"Shanghai'd in Shanghai" oder "In China wasch´ ich Waschmaschinen"

Reisezeit: September 2011 - März 2012  |  von Fanny Schmidt

20.12.2011 Pranayama-Hoppsassa

mit Tina am Eingang Metro-Station 2 (Shanghai Science & Technology Museum)

mit Tina am Eingang Metro-Station 2 (Shanghai Science & Technology Museum)

lass lofen (pic by Gaby die fast brechen musste )

lass lofen (pic by Gaby die fast brechen musste )

Wach meets Müde

Wach meets Müde

Auf der Suche nach dem inneren Krafttier

"Kommt der Begriff METRO-sexuell ursprünglich aus Shanghai?"

Das frage ich mich, als ich ´mal wieder schweißnass und eingequetscht zwischen hochgebildeten Anzugträgern in der UNTERGRUNDBAHN stehe und beobachte, wie sie auf ihren iPhones mit güldenen Kittyanhängern oder Glitzersteinchenbordüren kleine niedliche Pandabären füttern oder Gemüse abschießen. Zur Entspannung auf dem Weg nach Hause. Bevor sie von "Mutti" noch zum Einkaufen geschickt werden und anschließend den Haushalt machen dürfen. In Shanghai da läufts richtig. Da tragen die Frauen die Hosen und die Papas dürfen in diese herrlichen Perlonsöckchen, wahlweise in hautfarben, hellblau ja sogar Rosa und mit Rüschenborte schlüpfen und zu ihrer Weiblichkeit stehen. Ick wees nicht, watt "Mopp" uff Chinesisch heißt sonst würde ick denen verraten, dass man die Strümpfe nicht nur zum Banküberfall benutzen kann sondern auch zum Staubwischen. Einfach übern Besen oder Wischer und did Zeuch wird anjezogen wien Magnet.

Gucci-Beutel, Handgelenktäschlein oder gelbe, lange Fingernägel als Zeichen dafür, dass man nicht hart arbeitet? Alles cool.
T-Shirt oder Hemd bis zur Brust hochreißen und bauchfrei mit der Wampe durch die Hitze des Sommers schlendern? Yes. Why not. Toleranz ist angesagt und zwar grenzüberschreitend. Wir leben ja schließlich im 21. Jahrhundert. Von mir aus lauft im Schlafanzug herum, lacht euch kaputt wie kleine, hysterische Monchichis und kopiert auch noch den Haarschnitt des kleinen Kunststoffäffchens. Ich kann gut damit leben, jeder wie er will. Sag ich immer.

Und denke in diesem U-Bahn-Moment ganz anders. Und suche wie bekloppt auf der Fahrt zu Wendy nach meinem schamanischen, inneren Krafttier. Das wohnt im Sonnengeflecht. Und hat große Macht in der Unterwelt, kann Menschenseelen auf Reisen in die selbige begleiten und beschützen. Genau richtig. Los komm raus Mistvieh ich brauch Dich jetzt. Dummerweise habe ich beim "Autogenes Training"-Kurs die ganze Zeit lachen müssen und nun habe ich die Adresse vergessen. Es war irgendwo in der Magengegend und ich spüre dass es lebt, mir ist nämlich grad übelst schlecht. Los Fanny, Plan B. Jimi aus, ENYA an. Zur Beruhigung. "China Rose". Auch das noch. Nach Rose riecht mein Stehnachbar nun mal gar nicht. "Ey Süß-Sauer-Mann bitte halte dir die Hand vor den Mund wenn du Gähnen musst und im Übrigen haste nen Loch hinten rechts". "Hähhh??"

Ich dreh gleich durch. Jetzt fängt die Frau neben mir auch noch an zu telefonieren. Neben den hundert anderen Kandidaten. Ihr Gesprächspartner scheint allerdings grad in Tibet aufm Yack unterwegs zu sein so wie die schreit. Ich glaube, ich bin die Einzige die Beklemmungen bekommt. Schade eigentlich für den nächsten Kandidaten beginnt er doch, sich zu frottieren. Und zwar an mir. "Kumpel, wenn du nicht sofort damit aufhörst dann verrate ich Dir ein altes Eiersalatrezept meiner Oma." .... Bounce the ball, bounce the ball, On the ground, against the wall....schubidubii

Ich blicke mich um. Fühle mich wie ein Pudel auf LSD, überlege ob das Zeuch fürs Metrofahren wohl frei verteilt wird irgendwo zum Überstehen ohne Durchzuknallen und creme nebenbei meine Ellenbogen vom Rempelpogo ein. Reisführer sagt, das wäre ok man soll sie ruhig einsetzen.

Da hinten sitzt doch tatsächlich nen Teenie, kämmt sich erst die Haare und beginnt in einer Seelenruhe, sich falsche Wimpern anzukleben während ich nach Luft ringe und keine Ahnung habe, wo ich mich wie festhalten soll um nicht beim nächsten Stopp entweder A auf das schreiende Kind mit der Schnellscheißerhose zu fallen oder B im Gewusel mit nach Draußen gezerrt zu werden. Geschafft, die Fahrt geht weiter.

ENYA singt jetzt. Silent night. Naaa kllaaarrr. Verarschen kann ich mich selbst.
´Ne Großmutter ist eingestiegen. Kann kaum stehen und stützt sich auf ihren Stock. Ich überlege kurz ihr den abzunehmen - zur eigenen Unterstützung - erinnere mich dann aber daran, dass ich ja China retten wollte. Binde mir also mein rotes Thälmann-Tuch um und kämpfe mich zu der dicken Frucht des Wohlstands rüber die da in Ballonseide auf dem Courtesy Seat einen Burger aus dem Kentuckyshop verschlingt. Ein böser Blick reicht, Moppi versteht, macht Platz für Omi und ich drücke mir selbst nen Stempel in mein Bienchenheft. Der zweite heute. Den ersten gab´s schon vor Fahrtbeginn. Von nem Inder.

Das war so: Ich, Vollmetroprofi schüttel alle Touristenfänger die da bei uns (bei uns, verstehste..bei uuuunnss in Shanghai) unten in der Station nen Riesenfakemarkt betreiben mit einem gekonnten "Meiyou-Wo bu yau" ab, galant Richtung Ticketdrehkreuz, zack Karte rin (bin ja member der Fahrcommunity jawoll) und durch.
Naaainnn ich will nicht helloladywatchbagscarfbagplastikmüll ich will jetzt zum Unterricht verdammich und außerdem komme ich hier fast täglich entlang, ihr müsstet es langsam wissen. Wenn ich euch wieder erkenne dann sollte es euch doch auch gelingen tssst.
So, und da steht da ein kleiner Inder. Nein, nicht mit nem Strauß Rosen sondern ein einfacher Tourist. So wie icke. Ganz verwirrt war er weil seine Tageskarte immer wieder aus dem Automat gespuckt wurde. (hmm genau, nen chinesischer Kasten).
"May I help you?"
"Oh oh yäs yäs maaahhaamm dis wuld be rillliii grräättt"
"Lakshmi (taufe ihn kurzerhand so, heißen doch alle gleich) ich glaube das Ding ist im Eimer. Krabbel unter der Schranke durch."
"Noin noin mam daaaaaa is not allowed"
"Mensch jetzt krabbel, ick muss weiter"

Lakshmi hat sichs dann getraut, habe ihm im Anschluss noch das halbe Metrosystem erklärt und meinen Stempel eingefordert. War ne nette Unterhaltung - Man ey wir Ausländer müssen doch zusammenhalten
Viel Erfolg brauchte ich ihm nicht wünschen - gegen Zug fahren in Indien ist das hier für ihn bestimmt ne Lachnummer.

Weiter geht's. Noch zwei Stationen bis Xujiahui - Die Aussprache haben wir ja schon geübt - Dazwischen liegen noch Dapuqiao und Zhaojiabang Road.
Stopp Dapuqiao (da ist es im Übrigen wundervoll, steigt man aus und nimmt den Exit Taikang Lu steht man fast in einem kleinen Open-air-Markt für Kunst und Kultur, gespickt mit kleinen Kaffees und Bars. Alles sehr westlich und sehr gemütlich. Verbringe oft Stunden da und lese und schreibe einfach)

Die Metrotür öffnet sich. Muss mich an meinem Frottenachbarn halb festklammern um nicht mit nach außen geschleift zu werden -Er freut sich seines Lebens und ich schmeiße ihm einen bösen "Kermit-Pfannkuchengesicht, das war nur ne Notmaßnahme kapische Alter Blick zu". Es ist immer ganz toll, dass erst alle Menschen einsteigen, ich lasse mir später von Wendy den Satz XIAN XIA HOU SHANG (erst raus dann rein) übersetzen und übe ihn in meinem knurrigsten Ton den ich kann ein. Und werde ihn nie wieder in meinem Leben vergessen. Er wird, dass weiß ich jetzt aber noch nicht, wirken. Niemand erwartet das nämlich von einer langen Nase wie mir. Ätschibätschi.

Neben vielen Schlipsträgern tritt u.a. eine kleine Familie in die Bahn. Die Frau trägt ein kleines Kind auf dem Rücken, festgebunden in einem bunten Tuch. Sie hat einen langen, dick geflochtenen Zopf, die dunkle Hautfarbe verrät ungefähr die Herkunft der drei. Der Mann hat einen Apparat umhängen und ein Mikrophon in der einen Hand. Die andere klammert sich ebenfalls an der Frau fest. Er ist blind. Und ich weiß schon was jetzt kommt. Ist in der letzten Zeit öfter zu beobachten, Wendy erklärte mir das verstärkt gebettelt (und auch gestohlen) wird, da das chinesische Neujahr naht und die Menschen Geld benötigen um in ihre Heimatorte zu reisen.
Kurz muss ich grinsen, fällt mir doch das Paar aus Bangkok ein, das jede Nacht singend durch die Strassen ging. Mit genau so einem Gerät. Lustig war: den einen Tag war sie blind und er der Einsammler, den nächsten Tag wars umgekehrt.
Dennoch. Es ist egal, was es für einen Grund gibt, derjenige der vor anderen Menschen singt und auf die Knie geht um ein paar "Groschen" zu erhalten, macht dieses nicht aus Spaß und benötigt Hilfe. Natürlich fühlt man sich in die Enge getrieben, kann nicht die ganze Welt retten und jedem Knete geben aber Wegschauen muss man auch erst einmal können. Ich kanns nicht. Zücke mein Portemonai und komme mir wie King Luis vor. Ein 10 RMB-Schein. Wow Fanny. Das sind sage und schreibe 1 Euro und verdient nen dritten Stempel. Blöd nur ich komme grad nicht an mein Heftchen und muss zudem aufpassen, dass Schnoddernase links von mir nicht auf mein schickes Mäntelchen schnoddert. Hey man, ihr spuckt, rülpst und pupst WARUM findet ihr denn dann Naseschnauben so fürchterlich? Vati lässt lofen und icke werde plötzlich ganz selig. Kanns nicht fassen was ich da sehen muss. Fast jeder Mitfahrer kramt in Hosentasche, Guccibeutel, Sacko...und holt Geld für die Spendendose hervor. Hartgeld aber auch Scheine. Meine Gänsehaut ist kaum auszuhalten, Jimi unterstützt das noch mit "Little Wing" und ich hebe wirklich gleich ab. "Hey Leute, ihr seid doch ignorant und eiskalt also packt die Kohle wieder ein. Das sind arme Dörfler, eh verloren und zudem ganz schmutzig. Warum tut ihr das? Nachdem der Typ letzte Woche vom Hochhaus flog, ist mein Weltbild zerstört, lasst das gefälligst so, ich habe sonst keine Lästergrundlage mehr."

Doch die Menschen in der Bahn von heute lassen ein Wunder geschehen und ich mache in diesem Moment meinen Frieden. Verstehe, dass wir alle gleich sind. Gleich böse. Gleich lieb. Gleich blöd, ignorant, dumm. Gleich clever, wissbegierig. Egal wo auf der Welt. Alle haben wir ein Herz. In vielen Fällen muss dieses einmal ordentlich "enthornt" werden, damit es wieder funtioniert, bei den meisten Patienten isses aber noch voll intakt. Bravo. Stempel für alle!

Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen...Ich bin allein und freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die für solche Seelen geschaffen ist, wie die meine. Ich bin so glücklich, so ganz in dem Gefühle von ruhigen Dasein versunken...das meine Kunst darunter leidet. Ich könnte jetzt nicht zeichnen, nicht einen einzigen Strich und bin nie ein größerer Maler gewesen als in diesem Augenblick.

Ist aus Goethes Werther. Bin voll beflügelt und hab noch ne Station Zeit um Mario anzurufen. Erzähle ihm rosabauschigweich und indigoblau und benommen von dem Erlebnis und danke ihm für die schöne Zeit in China. Ich hätte Freundschaft geschlossen. Ohm Shanti Shanti. Love, Power, Peace. Woodooo.

O-Ton: "Fanny? Hast du getrunken am Nachmittag"?
Muss lachen. "Neee Doofi, bin aufm Weg zum Chinesisch"

REISETIPP:
Die blaue Metro-Plastikkarte kostet einmalig RMB 20, danach kann sie ganz einfach mit Guthaben X aufgeladen werden und das Beste: Man kann in jedem Bus UND Taxi!! damit bezahlen. Einfach dem Fahrer geben und das lästige Klimpergeldabzählen hat ein Ende. Besonders praktisch ist diese Zahlungsart nach einer durchrockten Clubbing-Nacht

Mögliche Alternative zur Metro? Tina & Gaby

Mögliche Alternative zur Metro? Tina & Gaby

Was das Mäusschen kann, kann ich auch

Was das Mäusschen kann, kann ich auch

..und was er kann geht noch besser...

..und was er kann geht noch besser...

nämlich so

nämlich so

nicht ohne meinen Baseball-Schläger

nicht ohne meinen Baseball-Schläger

nach zuviel Metrofahren verkaufe ich nun Gurken in der Cheap-u-Lu

nach zuviel Metrofahren verkaufe ich nun Gurken in der Cheap-u-Lu

Mario geht als John Wayne Geld anschaffen...

Mario geht als John Wayne Geld anschaffen...

Carsten hats auch nicht geschafft...

Carsten hats auch nicht geschafft...

...und der "kleine" Mario ist Brillenmodell geworden

...und der "kleine" Mario ist Brillenmodell geworden

am Abend schlüpfen sie dann aus ihren Kostümen und kochen für die Prinzessin...PS: Carsten, Deine Küche sieht auf Bildern voll sauber aus

am Abend schlüpfen sie dann aus ihren Kostümen und kochen für die Prinzessin...PS: Carsten, Deine Küche sieht auf Bildern voll sauber aus

© Fanny Schmidt, 2011
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Denn das Leben ist wie eine große Autobahn, Lass uns nicht lange überlegen, sondern los fahr'n. Wohin is egal und wo lang werd'n wir sehn, es wird immer weiter gehn...(Ohrbooten) Dieses Mal: Experiment China - Ein halbes Jahr Shanghai
Details:
Aufbruch: September 2011
Dauer: 6 Monate
Heimkehr: März 2012
Reiseziele: China
Der Autor
 
Fanny Schmidt berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.
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