Railroad Crossing - mit dem Zug quer durch die USA: New York - San Francisco

Reisezeit: Mai / Juni 2007  |  von Markus Keune

28.05. California Zephyr durch Nevada

Bestandsaufnahme: Uhr - zeigt die falsche Zeit an, wir sind wieder in der nächsten Zeitzone, also wieder eine Stunde mehr Zeit zum Schlafen gehabt. Daran könnte ich mich gewöhnen. Was noch? Wüste! Wir scheinen aus Colorado heraus zu sein. Fahrplan? Ja, vorhanden zur Dekoration. Laut diesem sollten wir Winnemucca, Nevada, schon längst hinter uns gelassen haben. Rechnet man die wahrscheinliche Verspätung mit ein, müssten wir gerade in der Gegend um Elko, Nevada sein. Wo ist meine Sekretärin?

Frühstück. Wieder einer dieser magischen Momente, diesmal aber ein ganz anderer: Holzklötzchen lacht! Das gibt's doch gar nicht, unter der Fassade steckt ja ein Mensch! Man hat ihm soeben für seine treuen Dienste gedankt und eine kleine Abschiedsfeier veranstaltet, denn diese Zugfahrt ist die letzte vor der Pensionierung. Ich bin eher der Meinung, wir feiern, dass er bald weg ist.

Die Landschaft vor dem Fenster hat sich stark verändert. Wir durchqueren nun die Wüste Nevadas. Zwar sind noch immer keine roten Steine zu sehen, für die Hinz und Kunz in den Südwesten aufbricht, sondern dieser Teil der Wüste überzeugt durch andere Details. Begrenzt durch braune Berge rechts und links fahren wir durch ein weites Tal, durch das überraschenderweise sogar ein kleiner Fluss fließt. An dessen Ufer gedeihen die schönsten Pflanzen, doch etwa 5 Meter davon entfernt setzt sich der sandige Boden wieder durch. Sand, soweit das Auge reicht. Zeit, hier eine kleine Sanduhrenfabrik zu bauen. Rohstoffe liegen genügend vor der Haustür.

Parallel verläuft im Süden in einiger Entfernung ein weiteres Gleis. Ich sitze minutenlang mit eingeschalteter Kamera da und warte auf einen Zug. Nichts. Hier wäre so ein schönes Foto möglich, denn das Gleis hat genau den richtigen Abstand zu unserem. Nicht zu nah, so dass man gar keine komplette Lok auf ein Foto bekommt, aber auch nicht zu fern, wo man ohne die Lupenindustrie anzukurbeln nichts erkennen kann. Wirklich schade. Irgendwann gebe ich es auf und finde mich mit meinem Schicksal ab, dass Züge nie dann irgendwo auftauchen, wenn man sie am meisten benötigt. Ich lehne mich zurück, stecke meinen Kopf zwischen meine Kopfhörer und genieße die kühle Brise der Klimaanlage.

Draußen verändert sich die Wüste. Kein Abschnitt ist wie ein anderer. Einige Hügel werden mittels Tunnels durchquert, teilweise nehmen die beiden parallel führenden Gleise total verschiedene Wege, treffen sich am Ende der Einsamkeit aber wieder. Flogen bei den weiten Feldern Colorados wenigstens noch ab und an ein Bauernhof vorbei, so ist hier rein gar keine Bebauung anzutreffen. Keine Siedlung weit und breit. Nur braune Berge, brauner Boden, Sand und der kleine Fluss, der uns wacker begleitet, ohne vorher auszutrocknen. Bleib stark, Kleiner.

Wir werden langsamer und tragen uns scheinbar fürs nächste Schneckenrennen ein. Wir schleichen über Meilen nur so dahin. Das muss eine der bereits im Internet angekündigten Baustellen sein. Wir wurden zwar nicht, wie befürchtet, durch Wyoming umgeleitet, wahrscheinlich, weil am Memorial Day Wochenende niemand arbeitet, aber die Langsamfahrstelle macht keinen Urlaub. Die ist auch am Wochenende fleißig und zwingt alle Züge zum Schleichen.
Endlich erreichen wir den nächsten Bahnhof und es ist: Elko. Hier sollten wir um 3:21 Uhr morgens durchkommen. Jetzt ist es fast Mittag. Wir haben nun 8 Stunden Verspätung. Meine abendlichen Pläne für San Francisco kann ich über den Haufen werfen. Ich hoffte, wenigstens noch ein wenig die Füße vertreten zu können, doch jetzt muss ich ja heilfroh sein, wenn wir überhaupt im Hellen noch über den Donner Pass kommen.

Nur mal nebenbei bemerkt: Zwischen Salt Lake City, Utah und Elko, Nevada, befindet sich im Netz der Amtrak der längste Streckenabschnitt ohne Haltepunkt. 5 Stunden und 22 Minuten ohne Bahnhof. Wenn man das mal auf Deutschland umrechnet, das würde bedeuten, ein Zug hält nicht zwischen Düsseldorf und Stuttgart. Und das nicht, weil er ein Schnellzug ist, sondern weil dazwischen praktisch überhaupt kein größerer Ort ist. Macht euch mal die riesige Entfernung klar: Düsseldorf - Stuttgart ohne größere Orte! Wahnsinn! Und das ist nur eine kleine Ecke von Nevada bisher. Weitere einsame Landstriche folgen.

Als wir am Nachmittag Reno erreichen, haben wir knapp 9 Stunden Verspätung. Obwohl schon spät am Abend, ist es draußen noch immer brüllend heiß. Wie kann man nur freiwillig in so einem Backofen Urlaub machen, geschweige denn hier wohnen? Ich mache meine obligatorischen Fotos und bin wieder dorthin verschwunden wo es angenehm kühl ist.

Hinter Reno überqueren wir die Grenze zu Kalifornien und mit einem Schlag wird die Landschaft grün. Bäume, meine Freunde, die ich schon lange nicht mehr gezählt habe, zählen nun wieder zu meinen Wegbegleitern. Viele sind davon sicher schon so alt, sie könnten noch einen Schwank vom Eisenbahnbau zum Besten geben, wovon sie Augenzeuge waren. Wenn Bäume sprechen könnten...

Und so höre ich nur die mitgebrachte Musik und versuche mich an den Bergen zu erfreuen, doch irgendwie fehlen die weit herausragenden hohen Spitzen. Ich bin ein wenig enttäuscht. Unter dem Donner Pass hatte ich mir den spektakulär schönsten Pass einer Eisenbahn über die Berge schlechthin vorgestellt, doch außer vielen Bäumen und dem lang gezogenen Donner Lake gibt's an dieser Landschaft nichts Besonderes.

Wir durchqueren etliche Tunnels und ich kämpfe stark mit den Druckverhältnissen. Die Ohren gehen zu und es breiten sich Kopfschmerzen aus. Bei jedem Huster Kopfschmerzen. Bei jedem Versuch, die Nase zu putzen, Kopfschmerzen. Und Ohrenschmerzen, so stark, das habe ich noch nie zuvor erlebt. Ich weiß nicht mehr, wie ich mich drehen oder wenden soll. Ich rufe den Schaffner herbei, er soll die Sitze noch einmal zu einem Bett umfunktionieren. Ich versuche, etwas zu schlafen, in der Hoffnung, die Ohrenschmerzen würden mit der Zeit zurückgehen.

Draußen ist es dunkel geworden. Wir fliegen durch das nächtliche Kalifornien, als wir plötzlich sehr abrupt stehen bleiben. Der Schaffner steht in meiner Tür und will schon mal das Abteil aufräumen, sprich Kissen einsammeln für die Wäsche etc, damit der Zug schnell für die Rückfahrt morgen nach Chicago fertig gemacht werden kann. Ich finde dieses Vorgehen eigentlich eine Frechheit. Warum können die das nicht machen, wenn alle Fahrgäste ausgestiegen sind? Ich bin bestimmt nicht verwöhnt, auch, wenn ich erster Klasse fahre, aber ich denke, den Komfort, bis zur Endstation gut gepolstert und mit einer Tüte im Mülleimer fahren zu können, gehört einfach zum Service dazu. Ich bezahle immerhin viel Geld dafür.

Er ist gerade noch in meinem Abteil beschäftigt, da kommt eine Durchsage, warum wir hier über eine Stunde auf der freien Strecke stehen werden. Angeblich würden Polizeibeamte auf der Strecke nach Spuren oder Beweismittel suchen. Der Schaffner brummelt nur 'Bull Shit' und dieser Meinung schließe ich mich an. Wäre da draußen wirklich jemand offiziell auf den Gleisen, hätte jemand dem Stellwerk Bescheid gegeben und wir hätten vorher schon sanft an einem Signal gehalten. Die wären doch nie das Risiko eingegangen, dass jemand uninformiert in eine Truppe Arbeiter rast.

Gegen halb eins erreichen wir Emeryville. Aus einer 53-stündigen Zugfahrt ist eine 62-stündige geworden. Zwei Anschlussbusse stehen bereit, uns nach San Francisco zu bringen. Und wieder diese Hektik. Auf beiden Bussen steht groß San Francisco und doch rennen einige hin und her und wissen nicht so recht, welchen der beiden Busse ihnen sympathischer ist. Ich will einfach nur noch ins Bett, so wie viele andere auch, die aber nun mit den Busfahrern herumzustreiten, ob und wie sie nach San Francisco kommen. Viele haben nur eine Bahnfahrkarte nach Emeryville und gingen davon aus, der Anschluss nach San Francisco sei eine freundliche Zugabe ihrer Zug-Band. Also müssen wir noch eine Runde warten, bis alle ihre Tickets haben.

Der erste Bus setzt sich in Bewegung, doch wir stehen noch immer hier. Ich will ins Hotel, ich will nicht mehr. Mein Ohr tut unheimlich weh. Ich bin auf einer Seite praktisch taub. Dennoch bekomme ich mit, wie eine ältere Dame uns nun aufhält. Sie muss noch bis San Meteo. Amtrak-Mitarbeiter würden sie gerne hier in ein Taxi sitzen sehen, weil sie befürchten, in San Francisco findet sich keines mehr und da ist dann kein Amtrak-Ansprechpartner mehr, aber die Dame besteht darauf, entweder bezahlt Amtrak die Taxifahrt oder sie will ab San Francisco fahren, weil es dort billiger ist. Sie begründet ihre Forderung damit, dass Amtrak sie nicht pünktlich abgesetzt hat und somit für verpasste Anschlüsse aufkommen müsste. Amtrak beharrt aber darauf, dass sie ein Ticket bis San Francisco erworben hatte und wenn sie in der Stadt ist, wäre die Sache für die Amtrak erledigt. Mensch einigt euch, ich bin müde.

Endlich lenkt Amtrak ein und bezahlt das Taxi ab Emeryville. Wir fahren los. In San Francisco wieder ratlose Gesichter. Die meisten steigen am Ferry Building aus, ohne überhaupt zu wissen, wie es weitergeht. Kein Taxi da, kein Bus, keine Straßenbahn. Der Rest wird nun einer nach dem anderen zu den gebuchten Hotels gebracht. Endlich, etwas nach 2 Uhr erreiche auch ich mein Hotel in Chinatown und falle wie ein Stein ins Bett.

Übernachtung: Grant Hotel - San Francisco, CA

© Markus Keune, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Die Zugfahrt einer guten Bekannten musste storniert werden. Heraus kam ein Gutschein, den sie auf meinen Namen ausschreiben ließ - eine nette Geste, doch musste ich so eine Tour finden, die teuer genug ist, den ganzen Gutscheinwert abzufahren. Dann erfülle ich mir halt einfach den Traum und fahre einmal quer durch die ganze USA - mit dem Zug!
Details:
Aufbruch: 16.05.2007
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 02.06.2007
Reiseziele: Vereinigte Staaten
Der Autor
 
Markus Keune berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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