der Park Avenue bereits zugeschlagen. Überall stehen Autos quer, die dritte Symphonie des typisch New Yorker Hubkonzert erklingt in höchsten Tönen und ich wundere mich nicht zum ersten Mal darüber, dass an einigen Kreuzungen tatsächlich nur eine einzige Ampel versucht, den mehrspurigen Fahrbahnen Einhalt zu gebieten.

Gerade noch rechtzeitig höre ich meinen armen Stadtplan wieder nach Luft japsen. Hast ja Recht, Kleiner, habe lange nichts mehr nachsehen müssen. Wo bin ich hier eigentlich? Nur 2 Blocks vom Rockefeller Center entfernt? Mmmh, wollte ich ja eigentlich erst morgen hin, wenn mir mein geplantes Programm ausgegangen ist. Aber wird das Wetter morgen auch so sonnig sein? Ok, überredet.

Im Gegensatz zum Empire State Building bin ich hier super schnell auf der Aussichtsplattform. Niemand vor mir an der Sicherheitskontrolle, ich kann einfach durchgehen bis zum Aufzug und die Plattform oben gähnt fast vor Leere. Dafür strahlt immerhin die Sonne und bringt den Auslöser meiner Kamera zum Glühen. Oder war ich das etwa?

Hier oben auf dem Deck spricht man vornehmlich Deutsch. Eigentlich mische ich mich ja auch nicht gerne in Gespräche ein, aber als jemand fragt, ob man von hier das Pentagon sehen könnte und jemand anderes meint, das Gebäude sei ein Achteck, kann ich leider nicht anders als für klare Verhältnisse zu sorgen. Sie werden es mir danken, wenn sie jemals in einer Quizshow ausgefragt werden. Meinen rechtmäßigen Anteil werde ich aber wohl abschreiben können.
Sehr schön ist übrigens auch der Aufzug des Rockefeller Centers, wo man einen uneingeschränkten Blick durch die Decke nach oben hat, also genau sehen kann, wie hoch der Schacht ist. Interessant wäre auch das Gegenteil, ein durchsichtiger Fußboden, aber ich fürchte, diese Ansicht teilt nicht jeder mit mir.

wo wir gerade beim Thema Aussicht sind, geht es gleich weiter zur Roosevelt Island Aerial Tramway, einer Seilbahn über den East River. Ich hatte es bis vor 3 Jahren nicht für möglich gehalten, dass es so ein langsames Transportmittel in so einer hektischen Stadt heute noch überleben kann. Man lernt nie aus. Jedenfalls kann ich die Fahrt nur jedem empfehlen, ebenso ein kleines Picknick auf den Bänken mit Manhattan-Blick, für das ich spontan Obst bei einem Straßenhändler gekauft hatte.

Als guten Abschluss eines gelungenen Tages geht es noch einmal zurück auf die Brooklyn Bridge, wo ich die Stadt zur blauen Stunde fotografieren möchte. Die Zeit bis dahin verbringe ich auf einer harten Bank auf der Brücke, die sogar rezeptfrei zu nutzen ist, denn die vom Verkehr auf die Bank übertragenen Vibrationen könnte man leicht als gute Rückenmassage vermarkten.
Da hier aber doch ein sehr kalter Wind pfeift und mein Bedarf an Musik gedeckt ist, nutze ich die U-Bahn Station an der High Street als Heizung, denn in den U-Bahnhöfen von New York steht zu jeder Tages- und Nachtzeit irgendwie die Hitze. Nachteil der Aktion: Ich bin ein wenig zu spät zurück auf der Brücke.

Bevor es zurück in meinen kleinen Knast geht, versuche ich noch am Times Square ein paar Fotos zu machen, doch der Platz ist einfach zu hell. Also kürzere Belichtungszeiten, doch so bekommt man die schönen von Schlusslichtern gebildeten Streifen nicht hin. Dann halt nicht.
An der nächsten Ecke entdecke ich das hierher umgezogene Hard Rock Café, das sich auch der meiner Meinung nach schlechteren Entwicklung des Platzes angeschlossen hat und mit auffälligster Neonreklame aufwartet. Es ist einfach nicht mehr dasselbe wie 1997, wo ich zum ersten Mal ein Hard Rock Café überhaupt besucht hatte. Es ist einfach nicht mehr dasselbe.

Zurück in Chinatown hinter schwedischen Gardinen (blöder Vergleich, denn mein Hotelzimmer hat ja bekanntlich keine Fenster) will ich eigentlich nur noch schlafen. Noch eine kurze Runde durchs Bad, um festzustellen, dass mal wieder kein Klopaper vorhanden ist. Wundert mich das? Amerikaner sollen bei gewissen Geschäften ihre ganz eigene papierintensive Knülltechnik haben und scheinbar hat sich der daraus resultierende Papierverbrauch noch nicht zu den Chinesen durchgesprochen. Gut zusammengefaltet lege ich mich dann schlafen, doch habe ich nicht etwas vergessen?

Übernachtung: Sun Bright Hotel - New York, NY

© Markus Keune, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Die Zugfahrt einer guten Bekannten musste storniert werden. Heraus kam ein Gutschein, den sie auf meinen Namen ausschreiben ließ - eine nette Geste, doch musste ich so eine Tour finden, die teuer genug ist, den ganzen Gutscheinwert abzufahren. Dann erfülle ich mir halt einfach den Traum und fahre einmal quer durch die ganze USA - mit dem Zug!
Details:
Aufbruch: 16.05.2007
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 02.06.2007
Reiseziele: Vereinigte Staaten
Der Autor
 
Markus Keune berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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