Guatemala

Reisezeit: Mai 2005  |  von Beatrice Feldbauer

Montag.Probigua

Heute haben wir ganz spezielle Pläne. Rigoberto will uns ein paar seiner Projekte zeigen. Sein Hauptanliegen ist die Gründung von Schulbibliotheken, damit die Kinder Lesen lernen können. Seit ein paar Jahren liegt ihm aber auch das Internet am Herzen. Kinder müssen lernen mit Computern und mit dem Internet umzugehen, davon ist er überzeugt. Darum richtet er überall in den Bibliotheken einen oder mehrere Computerarbeitsplätze ein.

Vor einigen Jahren wurde die Stiftung von Bill und Melinda Gates auf ihn aufmerksam und hat ihn mit einer viertel Million Dollars unterstützt. Mit Hilfe dieses Geldes hat Rigoberto unterdessen verschiedene Computerzentren eingerichtet, so unter anderem auch im Institut Socorro, wo wir am Samstag waren. Das Geld von Bill Gates war für das Einrichten der Anlagen vorgesehen, die laufenden Kosten bezahlt Rigoberto aus verschiedenen Quellen. Er wird nicht nur von Probigua Schweiz sondern auch von Childs Aid aus den USA und vielen privaten Spendern unterstützt. Die Sprachschule Probigua in Antigua hat er seinerzeit gegründet, um Geld zu verdienen für seine Vision eines besseren Guatemalas.

Wie immer steuert Antonio, Rigoberto's Bruder den Pickup. Bald kommen wir in Chimaltenango an. Hier gibt es eine grosse Schule, die auf einem riesigen ehemaligen Militärgelände errichtet wurde. In den ehemaligen Unterkünften studieren heute junge Menschen. Sie werden Lehrerinnen und Lehrer. Ob es denn so viele Lehrerstellen gäbe, will ich wissen. 'Nein, nicht alle werden in diesem Beruf arbeiten', meint Rigoberto, 'aber es ist eine gute Grundausbildung, die weitere Möglichkeiten bietet. Ausserdem halten sich die Kosten für die Jugendlichen in Grenzen. Ein Studium in der Hauptstadt ist viel teurer und für die meisten unmöglich.' In einer der leeren Baracken entsteht eine neue Bibliothek. Es soll die grösste des Landes und ein Vorzeigeprojekt werden. Die Kosten werden von Institutionen aus verschiedenen Staaten getragen.

Rigoberto kontrolliert die Umbauarbeiten. Vor allem ist ihm wichtig, dass Türen und Fenster gut schliessen, kein Regen eindringen kann. Persönlich kontrolliert er die Abdichtungen, spricht mit den Arbeitern.

Antonio kontrolliert unterdessen die Computer. Immer gibt es etwas zu reparieren, Software muss neu installiert werden, ein Drucker ersetzt, Ram erweitert oder ein Mainboard ausgewechselt werden. Antonio ist Chauffeur, Computerexperte und in allem die rechte Hand von Rigoberto. Dieser macht uns mit der Leiterin der Bibliothek bekannt. Melinda ist ausgebildete Bibliothekarin.

Es gibt ein paar Regale mit Büchern. Die Bibliothek ist bereits in Betrieb und an den grossen Tischen sitzen einige Jugendliche, vertieft in eine Enzyklopädie. Wir überreichen Melinda ein paar Schachteln mit Farbstiften, die sie mit grosser Freude entgegennimmt. Solches 'Verbrauchsmaterial' wird immer gerne angenommen, denn Hilfsgelder sind oft nicht dafür gedacht, Unterhalt zu übernehmen.

Auf dem Gelände gibt es auch eine öffentliche Schule und Melinda fragt, ob wir Lust hätten, die Schulräume zu besuchen. Und ob wir Lust haben.

Zuerst besuchen wir den Kindergarten. Es ist gerade Pause. Die Kleinen bekommen eine Schale Maisbrei. Für viele Kinder ist diese Mahlzeit, die von den meisten Schulen abgegeben wird, die wichtigste und regelmässigste Nahrung des Tages. Wir erzählen, woher wir sind und fragen, ob wir Fotos machen dürfen. Nachdem wir den Kindern ein paar Fotos in der Digitalkamera gezeigt haben, wollen alle für uns posieren. Wir haben einen Fussball dabei, aber bevor sie draussen spielen dürfen, müssen sie die Zähne putzen. In einem Regal im Schulzimmer hat jedes ein eigenes Kästchen mit seinen persönlichen Dingen. Dazu gehört auch eine Zahnbürste. Vielleicht wäre das etwas, was ich beim nächsten Mal mitbringen könnte.

Wir gehen weiter, besuchen eine Sekundarschule. Gerade steht eine Schülerin an der Tafel und referiert anhand einer Karte von den Völkerwanderungen in Europa zu den Zeiten des osmanischen Reiches. Wenn ich solche Sachen sehe, frage ich mich immer wieder, ob wir in der Schule auch so viel über Zentralamerika gelernt haben, wie die Schüler hier über Europa lernen. Vielleicht kommt das ja daher, dass viele Schulbücher aus Europa übernommen werden.

Rigoberto ist unterdessen mit seinen Verhandlungen fertig geworden, er holt uns ab, Antonio ist bereit zur Weiterfahrt.

Unser nächstes Ziel ist ein kleines Dorf, dessen Namen mir leider entfallen ist. 'Der Bürgermeister ist hier schon seit mehr als 15 Jahren Oberhaupt der Gemeinde', erzählt Rigoberto. 'Das ist in diesem Land mit den wechselnden Regierungen eine grosse Leistung.' Das Dorf macht einen gewöhnlichen Eindruck. Kleine gemauerte Häuser mit Blechdächern und Balustraden aus getrockneten Maisstangen rundherum. Gackernde Hühner in den Höfen. Ein paar gepflasterte Strassen,

Der Dorfplatz fällt allerdings auf. Schon dass er so gross ist. Die Kirchenfassade ist neu gestrichen. Hellgelb wie die vielen Girlanden, mit denen der runde Vorplatz dekoriert ist. Rechts ein Neubau. Dreistöckig. Hinter uns eine Reihe kleiner Geschäfte. Links in einer Gasse treten wir in eine kleine vollgestopfte Bibliothek. Es ist eine der von Probigua gegründeten Institutionen. Eine der wenigen, die als Gemeindebibliothek und nicht als Schulbibliothek funktionieren. Nächstens soll sie in den Neubau umziehen.

Die Bibliothekarin freut sich über unseren Besuch, will den Bürgermeister von unserer Ankunft informieren und begleitet uns dann über den Platz zum Neubau. Im Untergeschoss gibt es ein paar kleine Läden, die zum Teil bereits in Betrieb sind: Eine Metzgerei, ein kleiner Lebensmittelladen. Im ersten Stock soll die Gemeindebibliothek eingerichtet, der zweite Stock speziell mit Kinder- und Jugendbüchern bestückt werden. Per Internet soll die Bibliothek in Kontakt mit der grossen Schulbibliothek in Chimaltenango sein, so dass Bücher ausgetauscht werden können.

Es ist ein ehrgeiziges Projekt, aber längst nicht das einzige, wie uns der Bürgermeister erzählt, der unterdessen zu uns gestossen ist. Er will einen Park gestalten, mit Einstellhalle für Autos. Die kleinen Geschäfte, die bereits in Betrieb sind, sind Teil des Planes, der Park soll über den Geschäften entstehen.

Der Bürgermeister will Ideen, die er in Europa gesehen hat, in seinem Dorf verwirklichen. Er war schon in Japan, Holland, Frankreich, Belgien, Spanien und in anderen europäischen Ländern. 'Möchten sie auch einmal in die Schweiz kommen?', frage ich ihn. 'Selbstverständlich, komme ich gerne, sie müssten mich nur einladen, es gibt überall gute Ideen', antwortet er selbstsicher.

Wie will er seine Pläne finanzieren? Einen wichtigen Teil bringen die Mieten der Läden, darum sind diese bereits in Betrieb. Ausserdem wird er in Teilbereichen, wie dem Bibliothekenprojekt von Institutionen wie Probigua unterstützt. Er hat noch viele Pläne. So gibt es draussen in den Hügeln eine heisse Quelle, die man fassen und dazu eine Hotelanlage bauen könnte. Touristen bringen Finanzen, die er im Dorf gut brauchen könnte.

Als ich das Foto von Rigoberto und dem Bürgermeister abdrücke, spüre ich, dass vor mir zwei Männer mit Visionen stehen. Dank unerschütterlichem Glauben, persönlichem Charisma und viel Kraft lassen sie diese Visionen Wirklichkeit werden. Antrieb für ihre Arbeit ist die Liebe zu ihrem Land und der Wunsch dass sich die Lage verbessert. In der alten Bibliothek, soll nach dem Umzug in den Neubau übrigens die Gemeindeapotheke entstehen.

Auf der Heimfahrt bin ich stolz, Teil dieses Projektes zu sein, auch wenn mein Anteil nur ein sehr kleiner ist. Die Arbeit die hier vor Ort geleistet wird, ist enorm und sehr eindrücklich.

Irgendwo unterwegs nehmen wir ein spätes Mittagessen ein und am späteren Nachmittag sind wir zurück in Antigua.

Letzter Abend bei Veronika. Wie immer radebrechen wir spanisch. Veronika achtet sehr genau darauf, dass auch die Amerikaner nicht anfangen Englisch miteinander zu sprechen. Nur ich darf für meine Mutter auf Deutsch übersetzen, sonst hätte sie gar nichts von unseren Erzählungen, unseren Witzen, Anekdoten. Ein wenig schleicht sich Wehmut ein, es ist der letzte Abend, aber es wird bestimmt kein Abschied für immer sein.
Probigua Schweiz
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wieder zieht es mich in das Land in Zentralamerika. Nachdem ich mit meinem Partner, mit meinem 13-jährigen Göttibuben und letztes Jahr mit einer Freundin da war, hat mich dieses Jahr meine 75-jährige Mutter begleitet.
Details:
Aufbruch: 13.05.2005
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 31.05.2005
Reiseziele: Guatemala
Honduras
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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