Vietnam - Traum und Wirklichkeit

Reisezeit: April / Mai 2007  |  von Norbert Wallner

Des Kaisers neue Häuser

Jetzt bin ich schon weit in der Zukunft meiner Reise angelangt. Ich will nicht verwirren.
Eigentlich landen wir ja auf dem Weg nach Norden zuerst in Hue. Bei strömendem Regen. Schwül, aber das sind wir reichlich gewohnt. Hue schlägt uns sofort in seinen Bann, ein weites, offenes Flusstal mit guter Luft. Die alten Kaiser wussten schon, wo es gut zu leben ist. Zum Eingewöhnen ins kaiserliche Leben zuerst ein bisschen kolonialer Luxus, indem wir im Morin Hotel absteigen. Über hundert Jahre Geschichte, wirkt alles sehr gediegen.
Während wir vor dem Hotel zusammenwarten, um zur nahe gelegenen Schiffsanlegestelle zu gehen, können wir vietnamesisches Essen auf Rädern bewundern. Ein alter Mann, der sicher schon in der Kindheit beim Bau des Hotel Morin zugeschaut hat, kommt auf seinem Fahrrad vorbei. Hinten drauf hängen auf einer Seite diverse Zutaten, auf der anderen Seite ein richtiger Holzofen mit brennenden Scheiten. Kurzes Winken und er macht Halt, um seine frisch gekochten Köstlichkeiten auszuschenken.

Nach dem Abfotografieren mehrerer vietnamesischer Kleinkinder und der städtischen Gärtnerinnen genießen wir eine beschauliche Fahrt auf dem Parfumfluss, lassen gemächlich Hausboote, Parkanlagen und Tempeln an uns vorüberziehen.

Langsam beginnen wir, uns erhaben zu fühlen. Ist auch notwendig, da wir zwei Tage Klöster, Urnen und Mausoleen vor uns haben. Alles schaut mindestens 500 Jahre älter aus als es ist, diese alten Kaiser entfalteten offensichtlich ihre größte Pracht erst unter dem Schutz der Franzosen. Das Volk braucht einen repräsentablen Kaiser, wenn es von Kolonialherren unterjocht ist. Verständlich. Ich erstarre in Ehrfurcht. Die Zitadelle mit verbotener Stadt, oder umgekehrt, Ansichtssache, sieht weniger alt aus, was kein Wunder ist. Die Amerikaner sorgten im Vietnamkrieg dafür, dass heute alles in neuer Pracht erstrahlen darf. Sie ersparten dem vietnamesischen Volk das mühevolle Niederreißen dieses Weltkulturerbes und überließen ihm nur mehr den vergleichsweise einfachen Wiederaufbau. Man soll nicht meckern, vielleicht hätten die USA ohnehin ein Disneyland dort gebaut, wenn man sie nicht undankbarerweise über den großen Ozean nach Hause geschickt hätte. Und die Rekonstruktionen sind wirklich schön geworden. Schade, dass angeblich nicht einmal die Grundrisse der Gebäude stimmen. Würden sie aber sicher auch nicht, wenn man den Wiederaufbau durch Mickey Mouse' Erben durchführen lassen hätte.

Aber wer fragt schon nach Originalität, wenn das Interessanteste ohnehin die Geschichte des armen Kaisers ist, der trotz hunderter Frauen keinen Thronfolger zustande brachte. Die Depressionen der armen Kaiser lassen sich in den diversen Mausoleen noch intensiver nacherleben. Wie schön muss der Tod sein, wenn er so mühevoll in so viel Stein gemeißelt wird?

Beim abendlichen Kaiserdinner müssen wir uns später in höfisch bunte Seidentrachten kleiden, was eher Anlass zur Heiterkeit verursacht als authentische Schwermut.

© Norbert Wallner, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Zeit.Reise.Bericht 11 Tage Patenreise durch Vietnam. Zwischenlandung in Singapur. Saigon, Cu Chi, Mekong-Delta, Hue, Da Nang, Hoi An, Projektgebiet Hiep Duc mit Besuch der Patenkinder, Hanoi, Halong-Bucht. Anschließend 1 Woche alleine und individuell im Norden Vietnams (Hanoi und Sapa).
Details:
Aufbruch: 14.04.2007
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 02.05.2007
Reiseziele: Singapur
Vietnam
Der Autor
 
Norbert Wallner berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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