Zwischen Seealpen und Côte d`Azur

Reisezeit: September / Oktober 2015  |  von Ralf Beelitz

Col de Vars und der Col d`Isoard

Casse Déserte

Casse Déserte

Es ist recht frisch am Morgen, als wir die Motoren unserer Maschinen starten. Kaum 10 Grad, aber von einem wolkenlosen, blauen Himmel strahlt bereits die Sonne. Entlang des Lac de Serres Poncon steigt die D900 stetig bergan. Einige Kurven auf der gut ausgebauten Piste vermitteln schnell Fahrfreude und schon bald haben wir unser erstes Tagesziel im Auge, den Col de Vars (2.111). Der relativ wenig bekannte Pass zählt zu den 17 Alpenpässen der berühmten „Route des Grandes Alpes“ und ist ein beliebter Pass der Tour de France. Die 34 km lange Passstraße verläuft von Les Gleizolles im Süden nach Guillestre im Norden.
Der Südanstieg zum Col de Vars auf der Route des Grand Alpes ist kurz und steil, stellt jedoch keine besonderen Ansprüche an die Fahrkünste eines Flachländers. Nach St. Paul sur Ubaye wird es grau und felsig, dann setzt sich wieder sanftes Grün durch. Immer wieder erhaschen wir lohnende Ausblicke in das tief unter uns liegende Tal der Ubaye. Ein paar lässig zu fahrende Kurven mit schönen Radien folgen, dann beginnt in Melezen (1.660) der eigentliche Anstieg. Auf wenigen Kilometern erklimmt die Straße in langen Geraden und wenigen Serpentinen den Hang. Der Pass selbst liegt tief eingeschnitten in einem Hochtal. Über allem eine unendliche Stille. „So stell` ich mir Kanada vor“ meint Silke vor Begeisterung
In vielen lang gezogenen Kurven geht es auf der Nordrampe nach unten. Am Refuge Napoléon, eine der insgesamt 6 Zufluchtsstätten in den französischen Alpen, deren Erbauung auf Kaiser Napoléon zurückgeht, passieren wir einen malerischen Bergsee. Die Straße ist angenehm breit; meine Siwi legt sich fast von selbst in die Kehren. Entspanntes Dahinschwingen ist angesagt. Dann fordert der Magen sein Recht - Mittagspause! Ein einsamer Tisch mit zwei Bänken lädt am Wegesrand zur Rast ein. Käse, Salami und Baguette schmecken hier oben doppelt gut und die traumhafte Bergkulisse gibt es gratis dazu. 6 Km vor dem Ende der Nordabfahrt tauchen dann einige Kehren auf. 8% Gefälle. Rechts die Felswand, links tut sich eine tief eingeschnittene Schlucht auf. Herrliche Rechts-Links-Kombinationen, da kommt echte Fahrfreude auf.

In Guillestre, auf einem 1.000 m hohen Plateau oberhalb der Schlucht des Flusses Guil gelegen, biegen wir zum Col d’Izoard (2.361) ab. Der Izoard ist in der Kategorie der Geheimfavoriten anzusiedeln und ist deshalb ein ruhiger, abgeschiedener Leckerbissen. Vor der eigentlichen Passstraße, zwischen Guillestre und Chateau-Queyras, durchqueren wir entlang der Guil die tief eingeschnittene „Combe du Queyras“, eine enge und malerische
Schlucht. Dann wendet sich die D902 nach Norden zum Izoard. Sie verläuft entlang der Rivière über Arvieux bis Brunissard in einem breiten Tal. Dann beginnt ein Steilstück, das in mehreren Kehren durch lichten Kiefernwald führt. Weiter oben bietet sich uns eine grandiose Serpentinenstrecke, immer wieder durchbrochen von einigen flachen Geraden, in einer zerklüfteten, wilden Felslandschaft. Gekrönt wird die Auffahrt auf der Südrampe von der Casse Déserte, einer wüstenartigen Verwitterungslandschaft. Bizarre Felsnadeln ragen aus sandfarbenen Geröllfeldern auf. Es sieht aus, als hätten hier Bagger gewütet. In dieser wilden Landschaft steht am Straßenrand das Denkmal der italienischen Radsportlegende Fausto Coppi. Die letzten Meter haben es noch einmal in sich. Rechts der Straßengraben, links der Abgrund. Wir fahren wie auf einem kleinen Damm. Konzentration ist angesagt. Schließlich taucht die Passhöhe auf - unsere Mitfahrerin Silke hat ihren ersten 2.300er bezwungen. Schnell beruhigt sich der Puls wieder beim Blick zurück auf die Berge des Queyras. Im Norden tauchen die Berge des Briançonnais aus dem Dunst auf. Die Sonne tut hier oben ihr Bestes, aber der Mistral bläst doch recht kräftig unter den Helm und drückt die Temperatur auf 5 (!) Grad. Brrrr…eisig! Ein paar mickrige Grashalme versuchen sich gegen den schneidigen Wind zu behaupten. Abwärts geht es zunächst serpentinenreich durch eine karge, braune Wiesenlandschaft, dann erreichen wir am Refuge Napoléon die Baumgrenze. Zeit, bei einem heißen Kaffee und Blaubeerkuchen wieder Leben in die Glieder zu Lac de Serre-Ponçonbekommen.
Über Cervières und die Schlucht der Cerveyrette geht es auf perfekt asphaltierter Straße nach Briançon, einem Festungsstädtchen in der Nähe der italienischen Grenze. Pässe fahren frisst Zeit und so biegen wir auf der N94 nach Süden ab und geben unseren Maschinen die Sporen. Bei Savines-le-Lac queren wir die 900m lange Brücke über den den Lac de Serre-Ponçon, dessen türkisblaues Wasser sich in der Abendsonne spiegelt. Ein Stausee wie ein Meer mitten im Gebirge! Die D3 folgt in zahlreichen Windungen dem Berghang und dem fjordartigen Ufer des Sees. Sie scheint sich zu entfernen und in den umliegenden Bergen zu verschwinden, um dann nach der nächsten Kurve vor einem prachtvollen Seepanorama wieder hoch über dem See aufzutauchen. Die Südabfahrt des Col Lebraut (1.110) bietet noch einmal die Gelegenheit einer kurzen Kurven- und Kehrenhatz.

© Ralf Beelitz, 2015
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Tief eingeschnittene Täler und Schluchten wechseln sich in der Haute-Provence mit einsamen Hochebenen und steilen Berggipfeln ab. Hier läuft manches beschaulicher; der Massentourismus hat das Hinterland der Provence noch nicht erreicht. Vor allem in der Nachsaison ist in den zahlreichen Dörfern der Haute-Provence kaum etwas los. Dazu ein beständiges, sonniges Klima; beste Voraussetzungen also für interessante Touren durch eine faszinierende Landschaft.
Details:
Aufbruch: 19.09.2015
Dauer: 15 Tage
Heimkehr: 03.10.2015
Reiseziele: Frankreich
Der Autor
 
Ralf Beelitz berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.
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