Railroad Crossing - mit dem Zug quer durch die USA: New York - San Francisco

Reisezeit: Mai / Juni 2007  |  von Markus Keune

30.05. San Francisco

Kälte - Der Atem gefriert. Die Finger werden taub. Die Luft klirrt vor Kälte. Wasser erstarrt zu Eis, Tiere nehmen Reißaus, Schnee fällt zu Boden, Flocken tanzen in der Luft. Wind setzt dem ganzen noch zusätzlich zu - so in etwa muss es sich in der Eiszeit anfühlen, doch glücklicherweise bin ich davon noch ein paar Grad entfernt, obwohl nun mein Fleece-Pulli, der ursprünglich nur für laue Abende gedacht war, nun mein ständiger Begleiter sein wird.

An der Market Street schieße ich für Wolfgang's 1924er Projekt die letzten Vergleichsfotos und bin damit (außer Postkartenschreiben) von allen mir auferlegten Pflichten befreit.
Alsdann begebe ich mich auf eine kleine Weltreise. Zuerst geht es durch die Finanzwelt der Stadt, dem Financial District. Fernab von Ägypten ragt hier eine imposante Pyramide in die Höhe, die Transamerica Pyramid, man könnte guten Gewissens behaupten, sie ist ein Wahrzeichen der Stadt.

Weiter führt mich meine Reise nach China. Um mich herum nur noch unverständliche Schriftzeichen, rote Laternen über den Geschäften und Straßen, fremde Gerüche, jede Menge Krimskrams und Nippes für den sparsamen Tourist, der hier weniger Dollar ausgeben muss als am Fisherman's Wharf. Noch mehr spart man aber, wenn nach meiner Methode vorgeht: Gar nichts kaufen. Inzwischen weiß ich daheim nämlich schon nicht mehr wohin mit dem ganzen Souvenirkrempel. Auf meinen ersten Reisen hatte ich noch die Läden leer gekauft, doch bei der nun achten USA-Reise entfällt auch so langsam der Grund eines jeden Souvenirs: Andenken. Eine Erinnerung an ein Reiseziel. Wofür muss ich mich an etwas erinnern, was ich mit schöner Regelmäßigkeit immer und immer wieder besuche?

Setze ich lieber meine Weltreise fort und lande in den Bergen. Bisher war für mich und jedem Tourist der Stadt immer Lombard Street die steilste Straße der Stadt, doch dann las ich im Internet, die 22. Straße im Süden wäre sogar noch steiler. Das habe ich mir natürlich auch angesehen, aber nach meinem Empfinden verdient eine noch ganz andere Straße die Ehre, steilste Straße der Stadt genannt zu werden und zwar die Kearny Street zwischen Broadway und Vallejo. Eine kurze Sackgasse, die man im Winter leicht als Sprungschanze fürs Skifliegen zweckentfremden könnte. Wer hier Anlauf nimmt wird nicht vor Monterrey wieder zu Boden kommen. Rückwärts einparken mit Schaltwagen dürfte hier ebenso amüsant werden wie Zeitungsaustragen per Fahrrad. Wer's nicht glaubt, sollte einfach mal vorbeischauen.

Eine Ecke weiter hat die Vernunft gesiegt und die Vallejo Street zwischen Kearny und Montgomery wurde nicht einmal mehr als Straße ausgeführt, sondern die Häuser werden durch Treppen erschlossen, die sich fotogen durch einen Blumenhang schlängeln. Eine Straße an dieser Stelle hätte aus jedem PKW mit aufrechten Sitzen einen Sportwagen mit Liegesitzen gemacht, zumindest beim Bergauf fahren.

Am Nachmittag nehme ich an einer ganz besonderen Tour teil. In einem alten Feuerwehrwagen soll es über die Golden Gate Bridge gehen. Die Tour ist zwar nicht ganz billig, aber die Betreiber schlagen auch jedes Mal die Hände überm Kopf zusammen, wenn sie auf den Preis angesprochen werden. "Habt ihr eine Ahnung, wie viel Geld wir jährlich für Lizenzen zahlen müssen?" Einen historischen Feuerwehrwagen zu kaufen, warten, in Schuss halten, dann Sondergenehmigung, um damit Ausflüge machen zu können, andere Leute mitzunehmen, ihn in Feuerwehrfarben gestrichen zu lassen, Sondergenehmigungen, um die Sirene nicht entfernen zu müssen - von der Wiege bis zur Bare, Formulare, Formulare.

Wie gut, dass ich Urlaub habe und jetzt einfach nur mitfahren brauche. Zuerst bekommt jeder von uns eine modische Feuerwehrjacke - erstens der Optik wegen und zweitens der Temperatur wegen, denn immerhin fahren wir gleich in einem Cabrio über die Golden Gate Bridge und das dürfte bei dem Wind und wolkenbehangenem Himmel doch etwas kühler werden.

Wir fahren ab und schon plappert Marilyn los. Sie erzählt einiges über die Stadtteile Marina und Presidio, während wir diese durchqueren, ebenso natürlich über die Golden Gate Bridge. Die Brücke hat es ihr - neben dem roten, alten, schicken, glänzenden Mack Feuerwehrwagen - besonders angetan. Sie könnte gut in die Werbebranche gehen, ich würde ihr sofort das Produkt Golden Gate Bridge abkaufen, so schön, wie in ihren Augen die Brücke ist. Selbst für den Nebel und die Kälte findet sie noch die passenden positiven Worte.
Ihre Erzählungen werden nur gelegentlich bis häufig durch selbst komponierte Liedchen unterbrochen, die wir teilweise auch noch mitsingen sollen. Die Tour ist ganz auf den typischen Amerikanischen Touristen abgestimmt. Dieser scheint auf ein solches interaktives Programm abzufahren. Aber selbst, wenn man versucht, diese kleinen schiefen Liedchen zu überhören - man schafft es nicht. Für den Rest des Urlaubs werden mir diese als Ohrwürmer nicht aus dem Kopf gehen.
Immerhin kann sich niemand beschweren, die Tour wäre stinklangweilig oder die Stimmung mies gewesen.

Ja und dann fahren wir über die Golden Gate Bridge. Für mich schon ein besonderer Moment, den ich versuche, so richtig auszukosten und zu genießen. Ich bin über die Brücke schon gelaufen, Fahrrad gefahren, bin mit dem Auto und Reisebus rüber und jetzt - ganz neu - in einem roten, alten, schicken, glänzenden Mack Feuerwehrwagen (jetzt fange ich auch schon an zu reden wie Marilyn).
Besonders schön sind die neidischen Blicke der anderen Touristen auf der Brücke. Neidisch sind sie - und überrascht. Zwar läutetet Marilyn unentwegt die Glocke um auf uns aufmerksam zu machen, doch schnell wie die Feuerwehr sind wir da - und schon wieder weg, so dass kaum jemand Gelegenheit findet, von uns ein Foto zu machen.

Letzteres bleibt wohl nur uns vorbehalten. Nördlich der Brücke wird der Wagen abgestellt und es heißt, Fotoapparate raus und sich im Feuerwehrmanndress vor dem roten, alten, schicken, glänzenden Mack Feuerwehrwagen fotografieren zu lassen. Und anders als von den Zwangbildern in den Warteschlangen zum Empire State Building und Co sind hier alle Fotos kostenlos, da sie schlicht mit den eigenen Kameras gemacht werden.
Nachdem die Anzahl Fotoknipsgeräusche die kritische Grenze von 500 überschritten hat, kehren wir mit unserem roten, alten, schicken, glänzenden Mack Feuerwehrwagen zurück nach San Francisco.

Mein Sitzfleisch verlangt nach etwas Erholung und so schlendere ich zum Pier 39. Hier begrüßen mich meine Freunde, die Seelöwen, mit einem lautstarken UIuihiuhihuuahau! Ich grüße freundlich zurück.
Statt hier faul in der nicht vorhandenen Sonne zu liegen, sollten sie lieber mal eine Runde in der Bucht schwimmen und sich waschen, denn von den Jungs kommt ein nettes Düftchen herüber geweht. Mein lieber Herr, da hat aber einer Schweißflossen.

Und dann immer das Gezanke. Ich meine, einigen ist völlig Schnuppe, was auf den Pontons so abgeht. Da können Jungtiere von Seelöwe zu Seelöwe springen, das juckt die faulen Herrschaften überhaupt nicht, aber anderen ist schon ein Seelöwe in der Nähe zu viel und so wird er einfach heruntergeschupst. Vielleicht hat er ja Maulgeruch.
Gar nicht faul, versucht dieser wieder auf das Holzbrett zu kommen, wird jedoch immer wieder heruntergeschupst. Von vorne, von hinten, von der Seite - wie mit einem Radar ausgestattet, ortet der König der Holzplatte den Eindringling sofort und erstickt die Landungsversuche schon im Keim. Dennoch einfach nur drollig, dabei zuzusehen.
Irgendwann hat er es unter lauten 'Ahhhh' und 'Ohhhh' Rufen der Menge endlich geschafft, sich doch wieder aus dem Wasser zu heben und schmeißt nun dafür seinen Kontrahenten ins Wasser. Da ist Stimmung in der Bude. Die Menge krümmt sich schon fast vor Lachen.

Ein paar Schritte weiter am Karussell versucht ein Komiker der menschlichen Rasse, die Zuschauer für ein bescheidenes Trinkgeld zu erheitern, doch gegen seine tierischen Freunde kommt er nicht an. Ich höre aus der Ferne noch immer ein lautes 'Uhaauhaullauhu!' und als nächstes wieder ein Platschen und weiß genau, was da wieder vorgefallen ist.

Hier am Ende von Pier 39 befindet sich auch ein Bubba Gump Shrimp Restaurant. Inspiriert durch den Film Forrest Gump wurde diese Restaurantkette 1996 eröffnet (der Film ist von 1994). Wer sich einmal wie der Millionär des Films fühlen möchte, kann sich etwas versteckt auf der oberen Etage vor dem Restaurant auf eine Bank setzen, seine Füße in die Schuhe von Forrest Gump stecken und mit dem berühmten Koffer, aus denen Forrest seine Pralinenschachtel zaubert, fotografieren lassen.

Den Rest des Abends fröne ich wieder meinem Laster, denn ich bin schon schwer auf Straßenbahnentzug. Per U-Bahn Linie L geht es raus zum Zoo und zur Pazifikküste, nach kurzem Spaziergang wieder zurück nach West Portal und mit der Linie K weiter zum Depot am Balboa Park. Hiermit bin ich nun alle Straßenbahnlinien von San Francisco durch.

Mit der alten historischen Bahn kann ich zwar scheinbar nicht mehr zum Depot fahren, aber dafür haben sie mir zur Entschädigung einige alte Bahnen fotogen aufgereiht (Man muss es sich nur oft genug einreden, dann glaubt man auch an so etwas).

Zurück im Hotelbettchen höre ich noch immer meinen Ohrwurm des Tages...
The red old shiny Mack - Fire Engine. The red old shiny Mack - Fire Engine...

Übernachtung: Grant Hotel - San Francisco, CA

© Markus Keune, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Die Zugfahrt einer guten Bekannten musste storniert werden. Heraus kam ein Gutschein, den sie auf meinen Namen ausschreiben ließ - eine nette Geste, doch musste ich so eine Tour finden, die teuer genug ist, den ganzen Gutscheinwert abzufahren. Dann erfülle ich mir halt einfach den Traum und fahre einmal quer durch die ganze USA - mit dem Zug!
Details:
Aufbruch: 16.05.2007
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 02.06.2007
Reiseziele: Vereinigte Staaten
Der Autor
 
Markus Keune berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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