Vietnam - Traum und Wirklichkeit

Reisezeit: April / Mai 2007  |  von Norbert Wallner

Happy Water und die Freuden des Essens

Schon bei der Fahrt vom Flughafen nach Saigon hinein sehen wir die viel beschriebenen Garküchen am Straßenrand. Wenig vertrauenerweckend, was da die Gehsteige verstellt. Aber ich habe ja meine Komfortimpfung. Und überhaupt, endlich Chance, meinen Bauch zu verkleinern. Die Sorge weicht der Gewissheit, habe ich im normalen europäischen Leben schon eher mit Durchfall als Verstopfung zu kämpfen. Schließlich hört man so allerhand von angeblich Erfahrenen. Also bestehen Aussichten, dass mein Bierbauch auf Bonsaimaße schrumpfen wird.
Das erste Abendessen am Saigon River entspricht nicht ganz diesen Erwartungen. Großer Park, mehrere Hochzeitsgesellschaften, bunte Lampions, hunderte Gäste. Verspricht gröbere Wartezeiten bei der Bedienung.
Erster Irrtum.
Platz am Wasser, die Idylle verschwimmt Richtung Kitsch. Ich versuche, die Stäbchen irgendwie in meinen Händen zu ordnen, kleine Happen schaffe ich nach einiger Zeit ohne Absturz in meinen Mund zu befördern. Bei größeren Stückchen fehlen mir ein paar Newton. Was ist bloß falsch an meiner Technik? Ich übe zwischen den vielen Gängen immer, mit den beiden Spitzen der Stäbchen zusammen zu treffen. Ich fürchte, das sieht reichlich blöd aus.
Einige Male Rätselraten, was die eine oder andere Speise sein könnte, jedenfalls ist es immer bunt, zu lustigen Figuren geschnitzt und nicht immer erkennbar, ob es Dekoration ist oder schon der nächste Gang.

Endlich kommt mal etwas Bekanntes auf den Tisch, Spargel. Scheint so, als könne man ihn sogar mit den Stäbchen packen.
Plötzlich ein aaaaaaahhhhhhhhh, iiiiiiiihhhhhhhhhhh vom Nachbartisch und herzhaftes Gelächter. Vorsichtig lasse ich meine Stäbchen mit dem Spargel zurück gleiten. Gerade noch rechtzeitig. Die Spargel entpuppen sich als zusammengerollte Erfrischungstücher.
Zweiter Irrtum.

Die folgenden Tage haben wir immer zwischen acht und zwölf Gängen, stets fein säuberlich serviert. Aber wo gibt man diese Köstlichkeiten alle hinein? Kleines Tellerchen, später noch ein kleines Schüsselchen, und irgendwann wääähhh. Acht Gänge aufs selbe Tellerchen? Mein Stäbchenproblem habe ich bald überwunden, wozu gibt's dieses Schüsselchen mit Porzellanlöffel? Im Prinzip kann man alles mit Löffel aus Schüsselchen. Nun, fast alles halt, die Schrimps und Garnelen kann man sowieso nur mit den Fingern knacken. Schrim, wie die Vietnamesen sagen. Noch nie im Leben so viele Schrim gegessen. Ich mag dieses Zeug normal, aber langsam wird es sogar mir zuviel. Kleine Varianten in der Zubereitung lassen hin und wieder doch wieder die Geschmacksknospen sprießen. Aber echt unglaublich, wo überall man Schrimps dazumischen kann.
Auch in der letzten Woche, als ich mich auf einfachere Küche verlege, begleiten mich diese Viecher. Da sitze ich jetzt endlich im Straßenrestaurant, das nur abends auf dem Gehsteig aufgebaut wird, und will das eine oder andere probieren. Geht nicht. Nicht wegen meines Stäbchengefechts, da bin ich ja schon fast Großmeister, sondern weil die Portionen doch größer sind als bei diesen Vielgangmenüs.

Meine frisch kennengelernte Talk-Freundin Hong fragt mich abends am Hoan Kiem See in Hanoi, was mir am besten geschmeckt hätte in Vietnam. Sie will ihr Englisch trainieren, tut mir leid, doch ich weiß doch nicht einmal die Bezeichnungen auf Deutsch. Bitte beschreib doch einer mal eine Speise, die er nicht kennt! Hund wird keiner dabei gewesen sein, obwohl, viele Hunde sah ich nicht in Saigon oder Hanoi. Und am Land die gutmütigsten Hunde der Welt, die kommen nicht einmal, um einen zu beschnüffeln. Die nächste Impfung, die sinnlos vom Tropeninstitut verabreicht worden ist. Die Hundsviecher wissen wahrscheinlich genau, wenn sie deppat sind, landen sie im Kochtopf. Einige sah ich als Fleischstücke auf verschiedenen Märkten.
Die Schlangen landen ja eher im Schnaps, um Herz und Gesundheit zu erfreuen.

Auf einem Schlangenfraß bestand ich allerdings. Das arme Tier wurde vor meinen Augen seines Herzens und seines Blutes beraubt, aber geschmeckt hat es auf verschiedenste Arten zubereitet nicht übel. Also vielleicht mundet ja so ein Hunderl auch nicht schlecht. Ansonsten hatte ich mich bereits in Cu Chi mit einem Desinfektionsmittel eingedeckt. Dort konnte man beim Reisschnapsbrennen zusehen und nicht nur kosten, sondern auch gleich kaufen. Da ich offensichtlich der Einzige war, der das Zeug hinunterbrachte, hatte ich diese Medizin für mich alleine und ich reichte bis Hanoi damit. Hat mir sicher geholfen, nicht halbe oder ganze Tage am Klo verbringen zu müssen, was bei der Dichte unseres Programms eine echte Katastrophe gewesen wäre.
Auf der Fahrt nach Halong hatte ich in einem Landgasthaus Gelegenheit, vietnamesischen Wodka zu kaufen. Ich sah zwar später, dass ich das Dreifache gezahlt hatte, aber da ging's um Geld oder Leben. Die Lokalität sah nicht gerade klinisch sauber aus, und wir versuchten Besteck und Teller vor Gebrauch zu reinigen. Es waren auch alle recht rasch davon überzeugt, dass man besser aus der Flasche als aus einem Glas trank. Geschmeckt hat es trotzdem köstlich, aber vielleicht, weil wir erst NACH dem Essen einen Blick in die Küche werfen konnten. Auf dem Weg zu den Latrinen kam man beim Geschirrspüler vorbei. War ca. 1,50 Meter hoch und hatte zwei Arme und zwei Beine.

Ich wusste, ich musste meinen Verdauungsorganen eine sterile Spülung verpassen. Da ich großzügigerweise mit meinem Reisschnaps sofort einige andere Leben gerettet hatte, erstand ich eben in meiner Not am Ausgang des Lokals diesen Wodka, der mich den Rest des Aufenthaltes vor den größten Gefahren dieses Landes schützen würde. Okay, den zweitgrößten Gefahren. Die größte Gefahr war zweifellos, Betrügern in die Hände zu fallen, aber dafür hat man schließlich ein wenig Reserve in der Reisekasse eingeplant.

Soll ich das alles Hong erzählen, die nur ihr Englisch trainieren will, schüchtern neben mir auf der Bank sitzend, während unter der Bank ein junger Mann mit schiefen Zähnen sitzt, der versucht, meinen Rucksack um wertvolle Dinge zu erleichtern oder die er dafür hält? Hong ist mit ihrem Englischtraining weiter fortgeschritten als der junge Mann im Training seiner langen Finger. Meine immer lauter werdende Stimme lässt ihn wahrscheinlich unflätige Dinge in seinen imaginären Bart murmeln. Ich frage Hong lieber nicht nach der Bedeutung, sie würde sowieso zu höflich und schüchtern sein, um es mir wortwörtlich zu übersetzen. Meine nun doch recht laut formulierte Frage, ob ich die Polizei rufen soll, zaubert plötzlich meine Ladegeräte auf den Boden neben meiner Bank, mit der heftigen Frage, ob ich etwas vermisse. Woher bitte soll ich wissen, was inzwischen den Platz zwischen ihm und meinem Rucksack hin und her gewechselt hat? Da ich aber ohnehin alles von Wert an meinem Körper trage, gebe ich mich zufrieden, worauf er wieder was murmelt. Diesmal übersetzt mir Hong, er will uns nimmer sehen hier. A good joke, aber Hong schlägt vor, wir sollten uns ein bisschen entfernen. Der Rat ist weise, wenig später sehen wir, dass die Burschen zu zweit sind.
Trotzdem kann ich nicht klären, was mir bisher in Vietnam am besten geschmeckt hat.
Und obwohl ich mittlerweile die möglicherweise überprüfte Touristenhygiene aufgegeben habe, um mich der volksnahen Ernährungsweise anzunähern, bin ich bisher von Unpässlichkeiten verschont geblieben. Leider hat man da als Europäer einen Genierer, den die Leute hier vermissen lassen. Nicht besonders erwähnenswert, eine alte Frau im Zentrum von Hanoi auf offener Straße zu beobachten, wie sie schnell ihren Kittel lüftet, um die Hauswand hinter ihr mit braunem Graffiti zu verzieren.
Im Bergland kennt man offensichtlich die Gefährlichkeit der Landesküche und versucht mit dem schönen Hobby der Schnapsbrennerei und der intensiven Nutzung der daraus entstehenden Produkte die Gesundheit zu erhalten.

Ungefähr in jedem zweiten Bauernhaus, in das man blickt, sitzt eine Oma in der Rauchküche und verwandelt Reis oder Mais in Happy Water.

Wären es nicht Buddhisten oder so was ähnliches, würde man meinen, ein fortwährendes biblisches Wunder. Abgefüllt in Plastik-Wasserflaschen würde man eher billigen Fusel vermuten, aber nein, es ist göttliche Medizin, die jedem Gast verordnet wird. Da man auf die Gesundheit anstoßen muss, damit die Behandlung wirkt, opfern sich die Gastgeber und geben die Höhe der Dosis vor. Natürlich könnte man die gemeinschaftliche Behandlung verweigern, aber man würde doch etwas Irritation hervorrufen, Kopfschütteln ernten, vielleicht mitleidiges Lächeln oder gar unverhohlen zur Schau gestellte Beleidigung.
Das will ich nicht.

Und außerdem ist diese Behandlungs-methode lustig, wenn man Glück hat, wird die Therapie noch durch H'Mong-Liebeslieder verstärkt, und auch die Schlaflager in den Häusern der Bergvölker sind dann um eine Spur weicher. Oder zumindest merkt man die blauen Flecken erst am Tag danach.
Und überhaupt bringt es wahrscheinlich auch ein bisschen Entspannung in den doch schweren Alltag der Leute.

Das Fernsehprogramm ist ja wirklich übel. Zwar hängt auf fast jeder Hütte eine Sat-Schüssel, aber irgendwie habe ich den Eindruck, der Schaden durch Happy Water müsse geringer sein als der Schaden durch das Fernsehprogramm. Nicht dass ich viel Zeit dafür verwendet hätte, aber die paar Male, die ich versucht hatte, irgendetwas Konsumierbares im TV zu finden, bin ich nicht fündig geworden. Abgesehen vom Wetterbericht, aber Wettervorhersage in Vietnam ist keine besonders schwierige Wissenschaft: warm, und es ist mit Regenschauern zu rechnen. Also ehrlich gesagt hör ich da lieber das glockenhelle Lachen von Mädchen beim Genuss einiger Stamperln Selbstgebranntem...

© Norbert Wallner, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Zeit.Reise.Bericht 11 Tage Patenreise durch Vietnam. Zwischenlandung in Singapur. Saigon, Cu Chi, Mekong-Delta, Hue, Da Nang, Hoi An, Projektgebiet Hiep Duc mit Besuch der Patenkinder, Hanoi, Halong-Bucht. Anschließend 1 Woche alleine und individuell im Norden Vietnams (Hanoi und Sapa).
Details:
Aufbruch: 14.04.2007
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 02.05.2007
Reiseziele: Singapur
Vietnam
Der Autor
 
Norbert Wallner berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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