Mit dem Boot durch Preußens Streusandbüchse

Reisezeit: April - September 2008  |  von Doris Sutter

Von der Müritz nach Berlin: Die Obere Havel-Wasserstraße

Natürlich gehen beide Wasserstrassen für den Skipper nahtlos ineinander über. Waren wir in Rheinsberg schon einmal ein kleines Stückchen in Brandenburg, jetzt sind wir es endgültig. Vom Ellbogensee zweigt die Obere Havel-Wasserstraße ab nach Neustrelitz. Auch dort ist wieder eine kleine Seenplatte mit 6 größeren Seen, die durchstreift werden wollen. Unsere Tour führt uns weiter über Ellenbogensee, Ziernsee, Menowsee und Röblinsee, mit ihren wunderbaren Ankerbuchten. An Sonn- und Feiertagen geht es hier zu wie in einem Ameisenhaufen. Das Nadelöhr sind die Schleusen. Obgleich sie in der Saison von 7 bis 20 Uhr bedient werden, staut sich der Verkehr. An Pfingsten wurden täglich mehr als 400 Boote, einschließlich Paddelbooten geschleust, berichtet uns der Schleusenmeister der Schleuse Steinhavel. "Das dauert bis die Paddler und Ruderer ein- und ausgefahren sind", rollt er mit den Augen. Ortsansässige erzählen, dass sie schon Sonntage hatten, an denen sie ihr Boot vor der Schleuse liegen lassen mussten, weil sie trotz stundenlanger Wartezeit nicht mehr vor Feierabend durchkamen.

Die Wasserstadt Fürstenberg/Havel ist das Tor zur Mecklenburgischen Seenplatte. Und hier beginnen die Märkischen oder Brandenburger Seen. Fürstenberg liegt auf drei Inseln zwischen Röblinsee, Baalensee und Schwedtsee an der Havel. Auch hier gibt es einige sehr schöne, frisch restaurierte Gebäude zu besichtigen. Im Ortsteil Ravensbrück, mit dem Fahrrad leicht zu erreichen, ist das ehemalige Frauen- und Jugend-KZ. Seit 1959 ist es eine Gedenkstätte und in der ehemaligen Kommandantur befindet sich heute das Museum des antifaschistischen Widerstandes. Es ist erschütternd.

Marktplatz Fürstenberg

Marktplatz Fürstenberg

Hafen Fürstenberg

Hafen Fürstenberg

Ravensbrück

Ravensbrück

Nur eine knappe Bootsstunde von Fürstenberg erreicht man den winzigen Ort Himmelpfort. Hier wohnt der Nikolaus. Er war leider gerade nicht zu Hause, als wir da waren. So konnten wir ihm nur einen Gruß hinterlassen. Alle Kinder können ihm schreiben und erhalten auch ganz sicher eine Antwort: An den Weihnachtsmann, 16798 Himmelpfort.
Das Dorf-Lädchen muss man unbedingt besuchen. Hier macht die Chefin alles selber, Kuchen backen, Marmelade, Sauerfleisch in Gläsern, mit Liebe. Köstlich!

zum Besuch beim Weihnachtsmann

zum Besuch beim Weihnachtsmann

Anleger Himmelpfort

Anleger Himmelpfort

Obwohl die Karte warnt, dass es im Schleusenkanal Himmelpfort nur 1 m Wasser hat, fahren wir vorsichtig hinein. Ein netter Anleger ist gleich an Backbord. An einem Automaten bezahlt man seine Liegegebühr. Wir tasten uns vorsichtig weiter und haben durchgehend 40 cm Wasser unterm Boot. So können wir einen Abstecher in die idyllischen Lychener Gewässer machen. Durch den Haussee (des Nikolaus?) kommen wir in die Woblitz. Sie schlängelt sich durch dichte Laubwälder. Und schlängeln ist wörtlich zu nehmen. Manche Kurven sind so eng, dass man mit kräftigem Hupen seine Anwesenheit kundtun muss. Auf slawisch bedeutet Woblitz "Havelchen", eine Liebeserklärung an das kleine Flüsschen. Bäume wachsen in den Himmel und spenden mit ihren Baldachinen Schatten über dem kleinen Fließgewässer. Ein Weg durch einen Garten Eden voller verwunschener Träume. Der Große Lychensee ist durch seine vielen Ausbuchtungen ein idealer Ankersee. Wasser haben wir hier überall reichlich, unter uns und um uns. Wir sind hier im Naturpark Uckermärkische Seen, in des Heiligen Römischen Reiches Streusandbüchse. Es ist eine Einbahnstraße. Man muss sie gehen und möchte nie mehr zurück.

Schleuse Himmelpfort

Schleuse Himmelpfort

der Lycher See

der Lycher See

Ab Himmelpfort windet sich die Havel durch Naturschutzgebiete, ausgedehnte Wälder und Äcker. Die Schorfheide schließt sich an, ein besonders urwüchsiges Sumpf- und Waldgebiet. Hochmoore und Feuchtbiotope in deren Bioreservaten Kraniche brüten. Hier gibt es keine Seen aber 4 Schleusen. Folgt man dem Abzweig in die Templiner Gewässer kommt gleich hinter einem kleinen See mit dem Namen "Großer Kuhwallsee" die Schleuse Kannenburg. Sie hat schräge Wände. Auf einer Seite ist ein Lattengerüst, damit man sich irgendwo festbinden kann. Sie wird von einem Schleusenmeister von Hand gedreht. Die folgenden Seen sind sehr tief, teilweise zeigt unser Echolot 26 m, doch in den kurzen Verbindungskanälen wird's manchmal verdammt knapp. 20 cm unter Belugas Kiel! Das muss man sich sehr gut überlegen und nach dem Wasserstand fragen, ob man den Abstecher nach Templin macht. Die Stadtschleuse Templin wurde 2005 neu aufgebaut. Oberhalb ist die Steganlage des Altstadthafens, wo uns der freundliche Hafenmeister einwinkt, beim Anlegen hilft und auch sofort das Stromkabel einstecken will. Er bietet einen super Service. Brot und Brötchen werden an Bord geliefert und wenn man will auch ein Menü vom mittelalterlichen Gasthaus Zur Rossschwemme gegenüber. Templin, die Perle der Uckermark, hat eine vollständig erhaltene Stadtmauer, aber nur wenig sehenswerte Gebäude in der Altstadt. Dafür ist ein Supermarkt nur ein paar Schritte neben der Schleuse.

Templin, die Perle der Uckermark ist die Heimat von Angela Merkel. Ob man diesen Spruch extra ihretwegen an die Hauswand gepinselt hat?

Templin, die Perle der Uckermark ist die Heimat von Angela Merkel. Ob man diesen Spruch extra ihretwegen an die Hauswand gepinselt hat?

Hafen oberhalb der Schleuse

Hafen oberhalb der Schleuse

Zurück auf der Havel folgen wir ihrem gewundenen Lauf durch Schilf und Seerosenfelder, an Laub- und Kiefernwälder vorbei. Die Naturbelassenheit der "Urwälder" dankt uns mit dem Fehlen von Weidenbäumen. Hier fliegen nicht Millionen Watte-Samen und nisten sich überall ein. Dafür ist das Boot ständig von einem gelben Blütenstaub-Film bedeckt.
Bei km 25 zweigt das Wentow-Gewässer ab, ein langer weitläufiger See. 1m Tauchtiefe ist ein bisschen dünn für uns, zumal auch die Havel nicht üppig Wasser hat.
Nach dem Abzweig folgt ein wunderschön hergerichteter Anleger des Gasthauses Zur Fähre in Burgwall. Hier beginnen die Tongruben rechts und links des Flusses. In der Marina am Ziegelpark kann man anlegen und das Industriemuseum der alten Ziegelfabrik erkunden. Backstein heißt der Stoff aus dem die Gotik ist. Un janz Baalin is keene Wolke, et is os Zehdenicker Backsteen. Mitte des 19.Jh. begann man an der Havel mit dem planmäßigen Abbau von Lehm und Ton. Backstein ist einer der ältesten künstlichen Baustoffe überhaupt. Einst war hier Europas größtes zusammenhängendes Ziegeleigebiet. In 56 Ziegeleien arbeiteten bis zu 6.000 Menschen.
Kurze Zeit später erreichen wir Zehdenick. Mehrere Stege vor der Schleuse lassen uns die freie Auswahl um anzulegen und die kleine märkische Stadt zu erkunden.
In Zehdenick kann man bei der Firma Klienitz Wasserfreiheit kleine gasbetriebene Motorboote mieten. Kochen, heizen, fahren, alles mit Flüssiggas.
Unterhalb von Schleuse und Hebebrücke hat die Stadt einen ganz neuen Anleger gebaut. Es gibt keinen Strom und kein Wasser, dafür kostet es nichts. Man muss es nur wissen.

Alte Ziegelei

Alte Ziegelei

Elefantenbrücke in Zehdenick

Elefantenbrücke in Zehdenick

Museumshafen

Museumshafen

Jetzt fahren wir nicht mehr in der Havel. Die plätschert etwas entfernt neben dem Vosskanal her. Auch hier grün wohin man schaut. Ruhe, Beschaulichkeit und daneben ein gut hergerichteter Treidelpfad.

Zwei Schleusen bringen uns auf das Niveau der Havel-Oder-Wasserstraße. Wer diese Schleusen einmal gefahren ist, weiß, woher der Spruch kommt: "So schnell schießen die Preußen nicht!"

In Liebenwalde zweigt der Lange Trödel vom Vosskanal ab. Er war ursprünglich die Verbindung zum Finow-Kanal. Heute ist ein gelbe Wellen Anleger in seinem Beginn und der Rest ist nur mit Paddelbooten befahrbar.
Die Weiterführung des Vosskanals heißt Malzer Kanal. Hier hört man die ersten polnischen Schiffer über Funk.
Bei dessen km 40 erreichen wir den Oder-Havel-Kanal.

© Doris Sutter, 2008
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Begleitet Beluga und ihre Crew auf ihrer Bootstour durch Preußens Gloria und die neuen Bundesländer. Die Bootsreise begann am Rhein, führte über den Dortmund-Ems- und Mittellandkanal zur Elbe, über die mecklenburgische Seenplatte nach Berlin, die Oder ins Stettiner Haff und in den Amazonas des Nordens, in die Peene. Aber lest doch einfach selber.
Details:
Aufbruch: April 2008
Dauer: 5 Monate
Heimkehr: September 2008
Reiseziele: Deutschland
Polen
Der Autor
 
Doris Sutter berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Doris sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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