2023 Mit einem Geländewagen durch Albanien und Nordmazedonien

Reisezeit: Mai - August 2023  |  von Michael Bünte

An der Nordküste: Vlorë

In der Stadt Vlorë machen wir nur einen kurzen Zwischenstopp. Die Stadt erinnert uns etwas an Nizza mit seiner kilometerlangen, palmenbestandenen Standpromenade, hinter der sich noble Hotels und Geschäftsbauten aufreihen. Auch im Stadtinneren sind breite, verkehrsberuhigte Zonen angelegt. Die Plattenbauten aus kommunistischer Zeit wurden zum großen Teil renoviert oder durch neue, moderne Bauten im italienischen Stil ersetzt. Eigentlich nicht verwunderlich, dieser italienische Einfluss, wenn man bedenkt, dass es von hier bis nach Italien nur ca. 85 km sind und dass es einen regen Schiffsverkehr mit dem Austausch von Gütern und Gedankengut gibt.
Nach einem etwas größeren Einkauf bei einer "Furrë Bukë" (Bäckerei), einem Kaffee unter Oleanderbüschen der hier nur halb so viel kostet, wie in den bisherigen Orten, durch die wir gekommen sind, und nachdem wir uns bei einem Gemischtwarenhändler für die nächsten Tage mit Vitaminen und Joghurtprodukten eingedeckt haben, fahren wir auf eine Landnase im Süden der Stadt, auf der man eine gute Möglichkeit haben soll, am Meer zu stehen.

Die große freie Wiese, auf der wir heute stehen, etwa 10 Meter über dem Meer, mit einem kleinen Sandstrand weiter unten, ist ideal für uns. Hier endlich wollen wir zur Ruhe kommen, nicht jeden Tag weiter fahren, sondern die ganzen Ereignisse der letzten Wochen verarbeiten.
Hier das scheint dafür der richtige Ort zu sein.
Zwei Kilometer weit sind wir über die Schotterstraße mit tiefen Löchern gefahren. Kein Problem für unser Fahrzeug nur eben etwas holprig und sehr, sehr langsam.
Was wir nicht erwartet hatten war, dass auf dem in derApp angezeigten Übernachtungsplatz eine Armada von sechs Wohnmobilen und Kleinbussen bereits hübsch aufgereiht oberhalb der Klippen auf den Paradeplätzen stehen. Wir sind hier also nicht alleine. Wahrscheinlich sind wir in diesem Land nirgendwo mehr alleine. Der Reiseboom der individuellen Naturliebhaber hat sich also auch bis in diese Ecken Albaniens verbreitet.

die Küstenlinie vor Vlorë

die Küstenlinie vor Vlorë

wir stellen uns etwas abseits der Paradeplätze oberhalb der Klippen

wir stellen uns etwas abseits der Paradeplätze oberhalb der Klippen

ein feinsandiger Strand unterhalb unseres Übernachtungsplatzes

ein feinsandiger Strand unterhalb unseres Übernachtungsplatzes

die Idylle der Einsamkeit trügt

die Idylle der Einsamkeit trügt

Wir bleiben etwas abseits der Paradeplätze stehen, direkt oberhalb des feinen Sandstrandes, und können von hier aus auf die Formationen aus Sandsteinfelsen sehen. Hier lässt es sich für die nächsten Tage gut aushalten, zumal unsere Wasser- und Lebensmittelvorräte gut gefüllt sind.
Am späten Nachmittag kommt ein großer weißer Hund zu unserem Platz. Er guckt uns mit großen Augen an und legt sich, als wir ihm nichts zum Fressen geben, in etwa fünf Meter Entfernung vor uns auf die Wiese. Ein zweiter Hund, ein schwarzer Rüde, gesellt sich dazu, so dass es aussieht, als wären wir mit zwei Hunden auf Reisen. "Ebony" und "Ivory". Sie liegen einfach nur da, sind nicht aggressiv, bedrängen uns nicht, zeigen uns ihre freundlichen Absichten. Doch insgeheim haben sie Hunger. Leider haben wir nichts Passendes für sie an Bord, denn Müsli, Paprikaschoten oder Aprikosen sind meines Wissens nach kein Hundefutter. Zu gerne hätten sie als Freunde adoptiert, doch die Vernunft verbietet es uns. Nach einer Zeit machen sie sich auf den Weg zum nächsten Neuankommer. Eine gute Überlebensstrategie bei der großen Fluktuation auf diesem Platz.

wir haben zwei wilde Hunde zu Besuch

wir haben zwei wilde Hunde zu Besuch

"Ebony" und "Ivory"

"Ebony" und "Ivory"

Jetzt ist es Abend geworden. Über die Berge im Landesinneren ziehen schwere dunkle Wolken herauf. Ein zünftiges Gewitter kündigt sich an. Die Luft war schon längere Zeit schwül und stickig.
Der Wind wird stärker, Leinen werden fester gespannt, wir helfen noch der Motorradfahrerin, ihr Einmannzelt mit stärkeren Abspannseilen zu sichern, da geht es denn auch los am mittlerweile tiefschwarzen Himmel über den Bergen.

die letzten Sonnenstrahlen, bevor das Gewitter uns erreicht

die letzten Sonnenstrahlen, bevor das Gewitter uns erreicht

Blitze zucken in kurzen Abständen. Es grollt und rumpelt mit endlosem Nachhall. Über uns noch ein sternenklarer Himmel. Vor uns ein Schauspiel aus Blitz und Donner. Wir sitzen vor unserem Wagen und fühlen uns wie in einem Theaterstück, das wir heute vorgeführt bekommen. Dann fängt es auch bei uns an mit dicken Tropfen vom Himmel zu prasseln. Wir verkriechen uns in unsere Schneckenhaus und sehen hin und wieder nach dem Zelt der Motorradfahrerin, ob da noch alles steht.

Ein neuer Tag ist angebrochen

die Farben der Ginsterblüten wetteifern mit dem Blau des Meeres

die Farben der Ginsterblüten wetteifern mit dem Blau des Meeres

die Farben der Ginsterblüten wetteifern mit dem Blau des Meeres

die Farben der Ginsterblüten wetteifern mit dem Blau des Meeres

zwei Fischer haben ihren Fahrräder abgestellt

zwei Fischer haben ihren Fahrräder abgestellt

Heute wollen wir uns bewegen und nehmen Schusters Rappen, um das alte Kloster, das in der Nähe auf einer Insel steht, zu besuchen. Das Kloster hat die Kriege und die kommunistische Zeit unbeschadet überdauert und ist heute öffentlich zugänglich.
Von unserem Übernachtungsplatz kann man die Klosterinsel sogar schon sehen. Wir müssen nur eine große Bucht umrunden, um zu dem Beginn der Holzbrücke zu gelangen, über die man trockenen Fußes hinüber gelangen kann.

die Klosterinsel in der Lagune von Vlorë

die Klosterinsel in der Lagune von Vlorë

Der Weg führt uns wieder die staubige Straße entlang. Dann sehen wir zwei Reisebusse ankommen. Eine Horde von Schulkindern jeden Alters ergießt sich auf die Straße. Es wird gerannt, geschubst, geweint und gelacht, wie das eben bei Jugendlichen auf einem Ausflug bei uns auch üblich ist. Wie ähnlich trotz aller Verschiedenheit der Völker die Verhaltensweisen der unterschiedlichen Altersgruppen ablaufen.
Dann erreichen wir die Brücke, die uns, frisch renoviert, in großen Schwüngen nach links und rechts ausladend, über das Wasser gelangen lässt. Auf der anderen Seite werden wir von einem freundlichen Herren in Hier-hab-ich-das-Sagen-Kluft begrüßt. Schübeweise werden die Besucher in die Kirche des Klostern hinein gelassen. Ein dunkler Raum empfängt uns, verziert mit orthodoxen Gemälden, Ikonen und uralten Holzschnitzereien am Inventar. Ein Ort des Friedens und der Ruhe. Wie viele Generationen von Mönchen dieses Gebäude wohl schon erlebt haben mag?
Wir haben Glück, dass wir eine Zeit lang ganz alleine in diesem Raum verweilen können. Die meisten Besucher werfen nur einen kurzen Blick hinein und sind schnell wieder draußen im Tageslicht. Fotos darf man hier nicht machen, was wir auch respektieren.
Draußen, im Klostergarten, stehen die Wohngebäude der Mönche. Auf dem Friedhof mit alten Gräbern fällt uns ein modernes, neues Grab aus grauen Granitsteinen auf. "Marigo Pozio" ist der Name auf dem Stein. Und der Name ist uns bereits in unserer Reiseliteratur begegnet. Es ist die Frau, die die erste albanische Flagge per Hand gestickt hatte, die bei der Ausrufung des Staates Albanien im Jahr 1912 verwendet wurde. Hier liegt sie in allen Ehren begraben.

der Weg zum Kloster führt über eine geschwungene Holzbrücke

der Weg zum Kloster führt über eine geschwungene Holzbrücke

das Kloster "Heilige Maria von Zvërnec"

das Kloster "Heilige Maria von Zvërnec"

Wir sind wieder zurück, haben fast schon unsere Übernachtungswiese erreicht, als uns ein Hinweisschild am Wegesrand auf die drei Bunker aufmerksam macht, die hier gar nicht weit entfernt in den Fels gehauen sind. Wir wandern also einen kleinen Pfad entlang, der auf gleicher Höhe an den Klippen entlang führt. In einiger Entfernung sehen wir die hellblau und in Grüntönen bemalten Gebäude, die uns schon gestern vom Strand aus aufgefallen waren. Wir hatten es für Imbissstände gehalten. Jetzt entpuppen sich diese Gebäude als Eingänge solider, bis tief in den Berg hineinführender Bunker aus den achtziger Jahren. Farbenfrohe Motive zieren heute den grauen Beton, der dadurch lange nicht mehr so bedrückend und abweisend wirkt.
Diese Motive sollen auf den Schutz der dargestellten Tiere hinweisen.

ein Bunkereingang mit einem Wolfsmotiv gestaltet

ein Bunkereingang mit einem Wolfsmotiv gestaltet

ein Bunkereingang mit dem Motiv eines Flamingos gestaltet

ein Bunkereingang mit dem Motiv eines Flamingos gestaltet

Eingang in den 'blauen' Bunker

Eingang in den 'blauen' Bunker

Die Bunker sind offen und für jeden frei zugänglich. Ein kalter Lufthauch entströmt dem Berg. An den Wänden in den Eingängen der Bunker sind Motive von Schiffen und Flugzeugen dargestellt, mit genauer Angabe der technischen Daten und zur Verfügung stehender Anzahl. Wir vermuten, dass hier das gesamte Arsenal des kommunistisches Staates unter Enver Hoxha anschaulich gemacht ist. Ein anderes Motiv zeigt die Reichweite der Kanonen, mit denen man diesen Küstenstrich verteidigen sollte.

Wandmalereien mit Motiven der vorhandenen Schiffe

Wandmalereien mit Motiven der vorhandenen Schiffe

Ausschnitt aus den Flugzeugmotiven auf der gegenüberliegenden Seite

Ausschnitt aus den Flugzeugmotiven auf der gegenüberliegenden Seite

Es macht uns schon ein mulmiges Gefühl, in diese Höhlen in die vernichtende Welt der Kriegsführung mitgenommen zu werden. Immer tiefer führen die mit Beton ausgekleideten Schutzbauten in den Berg hinein; so groß, dass ganze LKW-Verbände darin untergebracht werden könnten, und so tief, dass unsere Taschenlampen nur noch ins Schwarze leuchten. Links und rechts sind Verbindungsgänge angelegt, so dass man wahrscheinlich durch diese zu den anderen Bunkern gelangen konnte.
Der Boden wird glitschig feucht. Sehen können wir auch nicht mehr viel. Also machen wir uns auf den Rückweg, raus aus diesen finsteren, düsteren Löchern im Berg. Gleißend hell schlägt uns das Sonnenlicht am Eingang entgegen. Wir sind froh, wieder den Himmel und das Meer zu sehen.
Und wir sind froh, nicht an einem Leben mit Bunkern und kriegerischen Auseinandersetzungen direkt beteiligt sein zu müssen.

Zum Sonnenuntergang wandern wir noch einmal los, um auf das Podest des kleinen Leuchtturms zu gelangen. Von hier oben haben wir einen Rundumblick über die Küste, die Klosterinsel, die Lagune von Vlorë und unsere Übernachtungswiese mit dem kleinen Strand darunter. Schnell versinkt die Sonne vor uns am wolkenlosen Himmel im Meer.

die Küste aus der Vogelperspektive vom Leuchtturm aus gesehen

die Küste aus der Vogelperspektive vom Leuchtturm aus gesehen

der Tag neigt sich seinem Ende zu

der Tag neigt sich seinem Ende zu

© Michael Bünte, 2023
Du bist hier : Startseite Europa Albanien Vlorë
Die Reise
 
Worum geht's?:
Wir starten in Hamburg und reisen mit einem Toyota HZJ78 über Italien, Kroatien, Montenegro nach Albanien. Dieses ist der Bericht unserer zwölfwöchigen Reise.
Details:
Aufbruch: 15.05.2023
Dauer: 12 Wochen
Heimkehr: 06.08.2023
Reiseziele: Albanien
Der Autor
 
Michael Bünte berichtet seit 26 Monaten auf umdiewelt.
Bild des Autors