2023 Mit einem Geländewagen durch Albanien und Nordmazedonien

Reisezeit: Mai - August 2023  |  von Michael Bünte

Nordmazedonien: Der Mann aus dem Kosovo

Er sprach uns auf Deutsch an, als wir gerade unsere Wasserflasche an dem öffentlichen Trinkwasserbrunnen im kleinen Park neben dem alten Hamam gefüllt hatten.
"Hey, wie geht's Leute?"
Etwas perplex waren wir schon, so kameradschaftlich angesprochen zu werden, erwiderten aber nicht abweisend, sondern gaben bereitwillig Auskunft darüber, wo wir herkommen, wie lange wir in Nordmazedonien sind und wie uns das Land gefällt.
Der junge Mann, etwa Ende zwanzig, sah gepflegt aus, hatte ein rosiges Gesicht, war in Sportschuhen, halblanger Hose und schwarzem T-Shirt gekleidet und machte auf uns den Eindruck eines Studenten, der hier im Park seinen Abend verbrachte.

Seine Antwort auf unsere Frage, woher er so gut Deutsch spreche, machte uns betroffen.
"Ich bin abgeschoben. Bin in Deutschland groß geworden und vor einem halben Jahr mit meinen Eltern in den Kosovo abgeschoben worden."
"Deine Eltern sind im Kosovo. Aber warum bist Du denn hier in Nordmazedonien?"
"Wegen meiner Frau. Sie ist aus Mazedonien. Deshalb konnten wir auch nicht im Kosovo bleiben, wo ich Arbeit hätte finden können."
Und dann kam die Frage von ihm, die wir in diesem Augenblick erwartet hatten.
"Könnt Ihr uns irgendwie unterstützen? Ich habe keine Wohnung mehr. Wir schlafen hier auf der Bank im Park. Letzte Woche hat man mir alle meine Sachen gestohlen. Wir haben jetzt gar nichts mehr. Alles was wir haben ist in unserem Kinderwagen."
Auf der am nächsten gelegenen Bank sehen wir eine junge Frau neben einem Kinderwagen sitzen. Sie hat ein Baby auf dem Arm. Wir gucken uns an.
Normalerweise geben wir kein Geld, sondern helfen eher mit Sachwerten aus, weil Geldgaben gerne auch in Alkohol oder Drogen umgesetzt werden. Dauerhaft helfen tut so ein Tropfen auf den heißen Stein eigentlich nicht. Aber diese Situation ist schon erbärmlich.
"Wie können wir Euch denn helfen? Was braucht Ihr denn am dringendsten?"
"Das ist egal, irgendwas. Vielleicht eine Nacht in einem Hotel, damit ich endlich mal schlafen kann, und damit wir uns duschen können. Ich wasche mich jeden Morgen hier im Fluss, vor den Augen aller Leute. Das ist erniedrigend. Wir brauchen etwas zu essen, Pampers für den Kleinen, irgendwas. Auch 10 Euro können uns schon ein bisschen weiterhelfen. Wir leben von jedem Tag zu jedem anderen."
"Und was passiert dann? Du musst Dir doch eine Arbeit besorgen. So kann es doch nicht weitergehen."
"Was soll ich denn machen? Ich kann ja nicht einmal die mazedonische Sprache. Wir hoffen jeden Tag auf Allah, dass er die Dinge richtig lenkt."

was können wir tun ?

Wir springen über unseren Schatten. Ich habe noch einen letzten
10-Euro Schein im Portemonnaie. Wir holen ihn heraus uns geben ihn der kleinen, abgestürzten Familie.
Der junge Mann entschuldigt sich, dass er uns um Unterstützung gebeten hatte, bedankt sich ganz herzlich, wünscht uns alles Glück der Erde, und wir ziehen mit einem bitteren Geschmack weiter.
"Abgeschoben aus dem Land, in dem ich groß geworden bin, dessen Sprache ich beherrsche, dessen Lebensgewohnheiten ich angenommen und akzeptiert habe. Abgeschoben in ein Land, das nicht das Land meiner Eltern ist, in dem ich keine Arbeit finden kann, weil ich die Sprache nicht spreche, in dem ich keine Wohnung bekommen kann, weil ich keine Arbeit habe, mit der Verantwortung, meine Frau und mein kleines Kind durchzubringen. Eine unfassbar unglückliche Situation, hervorgerufen durch die deutsche Gesetzgebung."

noch einmal zurück

Wir kommen bei unserem Auto an. Es wirbelt in unseren Köpfen.
"Sollen wir den beiden nicht doch ein Hotelzimmer für eine Nacht besorgen? Das wäre doch keine große Sache für uns."
"Ja, oder wir gehen mit ihnen einkaufen. Sie sagen, was sie brauchen und wir zahlen."
Postwendend kehren wir um. Irgendwas wird uns schon einfallen.
Hin- und hergerissen gehen wir den Weg zurück zum Park. Ein Laden fällt uns auf, vor dem dicke Bündel von Bananen an der Straße hängen.
"Weißt Du was", sagt Gabi zu mir. "Wir holen ihnen eine Tüte mit Obst, Joghurt und solche Sachen. Dann bekommen sie wenigstens noch was Gesundes zum Beißen."
Ok, dafür reichen unsere mazedonischen Denare noch.
Wir gucken, bevor wir einkaufen, noch einmal über das Geländer in den Park, ob die Familie überhaupt noch da sitzt. Ja, da sind sie auf 'ihrer' Bank, arm und verlassen, und vollständig auf die Hilfe ihrer Mitmenschen angewiesen.
Mit der gut gefüllten Futtertüte gehen wir zu ihnen. Gabi erklärt der Frau noch, dass sie Obst und Gemüse essen solle, um dem Kleinen Milch geben zu können. Sie solle auf keinen Fall anfangen, Babynahrung zu füttern.
"Ich habe selbst drei Kinder groß bekommen. Ich weiß, wovon ich spreche".
Der junge Mann übersetzt und guckt sich dankbar unser Mitgebrachtes an. Noch einmal werden Hände geschüttelt. Die junge Frau nickt und umarmt Gabi vor Dankbarkeit. Dann wenden wir uns ab, und mit einer Träne in den Augen gehen wir wieder am Fluss entlang zu unserem Auto.

© Michael Bünte, 2023
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wir starten in Hamburg und reisen mit einem Toyota HZJ78 über Italien, Kroatien, Montenegro nach Albanien. Dieses ist der Bericht unserer zwölfwöchigen Reise.
Details:
Aufbruch: 15.05.2023
Dauer: 12 Wochen
Heimkehr: 06.08.2023
Reiseziele: Albanien
Der Autor
 
Michael Bünte berichtet seit 26 Monaten auf umdiewelt.
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