Chile - mit dem Fahrrad von Santiago nach Feuerland

Reisezeit: Dezember 2008 - Februar 2009  |  von Jörn Tietje

Von Los Angeles nach Lonquimay

Nach einem leichten Fruehstueck im Hotel mache ich erst einmal einige Besorgungen. Ein Fahrradschlauch, der sich beim Aufpumpen verabschiedet hat, will ersetzt werden, eine Gaskartusche, Lebensmittel und eine bessere Strassenkarte. Alles kein Problem bis auf die Landkarte. Gute Karten gibt es beim Militaer, aber es ist Silvester und so wird nichts draus - leider, denn die sollte ich noch dringend gebrauchen. Aber ansonsten sehr nette und hilfsbereite Menschen, auch wenn es mit der Verstaendigung nach 2 Wochen Spanischkurs doch ziemlich holperig geht. Ein bisschen befremdet mich, dass ich innerhalb kuerzester Zeit dreimal darauf aufmerksam gemacht werden, gut auf meine Sachen aufzupassen, da die Chilenen jede Moeglichkeit nutzen, etwas zu stehlen. Dabei wird das Land als sehr sicher beschrieben.

Endlich sitze sich am fruehen Nachmittag auf dem Rad Richtung Ralco. Die Strasse in asphaltiert und in gutem Zustand. Die Strecke ist eben und fuehrt durch Felder und Forstplantagen. Ich komme ganz gut voran, allerdings setzt mir die Hitze maechtig zu. 33 - 39 Grad zeigt das Thermometer am Lenker und kein Woelkchen spendet ein bisschen Schatten. Jetzt raecht sich, dass ich das Training in den letzten Wochen vernachlaessigt habe und fuer eine Akklimatisierung war ja auch noch keine Zeit.
So nehmen mir in Ralco nicht nur die Silvesterfeier (zwei Boeller um Mitternacht, danach laute Musik bis in den Morgen) und Kraempfe in den Beinen den Schlaf.

Am naechsten Morgen breche ich nach Lepoy auf. Nach Karte schaetzungsweise 25 - 30 km. Ab jetzt habe groben Schotter, Wellblechprofil und Sand unter den Reifen. Ausserdem komme ich jetzt in die Berge. Das Vorankommen wird sehr muehsam und als ich nach gut 30 km einen kleinen Ort erreiche und am Fahrbahnrand ein Schild "Camping" steht, beschliesse ich, hier den Tag zu beenden. Die "Zona Camping" erweist sich als ein Stueck einer Viehweide, die ich mit Pferden Schafen und Kuehen teile. Ein Wasserhahn ist ca. 200 m weiter am Haus und der Comfort der geboten wird, ist eine schoene Aussicht auf die Schlucht des Rio Biobio,den Vulkan

Callaquen und einige Tische. Alles andere findet sich. (Auf Fotos verzichte ich wegen der unendlich lange Ladezeiten - komme vielleicht spaeter)

Am kommenden Tag will ich eigentlich nach Troyo. Wieder eine Strecke von vielleicht 30 km (laut Karte!). Nach 27 schweren und heissen Kilometern durch sehr schoene Landschaft am Rio Biobio erreiche ich dann eine kleine Ortschaft: Lepoy!!! Soviel zur Qualitaet der Karte. Ab hier wechselt die Farbe der eingezeichneten Strasse und im Reisefuehrer wird nur darauf hingewiesen, dass Allradfahrzeuge erforderlich sind und man sich beim Militaer ueber die Befahrbarkeit erkundigen soll. Sonst keine Beschreibung. Im Supermarkt von Lepoy treffe ich ein Paar aus der Gegend von Lindau am Bodensee. Sie haben eine Pickup gemietet und kurzentschlossen und leicht frustriert frage ich, ob sie mich nach Troyo mitnehmen koennen. Kein Problem. So landen Fahrrad, Taschen und ich auf der Ladeflaeche - hier eine ganz normale Art des Personentransports (liebe Kollegen, es gibt kein Beweisfoto!). Die Strecke wird extrem: extrem steil, extrem steinig wechselnd mit sandig, extrem staubig. Ploetzlich stehen wir an einem Fluss ohne Bruecke bzw. nur mit den Resten einer Bruecke. Drei Jungen bestaetigen, dass man durch den Fluss muss. Meine beiden Chauffeure verlaesst der Mut, zumal sie kein Allrad haben. Ich habe eigentlich keine Wahl. Auf der Ladeflaeche sterbe ich an einer Staublunge und ich muesste komplett zurueck nach Los Angeles. Also abladen, Fahrrad durch den Fluss schieben.

Auf der anderen Seite ist der Weg eigentlich nur noch ein Viehtreck. Den Fingerzeigen der Jungen folgend wende ich mich nach links nach 1,5 Stunden und drei Kilometern erreiche ich das Haus eines Campesinos - unglaublich, wie primitiv man hier leben muss - der mir erklaert, dass ich auf dem Weg Richtung Argentinien und damit falsch bin. Also zurueck!

Um 18.00 Uhr erreiche ich die Weggabelung, wo ich mein Zelt an einem Bach aufbauen will. Ich komme zu der Erkenntnis, dass ich mich in eine Sackgasse manoevriert habe. Nach Troyo sind es etwa 50 km! Bei dem Tempo kann das Tage dauern und der Weg scheint keineswegs besser als in der anderen Richtung.
Noch bevor ich Zelt auspacke, hoere ich ein Motorengeraeusch. Ich gegen zur Furt des Baches, wo ein Allradwagen mit einem Paar ankommt. Eigentlich will ich nur fragen, ob ich jetzt auf dem richtigen Weg bin, sie bieten aber an, mich mitzunehmen. Glueck!!! Denn was jetzt kommt, sind 4 Stunden Fahrt eingezwaengt auf der umgeklappten Ruecksitzbank im Auto auf einer Piste, die man nur fahren kann, wenn man sein Auto hasst. Wer diese Strecke mit dem Rad faehrt, ist auch sonst suizidgefaehrdet! Selbst mit dem Allradfahrzeug gibt es immer wieder Probelme. Diese Strecke kann man bestenfalls mit einem Mountainbike ohne Gepaeck fahren - und auch dann ist sie sehr, sehr anspruchsvoll! Patricio und Mariella sind beruflich unterwegs, Patricio ist Bauingenieur und erkundet die Strecke, anscheinend insbesondere wo Baeche den Weg kreuzen.
In Troyo angekommen, einem Dorf, dass nichts zu bieten hat, entschliesse ich mich, weiter bei Patricio und Mariella bis Lonquimay im Wagen mitzufahren, wo wir um 23.00 Uhr eintreffen. Sie laden mich noch zum Essen in ein Restaurant ein - ein blutiges Steak ist jetzt genau das Richtige - und ich nehme dort fuer 10.000 Pesos ein Zimmer - mit heisser Dusche, um den ganzen Staub des Tages wieder los zu werden.

Und was lernt man aus diesen drei Tagen?
1. Es ist wieder einmal wie immer, wenn ich unterwegs bin: Wenn ich in eine missliche Situation gerate, habe ich bisher noch immer das Glueck gehabt, auf hilfsbereite Menschen zu treffen, die ohne viel Aufhebens davon zu machen, einspringen. Gut, um es in den eigenen Alltag mitzunehmen.
2. Man sollte Reisefuehrern mehr Glauben schenken.
3. Ohne gute Karte lauert hinter jeder Ecke der naechste Frust!

Es geht schlimmer - viel schlimmer. Das ist noch ein gut fahrbarer Teil in die falschen Richtung auf dem Weg von Lepoy nach Troyo

Es geht schlimmer - viel schlimmer. Das ist noch ein gut fahrbarer Teil in die falschen Richtung auf dem Weg von Lepoy nach Troyo

© Jörn Tietje, 2008
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Zwei Wochen Spanischkurs an der VHS in Hamburg liegen hinter mir, noch vier Wochen Arbeit vor mir, dann geht es endlich wieder auf Tour. Auf der Flucht vor dem norddeutschen Winter liegt das Ziel südlich des Äquators: Chile. Am 29.12.08 lade ich mein Fahrrad und Zelt ins Flugzeug und mache mich auf den Weg nach Santiago de Chile. Sechs Wochen habe ich dann Zeit, um Punta Arenas zu erreichen. Anspannung, Neugier und Vorfreunde steigen - wieder unterwegs sein!
Details:
Aufbruch: 29.12.2008
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 10.02.2009
Reiseziele: Chile
Argentinien
Der Autor
 
Jörn Tietje berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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