Corona-Ausflüge von Aachen aus

Reisezeit: Mai - November 2020  |  von Herbert S.

Ostbelgien: Eynatten

Nach nunmehr fast drei Monaten haben die Nachbarländer Niederland und Belgien Mitte Juni ihre Grenzen wieder geöffnet. Da wir häufig in Belgien eingekauft haben, ist dies Grund genug einzureisen und sich diesmal nicht (nur) auf die Einkäufe zu beschränken. In der Vergangenheit hat man sich allzuoft nicht die Zeit genommen, wirklich in unmittelbarer Nähe liegende Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen. Wir beginnen mit unserem Einkaufsort Eynatten.

Eynatten

Der historische Dorfkern rund um die Pfarrkirche, das Vlattenhaus und das Amstenrather Haus wurde am 11. Januar 1985 durch Erlass der Exekutive der Deutschsprachigen Gemeinschaft unter Landschaftsschutz gestellt.
Eynatten ist durch die stark befahrene Nationalstraße 68, der Hauptverkehrsachse zwischen Eupen und Aachen, zweigeteilt. Diese sogenannte „Aktienstraße" wurde allerdings erst 1828 dem Verkehr übergeben.
Bis dahin führte die „Straße" nach Aachen vom Johberg kommend an den beiden Wasserburgen vorbei über die Eynatter Mühle nach Linzenshäuschen, dem Eingangstor nach Aachen. In früheren Zeiten wurde sie auch als „Pilgerweg" bezeichnet, angesichts der Gläubigen, die zur Verehrung der Heiligtümer nach Aachen pilgerten. Davon ungestört wuchs der alte, wunderschön idyllische Dorfkern mit einer Vielzahl ineinander verschachtelter Häuschen an engen Straßen und Gassen rund um die Kirche gruppiert. Es gesellen sich dazu alte Herrenhäuser mit Gehöften und parkähnlichen Anlagen, einem Baumbestand und Weihern mit Wasservögeln. Mittlerweile kann das vorstadtähnliche Straßendorf Eynatten als Dorf mit zwei Gesichtern bezeichnet werden: das eine augenscheinlich eher unansehnlich, das andere versteckt, aber sehenswert.
Dieser seit 1985 unter Landschaftsschutz gestellte Bezirk ist begrenzt im Osten durch die Aachener Straße, im Süden durch die Eupener Straße, im Westen durch die Hauseter Straße und schließlich durch die Parkanlage des Amstenrather Hauses an der Lenggasse.

Text aus der Infotafel vor Ort

Burg Raaf

Die im 14. Jahrhundert erbaute Burg Raaff ist in vielerlei Hinsicht besonders. Sie soll nicht nur einer (falschen) Legende nach das Jagdschloss Karls des Großen gewesen sein, auch muss sie seit geraumer Zeit ohne ein Dach auskommen.
Zwar stammt der Sockel der Burg Raaff bereits aus dem 14. Jahrhundert, die drei unteren Stockwerke sind allerdings erst aus dem 15. und 16. Jahrhundert, der obere Teil sogar erst aus dem 18. Jahrhundert. Erbaut wurde die Wasserburg vom limburgischen Adelsgeschlecht De Raeve. Bereits 1380 ging der Besitz an Familie Crümmel von Eynatten über und blieb über Jahrhunderte in ihrem Besitz. Durch ihre Größe galt die Burg, ähnlich wie die Häuser Raeren und Weims (in Kettenis), als uneinnehmbar. Der befestigte Wohnturm war im Osten durch eine Bogenbrücke gesichert. Dort und im Süden befinden sich noch Schießscharten. Das Besondere am zwölf Meter hohen Turm ist die Bekränzung mit vier charakteristischen Ecktürmchen, die im Limburger Land nur sehr selten vorkommen.
Die Wirtschaftsgebäude stammen vom Ende des 18. Jahrhunderts, wovon die Inschrift „Anno/1792/TR.AMF" zeugt.
Seit 1984 ist die Burg im Besitz von Manfred Pancke, der die Wirtschaftsgebäude progressiv restauriert. Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert wurde die Burg Raaff auf Ansichtskarten angepriesen als „Jagdschloss Kaiser Karls des Großen". Obwohl das zeitlich unmöglich ist, hält sich dieses Gerücht noch immer in der Bevölkerung. |H9
Die „kopflose" Burg
Die Ursache für den Verfall der Burg Raaff geht auf das Jahr 1831 zurück. Kurz nach der Gründung des unabhängigen Belgiens regelte ein Gesetz, dass unbewohnte Gebäude mit einer unverhältnismäßigen Steuer belegt wurden. Ausgenommen waren nur Ruinen oder Gebäude ohne Dach. Die damaligen Eigentümer der Burg waren nicht gewillt, eine solche Steuer zu entrichten, und ließen kurzerhand das Dach der Burg abtragen. Seitdem verfällt das Gebäude immer mehr, obwohl es seit 1986 unter Denkmalschutz steht.

Text aus der Infotafel vor Ort

Bild von der Intotafel

Bild von der Intotafel

Haus Lamberts

Ein Buchautor macht in seinem Werk 'Burgen - Schlösser - Herrensitze in Ostbelgien' auf ein besonderes (einfacheres) Haus in Eynatten (Lichtenbuscher Str. 19) aufmerksam. Das Bürgerhaus wird von Einheimischen auch 'Alcazar' genannt. - Der Bau aus Kalkbruchstein aus dem Jahre 1734 mit seinen kleinen Fenstern fällt durch Symmetrie der Straßenfront auf.

an der Hausecke ein Hausmadonna

an der Hausecke ein Hausmadonna

über dem Hauseingang ein Eisengestell mit Ring, - wohl als Sonnenuhr nutzbar

über dem Hauseingang ein Eisengestell mit Ring, - wohl als Sonnenuhr nutzbar

St. Johannes Kirche

Bereits gegen Ende des 12. Jahrhunderts soll das Adelsgeschlecht „von Eynatten" in der Nähe ihrer Stammburg eine Kapelle unterhalten haben.
1444 feierten die Eynattener die Einweihung einer geräumigeren Kirche aus Blaubruchstein, die aber bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts wieder baufällig war. Die Bevölkerung errichtete 1707 ein neues Gotteshaus. Der bis heute erhaltene Turm wurde knapp 30 Jahre später errichtet. Bei einem weiteren Umbau wurde die Kirche um zwei Seitenquerschiffs-Kapellen erweitert.
Die Französische Revolution (als das Gebäude eine Zeit lang als Warenlager für die französischen Soldaten genutzt wurde) und die beiden Weltkriege überstand die Kirche weitgehend unbeschadet. Doch am 23. April 1950 zerstörte ein in der Sakristei entstandener Brand den größten Teil des Gotteshauses. Abermals mussten die Bürger ihre Kirche neu errichten. Im Inneren des Gebäudes befindet sich ein Gemälde des Rubensschülers Jan Bochorst. Die Grabsteine um die Kirche herum zeugen von der Zeit nach 1620.
Das erste Eynattener Pfarrhaus entstand 1617, doch schon 100 Jahre später war es unbewohnbar. Bis zum Bau des neuen Pfarrhauses nach seinen Plänen musste Pfarrer Mols selbst eine Wohnung mieten. Bemerkenswert an dem neueren Bau aus Ziegel und Blaustein ist der Stein über dem Eingang mit der Aufschrift „Pasee oves Meas Dicit Salvator" (Weide meine Schafe sagt der Heiland) und der Jahreszahl 1762.
Der Bau einer Vikarie oder Kaplanei wurde 1662 durch ein Vermächtnis der Schlossherrin von Amstenrath ermöglicht. Das heutige Gebäude stammt allerdings von 1844. Über dem Eingang steht folgendes Chronogramm: DOMUS HAEC VICARIO EXTRUCTA IPSI PAX ET FAVOR (Dieses Haus wurde für den Vikar erbaut, ihm selbst sei Friede und Wohlergehen).
Das Viergeläut
Vier Glocken zählt Eynatten: Die „Marien-Glocke" von 1467 verrichtet heute noch ihren Dienst und ist die älteste Glocke im Norden Ostbelgiens. Ihr Zwilling und dessen Nachfolger zersprangen, zwei weitere Glocken wurden 1917 zu Kriegszwecken beschlagnahmt. Bürgermeister Joseph Breuer schenkte der Pfarre 1954 die „Joseph-Glocke". Dazu gesellte sich 1962 die „St. Johannes der Täufer-Glocke", gestiftet durch Marfa Geron. Seit 1977 vervollständigt die Glocke „Maria, Mutter der Kirche" das Viergeläut.

Text aus der Infotafel vor Ort

Haus Vlatten

Als die Urväter von Eynatten das Dorf unter sich aufteilten, entstanden im Zuge dessen das „Große Haus" (Vlattenhaus) und das „Kleine Haus" (Amstenrather Haus). Im Zweiten Weltkrieg fiel das Vlattenhaus allerdings Bomben zum Opfer. Mittlerweile ist es restauriert, ohne den Ruinen-Charakter verloren zu haben.
Seinen Namen verdankt Eynatten wahrscheinlich dem Adelsgeschlecht der Herren „von Eynatten". Dieser Name tritt zum ersten Mal urkundlich im Jahre 1213 mit Heldrich von Einatten auf, der als Vorsitzender einer Bruderschaft genannt wird, die für den Unterhalt der St. Nikolaus-Kapelle in Eupen zuständig war. Ebenfalls urkundlich bekannt ist, dass zwei Brüder aus dem Geschlecht der von Eynatten das Dorf unter sich aufteilten. Im Zuge dessen sind das Vlattenhaus und das Amstenrather Haus entstanden.
Das Vlattenhaus ist nach einem der späteren Besitzer von 1475, Heinrich von Vlatten, benannt. Dieser war der Erbschenk (ein Adelstitel) des Herzogs von Jülich. Seitdem trägt das Gut oft auch den Namen „Schenkenlehen". Das Vlattenhaus blieb bis 1728 im Besitz der Familie von Vlatten und ging dann an das Jesuitenkolleg in Aachen über. Nach Aufhebung des Jesuitenordens übernahm die brabantische Domänen-Administration (= Güter-Verwaltung) das Vlattenhaus und ließ es 1774 versteigern. In den folgenden Jahren haben die Besitzer oftmals gewechselt. Vor dem Zweiten Weltkrieg befand sich in den Räumen des Vlattenhauses ein Betrieb zur Herstellung eines Suppenextraktes. Der Besitzer, Dr. Beaucamp, ließ das Anwesen von Grund auf restaurieren. Im September 1944 wurde es allerdings durch zwei amerikanische Bomben zerstört. 20 Jahre lang stand das Haus unter Sequester, also unter staatlicher Beschlagnahmung. Der verstorbene Besitzer, der Architekt Jacobs, restaurierte das zerbombte Gebäude, indem er den Ruinencharakter beibehielt. Es ist weiterhin im Besitz der Familie Jacobs.

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Angrenzender Hof und Bornweiher f||
Der angrenzende Hof diente als Wirtschaftsgebäude des Vlattenhauses. Die Jahreszahl 1781 steht in Ankereisen über einer der Stallungen und verweist auf das Ursprungsdatum. Das Rundbogenportal der Hofeinfahrt erlitt 1978 einen Totalschaden und wurde rechteckig ausgebaut und durch einem Schlussstein mit der Aufschrift „Arnold Römer-Lambertz von Eupen 1781" ergänzt.
Die drei Quellen im angrenzenden Bornweiher sind bekannt für ihre Ergiebigkeit und ihre Reinheit. Bis zum Anschluss an das Wassernetz diente der Bornweiher der Trinkwasserversorgung und dem Waschen der Wäsche. Die Landwirte benutzen das Brunnenwasser bis heute zur Tränkung des Viehs.

Text aus der Infotafel vor Ort

Wirtschaftshof

Wirtschaftshof

alte Wasserentnahmestelle am Weiher zwischen Vlatten-Haus und Amstenrather Haus

alte Wasserentnahmestelle am Weiher zwischen Vlatten-Haus und Amstenrather Haus

Amstenrather Haus

Das Amstenrather Haus, urkundlich zum ersten Mal 1431 erwähnt, wechselte im Laufe der Jahrhunderte oftmals den Besitzer und dabei auch mehrmals den Namen. Wer dieses haus besaß, durfte unter anderem den Pfarrer von Eynatten ernennen.
Ursprünglich bezeichnete die Bevölkerung die Wasserburg nur als „Kleines Haus Eynatten". Im Laufe der Zeit folgte dann die Bezeichnung „Reuschenberger Haus". Im 17./18. Jahrhundert erhielt die Burg schließlich ihre heutige Bezeichnung „Amstenrather Haus" oder auch „Herrenhaus".
Die Burg befand sich in einer perfekten Lage: An der alten Handelsstraße nach
Aachen, der Eynattener Langgasse, konnte sie sich von ihrer schönsten Seite zeigen. Das „Kleine Haus" findet erstmals im Jahr 1431 in Zusammenhang mit einem Kauf von Colyn von Beissel Erwähnung. Im Laufe der nächsten Jahrhunderte wechselte die Burg dann mehrmals den Besitzer. Unter anderem gehörte das Anwesen eine Zeit lang Servatius von Eynatten und Arnold Huyn von Amstenrath, dem die Burg ihren Namen verdankt. Wer die Burg besaß, durfte im Wechsel mit dem Besitzer des Vlattenhauses den Pfarrer von Eynatten ernennen.
Ende des 17. Jahrhunderts erhielt das Schloss nach Umbauarbeiten durch Jean Gaspard Deltour, Bürgermeister von Aachen sowie Händler und Tuchfärber, sein heutiges Aussehen.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ging der Besitz an Arnold Roemer Lamberts, der ebenfalls das Vlattenhaus besaß, über. Nach dessen Tod erbte 1788 seine Tochter Sybille das Schloss. Sie war die Gattin von André-Joseph Franssen, dessen Nachkommen das Haus erbten.
Bis zu seinem Tod im Jahre 2014 kümmerte sich der Enkel vçin André Franssen von Cortenbach, André Suttor, vorbildlich um den Erhalt des Anwesens.

André Franssen: Offizier, Ehrenbürger und Baron
André Franssen wurde 1862 geboren und besaß lange Zeit eine Färberei in Eynatten. Unter anderem gründete er zusammen mit dem damaligen Eupener Bürgermeister Zimmermann den Verband der landwirtschaftlichen Vereine. Die Krönung seiner Arbeit war aber 1933 die Gründung der „Eupener Genossenschaftsmolkerei" mit Sitz in Walhorn. Aufgrund seiner Verdienste erhielt er mehrere Auszeichnungen: 1934 den Offizier des Kronenordens, 1937 den Ehrenbürgerbrief der Gemeinde Eynatten und 1938 den Titel Baron und Namenszusatz „von Cortenbach".

Text aus der Infotafel vor Ort

Auch in dem auf der Infotafel 'unansehnlich' genannten Teil von Eynatten finden sich noch imposante Gebäude, die der Restaurierung harren.

unrestauriertes Haus

Eupener Strasse

Eupener Strasse

© Herbert S., 2020
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nachdem die ersten Lockerungen nach dem Shutdown eingetreten sind, können wir uns auch auf etwas weitere Touren einlassen - unbelebte Städte verlieren doch weitgehend ihren Charme - aber auch Natur und Denkmäler sind unsere Ziele. Wir hoffen zudem auch auf baldige Öffnung der Grenzen zu den Niederlanden und Belgien
Details:
Aufbruch: Mai 2020
Dauer: 6 Monate
Heimkehr: November 2020
Reiseziele: Deutschland
Belgien
Niederlande
Der Autor
 
Herbert S. berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Herbert sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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