Renate's Weltreise

Reisezeit: November 2003 - Dezember 2005  |  von Renate Enghauser

Ankunft Chiang Mai: Weitere Tage im Karen-Dorf

30.01.04
Heute morgen wusste ich erst nicht, wann ich mit dem Unterricht anfangen sollte. So früh wie Joe immer anfängt, ist es definitiv noch zu kalt. Und keines der Kinder machte den Anschein, dass es "warten" würde. Als dann aber die Trekkinggäste weg waren und ich Richtung "Klassenzimmer" ging, kamen die Kinder von überall her. Das ist Thailand. Ohne große Worte oder Geschrei. Sie merkten einfach, wann der richtige Zeitpunkt ist.
Dann habe ich als erstes festgestellt, dass mein "treuster" Schüler zwei verdrehte Beine hat und nicht laufen kann. Natürlich stand er gestern als einziger nicht auf, als alle anderen gingen! Zum Glück ergab es keine peinliche Situation bevor ich das erfuhr...
Seine Mutter scheint sehr nett zu sein und sich über meine Anwesenheit besonders zu freuen. Sie setzte sich sehr nah zu mir und hielt meinen Arm. Hilfe! Wie reagiert man da?
Wieder einmal wird mir bewusst, dass nicht viele Leute sich so in die Hände von anderen begeben könnten. Einfach mal sehen, was geschieht. Ich wüsste ja nicht, wie ich mich hier verhalten sollte, ohne "Tabus" zu brechen oder die Menschen vor den Kopf zu stoßen, müsste ich hier selbst entscheiden, was und wann ich hier etwas tue.

Ich habe die Hefte mit vorpunktierten Buchstaben in Thaischrift ausgeteilt, die sie nachfahren können. Aber schnell habe ich festgestellt, dass bis auf zwei Kinder alle maßlos überfordert sind. Und die zwei habe ich testhalber frei schreiben lassen. Völlig unmöglich! Die haben garkeine Vorstellung, was sie machen sollen. Bei der Kleinsten hat die Mutter immer die Hand gehalten, damit es ordentlich aussieht...! Ich kann mich aber nicht verständlich machen, dass es so keinen Sinn macht - es spricht ja keiner Englisch oder wenigstens Thai. Auch wenn ich selbst nur ein paar Wörter Thai kann, wäre es doch besser als nichts! Aber wenigstens sind die größeren sehr motiviert, das lässt mich nicht kapitulieren.
Ich spreche noch das englische Alphabet vor, da eines der Kinder damit angefangen hat und frage mich nicht zum ersten Mal ob es Sinn macht, den Kindern Englisch beizubringen wenn sie in Thailand leben und nicht mal Thai sprechen. Was ist überhaupt sinnvoll, was wir hierher bringen? Was brauchen die wirklich aus unserer sogenannten "Zivilisation"?
Noch eine Stunde kneten wir und danach gehen alle wieder. "Interessanterweise" gerade rechtzeitig, als "mein" Essen fertig ist...

Als ich danach zur Dusche will, steht ein "Riesen"-Büffel davor und glotzt mich an. Ich gehe noch einen Meter weiter, aber er bleibt stehen, also Rückzug. Bei einem Mädchen mache ich "Hörnerzeichen". Sie gibt mir Zeichen wie "macht nichts", aber ich traue mich nicht mehr hin. Also geht sie mit: kaum kommt man den Büffeln zu nahe, hauen sie ängstlich ab - konnte ich ja nicht wissen...
Aber ich wurde nicht ausgelacht obwohl es für die Menschen hier selbstverständlich ist, dass man keine Angst vor den Tieren haben muss - eine weitere Besonderheit, die ich hier in Thailand sehr schätze. Man ist sehr tolerant was Fehler angeht, schließlich können Fremde ja nicht alles gleich wissen.

Nach dem Duschen habe ich mal Zeit, "mein Dorf" in Ruhe auf mich wirken zu lassen. Überall quiekt und piepst es: Hunde, Katzen, Schweine, Hühner und heute ja auch Büffel, alles läuft frei herum und scheint Nachwuchs zu haben - irgendwie "ganz natürlich"...
Die Schweine sind schwarz, sehr agil und so "schlank", dass ihre Knochen rausstehen. Beim Laufen wedeln sie ganz aufgeregt mit dem Schwänzchen, sind dabei ständig auf der Suche nach was Fressbarem, da kommt schon mal eines aus der Toilette mit nasser Schnauze raus... Und wenn sie sich hinlegen wollen, knicken sie zuerst die Vorderpfoten ein und lassen sich dann komplett fallen. Sie wirken dabei sehr konzentriert, als wäre es für sie selbst jedes Mal wieder spannend. Ab und zu gibt es untereinander "Zoff", dann wird aus dem "normalen Quieken" ein "sehr lautes Quieken"... Die Ferkel spielen wie alle Jungen, und manchmal wird eines der Ferkel von einem der Hunde "gezwickt", scheinbar, wenn sie die "Hunderegeln" verletzen. So muss mal "ursprünglich" das Leben eines Schweins gedacht gewesen sein...
Die Küken sind so klein, dass ich Angst habe, mal auf eines draufzutreten. Die Tiere sind den Menschen hier sichtbar "untergeordnet". Manchmal wird mit Steinen nach ihnen geschmissen, und nicht immer ist für mich ein "Grund" erkennbar. Die größeren Hunde werden abends vom Feuer vertrieben, was für mich keinen Sinn macht, da Platz für alle wäre. Da ich heute erfahren habe, dass die Karen hier fast alle Christen sind, bringe ich das in Verbindung: denn dass ein Buddhist aus Spaß Tiere quält, ist für mich einfach nicht vorstellbar. Es wird auch häufig mit den Kindern geschrien, was ich bisher in Thailand noch nicht erlebt habe. Deshalb fange ich an, das Dorf "seperat" von Thailand zu sehen.

Abends um sechs sind immer noch keine "Touristen" da, und es wurde auch kein Lagerfeuer gemacht - jetzt wird mir doch etwas mulmig. Was soll ich denn jetzt tun, bis ich müde werde? Unterhalten geht ja nicht, und da es keinen Strom gibt, ist es nachts einfach nur dunkel.
Aber mein Betreuer Gadet bringt mich in das Haus von Chilli und Chokpuh. Ihre Kinder kenne ich aus der Schule, der Große scheint vergleichsweise ziemlich aufgeweckt und clever zu sein. Hier zu Hause ist er aber sehr schüchtern.
Das Haus besteht wie alle Häuser hier aus einem Raum und Terrasse. In dem Raum befindet sich eine Feuerstelle, in der auch Glut liegt, um zu wärmen. Um "Licht" zu haben, werden ständig dünne Scheite aus einem besonderen Holz nachgelegt, das wie mit Öl getränkt wirkt und sehr intensiv riecht. Ansonsten ist der Raum leer.
Ich komme aus dem Staunen nicht mehr raus. Vor drei Jahren war ich mit meinem damaligen Freund in einem ähnlich aufgebauten Museum und wir fragten uns, wie man in "so einem Haus" wohl gelebt hat. Ohne Bett, ohne Rauchabzug. Und jetzt lebe ICH selbst drin!

Im Haus von Chilli und Chokpuh.

Im Haus von Chilli und Chokpuh.

Nachdem die Kinder unter den Blicken der Eltern Kerne in die Glut geworfen haben, um sie mit bloßen Händen wieder rauszufischen (!!!) - kein Wunder haben sie in der Schule immer kohlrabenschwarze Hände - legen sie sich irgendwann auf den Boden in eine Ecke und schlafen unter einer Decke ein. Ich selbst habe zum Schlafen dicke Klamotten an, und benütze einen Schlafsack und zwei Decken!
Es wurde hausgemachter Reisschnaps ausgeschenkt, den sie - wie ich den Gesten entnehmen konnte - nur organisieren konnten, weil ICH dabei bin
Chokpuh zeige mir eine "größere" Narbe am Handgelenk und erklärt mit Händen und Füßen, dass das SEIN Versuch war, an einer Liane zu schwingen. Und auch Gadets Knochenbruch am Arm ist deutlich zu sehen: nochmal wird mir bewusst, wieviel Glück ich wirklich hatte. Auch wenn meine Fußfessel inzwischen ziemlich geschwollen ist, das Knie sich nur noch zur Hälfte bewegen lässt und ich rechts nicht gut auf dem Fußballen stehen kann, bin ich dankbar, dass das "alles" ist. Mein gesamter Rücken und mein Kopf fühlen sich wie nach einem Thaiboxing-Kampf an, aber wenn ich die Narbe von Chokpuh sehe, ist es nur noch starker "Muskelkater".

Ein schöner Abend. Jetzt bin ich doch froh, dass keine Leute kamen.

© Renate Enghauser, 2003
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Ich starte in Thailand und dann sehen wir weiter...
Details:
Aufbruch: 21.11.2003
Dauer: 25 Monate
Heimkehr: Dezember 2005
Reiseziele: Thailand
Myanmar
Indonesien
Tibet
Indien
Der Autor
 
Renate Enghauser berichtet seit 21 Jahren auf umdiewelt.
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