Vietnam - Traum und Wirklichkeit

Reisezeit: April / Mai 2007  |  von Norbert Wallner

Mopedparadies - 7. Himmel der Ungehorsamkeit

Tüüüüt. Tüt Tüt. Tüt Tüt Tüt. Tüüüüüüüt. Tatüüü. Braune Augen, Tücher, Masken. Ohrenbetäubender Lärm. Weit weit weg von der Gefahr, in einem großen klimatisierten Reisebus. Neugierige Blicke hinaus, ebensolche herein. Saigon. Das ist es also. Mopeds.
Saigon besteht aus Mopeds, die gleichzeitig in alle Richtungen brausen. Vermutlich sind es hauptsächlich Mopeds, immer kann man nicht erkennen, was es ist, was Menschen und Güter in Bewegung hält. Hochaufgetürmt, breit ausladend, allein, zu zweit, zu dritt, immer in Bewegung. Wie viele Menschen haben Platz auf einem Moped? Mit dreien war zu rechnen, irgendwo hat man schließlich schon Fotos gesehen, Filme gesehen. Vier war schon ganz schön, Rekord fünf. Kind, Papa, Kind, Mama, Kind. Worauf das letzte Kind hinten noch sitzt, weiß ich nicht. Aber klar, Vietnamesenpopos sind keine Europäerär****
Irgendwie findet eine junge Terroristin noch Platz, Muße und Gleichmut, um hinter ihrem dahinbrausenden Mann sitzend ihr Kind zu stillen. Vermummt, aber nicht wegen des Stillens mit Mundschutz versehen, sondern wegen der Luftverschmutzung, wie hunderttausende andere auch.

Und Häuser, schmal wie das schmälste von Amsterdam. Warum nur ist das dort so berühmt? Hier sind alle so. Kleiner Laden, Fenster drüber, noch eins, vielleicht noch ein drittes. Neue schmale Häuser mit bunten Disneylandfassaden, baufällige Hütten, niedrig, aber genau so schmal. Häuser, Häuser, Farben, Waren aller Art, aber vor allem Menschen. Und diese vor allem auf Mopeds. Oder sie haben Reishüte auf. Selten Reishut auf Moped, dafür Masken, niemals Helm. Viele erwachsene Menschen auf Kinderstühlchen am Straßenrand. Zwischen dampfenden Kochtöpfen werden Mopeds repariert. Dieselaggregat am Gehsteig, Obst. Ist es Obst? Gemüse, Plastikschlapfen, aber keine Kinder. Wo sind bloß die Kinder? Ich meine, wir hörten, die Stadt hätte inzwischen 8 Millionen Einwohner, die können ja nicht alle in den letzten Jahren nur zugewandert sein. Die müssen sich doch irgendwie fortpflanzen, vermehren. Wo also sind die Kinder? Plötzlich erinnere ich mich: In Manchester habe ich vor Jahren auch mal gefragt, wo denn dort die Kinder wären. Es gab einfach keine Kinder, keine Ahnung wo die waren.
Auf den Mopeds sehe ich welche, gut.

Aber die können doch nicht einfach auf Mopeds aufwachsen, es muss irgendwo auf der Straße auch mal eines zu sehen sein. Dafür Frauen, Mädchen. Ok, die fallen eben auf, schlank, elegant, hübsch. Wahrscheinlich lenkt das meinen Männerblick ab, vernebelt die Sinne.
Fünfsternhotel. Obst zur Begrüßung. Cook it, peel it or forget it. Oft genug habe ich das gelesen. Es ist zu schälen, also esse ich. Das ist doch nicht das Asien, das ich suche. Klimatisierte Hotelhalle. Sofas zum Warten. Dienstbare Geister, deren Dienste nicht wirklich erkennbar sind. Wie nicht anders zu erwarten sind die Zimmer nicht fertig. Auch das unterscheidet sich nicht von irgendwo.

Stadtrundfahrt, Mopeds mit der Einbahn, gegen die Einbahn, rechts im Kreisverkehr und links auch, schmale Häuser, alles bereits beschrieben. Wie heißt dieser Tempel doch gleich? Na, schaut im Reiseführer nach, liebe Leute, meine Fotos kennt Ihr ja! Mein Hirn gleicht einem Sieb, was soll's, kann eh selbst auch nachlesen, wenn ich es wissen will.
Weiß auch nicht, was das für Bäume sind, deren Stämme aus Hunderten Wurzeln bestehen, ziemlich dicke Stämme, und die gibt es anscheinend nur in Tempeln. Also auch später quer durchs Land, diese Bäume immer nur in Tempeln, wahrscheinlich haben die schon die alten Cham gepflanzt. Und wenn sie nicht gestorben sind, sitzen sie heute noch darunter. Nein, böse. Jedenfalls gibt es in Saigon außerhalb von Tempeln ohnehin kaum Bäume.

Jedenfalls gibt es in Saigon außerhalb von Tempeln ohnehin kaum Bäume. Also Tropen habe ich mir anders vorgestellt. 8-Millionen-Stadt, ich weiß schon, da ist kein Platz für Bäume. Ich würde noch genug Bäume zu sehen bekommen. Außerhalb von Saigon halt. Ho Chi Minh City, sorry. Sagt irgendwer so außer ein paar Beamter?
Buddhistischer Tempel, nicht sehr groß, kaum dass unsere Reisegruppe Platz hat. Das kommt dem Asien schon näher, das ich suche. Ich meine, nicht dass dieser Tempel klein ist, sondern überhaupt. Räucherstäbchen, dieser umwerfende, betörende Duft nach Räucherstäbchen. Soll ich das jetzt erklären mit Abbrennen, und Opfer und das ganze? Egal, sehr still, Metaphysik beginnt mich zu durchdringen, unmerklich beginne ich mich mit den umstehenden Betenden mitzuverneigen. Vergesse fast zu fotografieren. Also Blödsinn, ich trau mich nicht, ich fotografiere in einer christlichen Kirche ja auch nicht während der Messe. Aber andererseits, es hat nicht den Anschein, als würde da mal nicht wer mit einer Handvoll Räucherstäbchen stehen und sich 20 Mal verneigen. Also frage ich einen Besenschwinger, ob ich fotografieren dürfte. Er ist in seine Kehrarbeit so vertieft, dass ich ihn durch 2 Räume verfolgen muss, bis er endlich Notiz nimmt von mir. Sein Achselzucken deute ich als Ja.
Also sehr tolerant die Leute. Da merkt man erst so richtig den Unterschied zwischen unseren Religionen und den fernöstlichen. Das soll sich in einer Kirche oder einer Moschee einer erlauben, oder in einer Synagoge!

Ein kleines Mädchen hat es mir angetan, ich will es fotografieren. Fotografiert mal in einem finsteren Tempel ein Kind ohne Blitz. Haha! Die Mutter erkennt meine Enttäuschung, stellt die Kleine vor mich hin, faltet ihr die Händchen von neuem - und perfekt! Süß. Schade, dass Ihr die Räucherstäbchen nicht riechen könnt, die Kerzen nicht flackern seht!

Also bevor ich jetzt über buddhistische Tempeln ins Schwärmen gerate, schauen wir lieber wieder in den Trubel hinaus.
Wieso stoßen da nie Mopeds zusammen? Wieso müssen die nie stehen bleiben, auch nicht, wenn sie bei starkem Gegenverkehr links abbiegen?
Ich denke mir, wenn da einmal einer stehen bleibt, bricht wahrscheinlich in ganz Saigon der Verkehr zusammen, wenn nur einmal einer glaubt, Verkehrsregeln sollten befolgt werden, erreicht keiner mehr sein Ziel. Vielleicht ist das da keine Stadt, vielleicht ist es einfach nur der 7. Himmel aller Verkehrssünder und zur Belohnung dürfen alle Moped fahren, bis zu ihrer Wiedergeburt oder so.

© Norbert Wallner, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Zeit.Reise.Bericht 11 Tage Patenreise durch Vietnam. Zwischenlandung in Singapur. Saigon, Cu Chi, Mekong-Delta, Hue, Da Nang, Hoi An, Projektgebiet Hiep Duc mit Besuch der Patenkinder, Hanoi, Halong-Bucht. Anschließend 1 Woche alleine und individuell im Norden Vietnams (Hanoi und Sapa).
Details:
Aufbruch: 14.04.2007
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 02.05.2007
Reiseziele: Singapur
Vietnam
Der Autor
 
Norbert Wallner berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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