Mittelamerika

Reisezeit: Juni 2023 - Januar 2024  |  von Beatrice Feldbauer

Wahlen / Ergebnisse

Es gibt gute Neuigkeiten. Mit dieser Information begrüsste mich David heute Morgen, als ich zum Frühstück in sein Restaurant kam. Die Bürgermeisterwahl ist entschieden. Zwar wurde nicht der bevorzugte Kandidat von David gewählt, aber immerhin der aus seiner Sicht zweitbeste von den neun Kandidaten. Damit kann David gut leben und er freut sich. Der Bürgermeister eines Ortes hat grossen Einfluss darauf, was im Dorf passiert. Welche Strassen gebaut oder erneuert werden, welche Schulen unterstützt werden und wieviel Geld in eigene Taschen fliesst. Er bestimmt für vier Jahre das Bild und die Entwicklung des Ortes. Allzu oft sind Bürgermeister korrupt, versprechen vor den Wahlen das Blaue vom Himmel und wollen später nichts mehr davon wissen.

Seit ich vor bald zwei Wochen in Guatemala angekommen bin, spürte man überall im Land den Wahlkampf. Es wurden die Bürgermeister im ganzen Land neu gewählt, überall hingen Wahlplakate, es gab Veranstaltungen. Doch nicht nur die Bürgermeister wurden gewählt, es ging auch um die Wahl des neuen Staatspräsidenten.

Frühstück am Sonntagmorgen im Hotel Bambo am Atitlansee

Frühstück am Sonntagmorgen im Hotel Bambo am Atitlansee

Auch mit diesem Ergebnis ist David zufrieden. Auch hier schwang nicht sein Kandidat obenauf, aber es wird einen neuen Wahlgang geben und sein Kandidat ist noch immer im Rennen. Bis zum zweiten Wahlgang im Herbst wird er seine Freunde mobilisieren, damit der richtige Kandidat möglichst viele Stimmen bekommt. David verfolgt die politische Entwicklung in seinem Land mit Sorge, es gibt so vieles was falsch läuft in Guatemala. Doch heute scheint er einen kleinen Schimmer am Horizont zu erkennen.

Wir brauchen Licht in unserem Land, eine richtige Erleuchtung, eine Veränderung, ist er überzeugt. Vor ein paar Jahren, fuhr er eines Tages, als im ganzen Land Unruhe herrschte, in die Hauptstadt. Ganz allein, ohne genaue Vorstellungen. Er traf auf Gleichgesinnte und am Schluss stand er vor dem Regierungspalast auf dem Podest und hielt eine Rede. Gegen die Ungerechtigkeit, für bessere Schulen, besseres Sozialwesen. Noch heute bekommt er glänzende Augen und kann es selber kaum fassen, wie er da vor hunderten von Zuhörern redete und gehört wurde. Selber in die Politik einsteigen möchte er nicht. Noch nicht, betont er. Meine beiden Buben sind noch zu klein und ich trage die Verantwortung für sie. Politik hat zu viel mit Gewalt zu tun. Man lebt gefährlich in diesem Land wenn man sich für die Armen einsetzt.

Das hält David allerdings nicht davon ab, sich für seine Anliegen einzusetzen. Nach seinem Besuch in der Schweiz kam er voller neuer Ideen zurück. Er wollte etwas für seinen Wohnort tun. Das war damals noch die andere Seeseite. Panajachel, da wo seine Buben in die Schule gehen. Er organisierte grosse Abfallsäcke und fing mit seinen beiden Söhnen an, das Ufer des Flusses, der hier in den See fliesst, zu säubern. Sammelte all den Unrat ein, separierte Plastik und organische Abfälle und versuchte, seine Freunde und andere Interessierte zu motivieren. Am Schluss der Woche waren es 20 Freiwillige und das Flussufer war sauber.

Plastiksammel-Behälter in Panajachel

Plastiksammel-Behälter in Panajachel

Das war wohl das erste Mal, dass man ihn direkt auf die Politik ansprach. Aber er meinte, nein, ich will nicht in die Politik einsteigen, ich will nur, dass unsere Umgebung sauberer wird. Daraufhin rief ihn der Bürgermeister an und kurz darauf wurde das Seeufer von der Gemeinde gereinigt. Es war mein Beispiel, das half, den Menschen die Augen zu öffnen. Seither war das Ufer nie mehr so verschmutzt wie früher. Es ist jetzt sogar möglich, im See zu baden, was vorher kaum vorstellbar war und ausserdem gibt es grosse Behälter, um Petflaschen zu sammeln. Ich möchte ein Licht sein, für meine Umgebung und für meine Buben. Sie werden in dieser Welt leben und ihre Kinder grossziehen müssen. Ich möchte, dass die Welt besser wird, meint er, wenn ich ihn auf seine Vorbildfunktion anspreche.

Wahlsonntag, alles ist auf den Beinen

Wahlsonntag, alles ist auf den Beinen

David kommt aus der allerärmsten Schicht. Ich habe ihn 2005 auf der Strasse in Panajachel kennen gelernt, als er wie viele andere Kinder für seinen eigenen Unterhalt aufkommen musste und kurz davor war, die Schule aufzugeben, weil das Geld fehlte. Ich hatte ihm spontan den Betrag bis zum Ende des Schuljahres bezahlt und wie er mir viel später erzählte, hat er sich noch am gleichen Tag damit in einer Privatschule eingeschrieben. Denn ich hatte ihm versprochen, dass ich weiter bezahle, wenn er mir seine Schulnoten schicken würde. Diese kurze Begegnung wurde zu einem Schicksalsmoment, der sein Leben von Grund auf änderte.

Doch eigentlich wollte ich von den Wahlen erzählen, die gestern stattfanden. Nach all den vielen Vorbereitungen und Wahlreden, war gestern Sonntag der eigentliche Wahltag. Seit Freitag waren alle Wahlveranstaltungen verboten. Jeder Einwohner ab 18 Jahren hatte eine Liste bekommen mit seiner Identifikation und den verschiedenen Wahlzetteln. Ausserdem stand da, wo man am Sonntag seine Stimmzettel abgeben musste. Jeder Stimmbürger musste sich an einem bestimmten Ort melden.

Überall im Ort entstanden Wahllokale, wo die Menschen Schlange standen. Sie mussten sich identifizieren, wurden auf einer Liste abgehakt, bekamen eine Markierung auf den Finger und konnten ihre Stimmzettel abgeben. Es herrschte Wahlzwang. Die ganze Stadt war auf den Beinen. Die Leute kamen mit Tuctucs, zu Fuss und ganz viele in Pickups. Da standen sie dann hinten auf der Ladebrücke, eng zusammengepfercht, so wie sie auch zu den Pflanzungen fahren. Die Strassen waren überfüllt und vor den Tischen mit den Stimmbüros herrschte Andrang. David und Raquel hatten ihre Stimme schon am frühen Morgen abgegeben, ich war etwas später unterwegs und versuchte ein paar Stimmungsbilder zu machen. Überall stand Polizei, aber es blieb alles ruhig.

Wir trafen uns zu einem späten Frühstück im Bambu-Hotel. Eine sehr schöne Anlage direkt am See, wo ich wieder einmal ein paar exotische Blumen fotografieren konnte. Das Hotel ist ganz in der Nähe meiner Unterkunft und ich werde bestimmt wieder einmal dahin zum Essen gehen.

Am Nachmittag wollte mir David seine neueste Errungenschaft zeigen. Seit sein Restaurant so gut läuft und die Einkünfte für den täglichen Bedarf liefert, befasst er sich mit Grundstücken. Schon früh hat er sein erstes Geld in ein kleines Grundstück angelegt. Dort steht jetzt sein Restaurant. Zusammen mit seinem Schwiegervater hat er sich später ein weiteres kleines Terrain gekauft, auf dem er ein Haus gebaut hat, das jetzt als Tierpraxis vermietet ist. Jetzt interessiert er sich für grössere Projekte. In der Nähe des kleinen Flugplatzes auf der anderen Seite des Ortes hat er ein grösseres Grundstück günstig gekauft. Da es hier bereits ein paar neuere Häuser von Gringos gibt, glaubt er, dass er es mit einen guten Gewinn weiter verkaufen kann. Gringos wurden früher vor allem die Amis genannt, heute ist es einfach eine Bezeichnung für uns Weisse. Es war zwar ein Schimpfwort, wird heute aber ohne Wertung ausgesprochen.

Der Zugang zum Grundstück ist bereits frei gemacht

Der Zugang zum Grundstück ist bereits frei gemacht

Ein Teil des neuen Grundstücks

Ein Teil des neuen Grundstücks

der kleine Privatflugplatz von Santiago Atitlan

der kleine Privatflugplatz von Santiago Atitlan

Wir fahren also mit dem Tuctuc zum Flugplatz. Es ist nur ein kleiner Privatflugplatz für die Avionettas der Ausländer. Von dort geht ein kleiner Fussweg in den Wald, durch eine alte Kaffeepflanzung hinauf auf einen etwas höher gelegenen Platz. Damit ein allfälliger Interessent sich ein besseres Bild machen kann, hat David den Platz roden lassen und auch den Zugangsweg frei gemacht. Er hat auch bereits einen Interessenten und spricht schon wieder von neuen Projekten. Kaufen und Verkaufen liegt mir, meint er. Ich sehe Möglichkeiten, habe ein Gefühl für den Handel. Komme mit vielen Leuten ins Gespräch und spüre wenn sich etwas ergeben kann.

ein altes Foto wieder hervorgeholt: der 15-jährige David 2005

ein altes Foto wieder hervorgeholt: der 15-jährige David 2005

Ich kann über so viel Geschäftssinn nur staunen. Wer hätte das gedacht. Damals, im 2005, als dieser kleine Junge mit den farbigen Kugelschreibern vor mir stand und mir einen verkaufen wollte. Er hatte wohl schon damals dieses Flair, die richtigen Leute anzusprechen. Kugelschreiber macht er nur noch selten selber, aber er handelt noch immer damit. Nach Bedarf verteilt er Aufträge an seine Familie und Freunde und unterstützt damit andere, die noch nicht seine Möglichkeiten haben. Seine Preise sind moderat aber nicht billig, denn das würde ja gar niemanden was nützen, meint er.

Der Garten meines Hotels ist etwas verwildert

Der Garten meines Hotels ist etwas verwildert

Den Rest des Nachmittags verbringe ich in meinem Garten. Versuche endlich einen Schreibplatz zu finden, denn das Internet in meinem Zimmer ist extrem schlecht und nicht stabil genug, um Fotos auf meine Blogseite zu laden. Aber im Garten an einem der Tische ist der Empfang akzeptabel. Darum sitze ich inzwischen da und fange an zu schreiben.

Am Abend allerdings fahre ich noch einmal in den Ort. Der neue Bürgermeister will eine Rede halten, hat mir David mitgeteilt. Um 18.00 Uhr vor dem Rathaus.

Der neue Bürgermeister hält eine Rede

Der neue Bürgermeister hält eine Rede

Und wieder sind alle Menschen auf den Beinen. Vor dem Rathaus stehen schon viele. Die ersten haben sich einen der Plastikstühle ergattern können, die restlichen stehen dahinter oder am Rand des Platzes vor den Häusern. Es gibt Verkaufsstände für Süssigkeiten und auf dem Podium sitzen die Vertreter der neuen Regierung oder die Parteifreunde des neuen Präsidenten. Er heisst Chico Coche, was genau übersetzt ‚Kleines Auto‘ heisst. Ich weiss nicht, ob das tatsächlich sein eigener Name ist. Jedenfalls hält er eine Rede in Tsutuchil, der Sprache, die hier in Santiago überall auf den Strassen gesprochen wird.

Als der zweite Redner auftritt, werden Raketen abgefeuert, so dass dessen Dankesworte kaum mehr verstanden werden. Und dabei hätte er sogar spanisch gesprochen und ich hätte verstanden, was er gesagt hat. Doch er spricht so lange und wiederholt seinen Dank an die Bevölkerung, an die Männer und Frauen, an die Armen und alle, die ihn und seine Partei unterstützt haben und auch an die, die noch nicht an ihn geglaubt haben, so oft, dass ich es doch noch mitbekomme. Ich liebe Euch, ich liebe Santiago, liebe dieses Dorf und ich werde alles tun, um Euch richtig zu vertreten. Ich nehme an, er ist der Vertreter für die Regierung in der Hauptstadt.

Beim dritten Redner verlasse ich den Platz. Auch er spricht wieder Tsutuchil. Das ist eine völlig andere Sprache, als wir sie gewohnt sind. Ich mache noch ein kurzes Video, um den Ton einzufangen, dann gehe ich ins Cafe Rafa und geniesse einen feinen Cappuccino, bevor ich mit dem Tuctuc zurück in meine Unterkunft fahre.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Am Start einer neuen Reise ist meist noch alles ganz klar. Nur das erste Ziel: Guatemala und später im Jahr eine Hochzeit in Mexika. Es wird also einmal mehr eine sehr lange Reise mit vielen Überraschungen. Ich freue mich über virtuelle Mitreisende und werde wie gewohnt über meine Erlebnisse berichten.
Details:
Aufbruch: 09.06.2023
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: Januar 2024
Reiseziele: Guatemala
Mexiko
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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