Mittelamerika

Reisezeit: Juni 2023 - Januar 2024  |  von Beatrice Feldbauer

San Juan

Ich sitze im Rafa, sehe dem Verkäufer gegenüber der Strasse zu, wie er seinen Shop einrichtet. Jeden Morgen wird alles hinaus gehängt. Alle bestickten Mayakalender, die Keiderpuppen, die Quilt-Bettüberwürfe, handgewobene Tischdecken. Und all der kleine Krimskrams, der Schmuck, die geschnitzten Vögel, die Krippenfiguren. Während des Tages wird er die Sachen nach und nach gegen die Sonne schützen, Tücher darüber legen, einen Sonnenschutz anbringen und am Abend alles wieder hineinräumen. Tag für Tag das gleiche Prozedere, das ganze Jahr. Manchmal bleibt eine Gruppe Touristen stehen manchmal eine einzelne Person und manchmal kauft jemand etwas.

Es ist noch Vormittag, ich überlege, was ich heute unternehmen könnte. Es verspricht wieder ein warmer Tag zu werden und ich entscheide mich spontan zu einem Ausflug nach San Juan. Das ist der nächste Apostel, nachdem ich vor wenigen Tagen in San Pedro war.

Es gibt keine Boote, die ab Santiago direkt nach San Juan fahren, ich nehme das Boot nach San Pedro und frage den Tuctucfahrer, der im Hafen steht, ob er mich nach San Juan fahren kann.

Auf dem Weg frage ich ihn, was eine Tour durch San Juan kosten würde, doch da hält er an, das braucht eine längere Erklärung. Eine Tour kann er mir nicht anbieten, jedenfalls nicht mit seinem Tuctuc. Die Fahrer in San Juan schätzen es gar nicht, wenn ein Tuctuc aus San Pedro eine Tour macht. Er kann mich offiziell nur nach San Juan fahren, danach müsste ich einen anderen Fahrer engagieren.

Aber er schlägt mir vor, dass er mich durch San Juan begleitet, dass wir sein Tuctuc hier am Weg bei einem Freund einstellen und dann ein San-Juan-Tuctuc anhalten, mit dem wir hinfahren können. Ganz habe ich seinen Vorschlag nicht auf Anhieb verstanden, aber er scheint einen guten Eindruck zu machen, und da die Tuctucs jeweils mit dem Namen des Dorfes beschriftet sind, könnte ich mir vorstellen, dass es sich tatsächlich so verhält, wie er mir erklärt.

Ich bin seriös, beteuert er noch, du brauchst keine Bedenken zu haben. Als ob ich das in Bezug auf ihn hätte. Ausserdem schlägt er mir einen fairen Preis vor.

Wir fahren nur noch ein kleines Stück weiter, dann biegt er in einen Hof ein, wo ein Freund von ihm eine Werkstatt betreibt. Da können wir sein Tuctuc stehen lassen

Kurz darauf sind wir mit einem anderen Fahrer in einem San-Juan-Tuctuc unterwegs. Zuerst geht es zum Aussichtspunkt, wo wir aussteigen sollen. Was, da hinauf soll ich? Ich bin etwas überfordert, bin ich ja nicht wirklich die Bergängerin und ob ich da mit meinen Flipflops hochkomme? Gibt es keine andere Möglichkeit?

Nein, die gibt es nicht, Juan ist bereits an der Kasse, zahlt den Eintritt für uns zwei und so bleibt mir nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Was? da hinauf soll ich

Was? da hinauf soll ich

Es ist ein gut ausgebauter Weg, vielfach eine Treppe mit langen Stufen. Es ist nicht allzu steil, die Anstrengung hält sich in Grenzen. Ausserdem macht es Juan sehr geschickt, er bleibt immer ein paar Schritte vor mir, manchmal verschwindet er um eine Kurve, dann muss ich ihn wieder einholen. Ja ich gebs zu, Bergwandern sind nicht so mein Ding und ich komme auch ziemlich bald ordentlich ins Schaufen. Aber wir sind nicht die einzigen, die in die Höhe wollen. Ganz Völkerwanderungen sind unterwegs und ich bin längst nicht die einzige, die immer mal wieder stehen bleibt und die Aussicht bewundert.

Allein wäre ich da wahrscheinlich gar nicht raufgegangen. Juan hat mich aber tatäschlich motiviert. Und der Blick war schon beim Aufstieg fantastisch. Vor allem zum liegenden Indio. Der Berg, der auch Die Nase genannt wird und auf den man zum Sonnenaufgang steigen könnte.

Und dann sind wir oben und werden von einer Marimba-Band empfangen. Und ganz vielen Verkaufsständen mit frischen Fruchtsäften.

Eigentlich wars ja gar nicht so schwierig, ich brauche für sowas einfach immer einen Motivationsschub oder etwas Zeit.

Der Aussichtspunkt heisst Kaqasiiwaan, was nicht ganz einfach auszusprechen ist, darum wird er einfachheitshalber Mirador de San Juan genannt. Es ist eine doppelstöckige runde Holzterrasse, die bunt bemalt ist mit Kanus in der bekannten Vogelperspektive. So wie die Bilder vom Markt. Allerdings sind heute so viele Menschen da oben, dass man die Motive am Boden nur bedingt sehen und kaum fotografieren kann. Aber die Aussicht hinunter auf dem See und die Berge ist fantastisch.

Etwas mitgenommen, aber froh, oben zu sein.

Etwas mitgenommen, aber froh, oben zu sein.

Ein Kanu in Vogelperspektive

Ein Kanu in Vogelperspektive

Nachdem wir die Aussicht rundum gebührend bestaunt haben, setzen wir uns mit einem Wasser an einen der kleinen Tische mit Aussicht und kommen ins Gespräch. Und da bestätigt sich meine kleine Ahnung vom Anfang, als sich Juan so intensiv anbot und mich bat, ihm zu vertrauen. Meistens steckt da etwas dahinter. Ich glaube, er ist selber erst dabei, sich selber wieder zu vertrauen.

Ganz ohne dass ich ihn ausfrage, fängt er an, aus seinem Leben zu erzählen. Schwierige Kindheit, kaum zur Schule gegangen er kann auch jetzt noch nicht richtig lesen und schreiben. Mit 17 wurde er zum ersten Mal Vater, seine Tochter lebt bei ihrer Mutter, ist aber inzwischen erwachsen und scheint zu studieren. Genau weiss er das nicht, obwohl er manchmal versucht, Kontakt zu haben. Dann kam eine dunkle Zeit mit viel zu viel Alkohl, einer zweiten Liebe, einem zweiten Kind, für das er sich allerdings zuständig fühlt. Irgendwann kam die Erleuchtung. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er fand Jesus, trat in eine der evangelischen Kirchen ein, von denen es hier in der Gegend viele gibt und trinkt seither nicht mehr. Respektive nur noch sehr selten.

Als sein Fussballclub gewann, gab es eine Ausnahme, aber sonst lebt er enthaltsam, kommt seinen Verpfichtungen nach, ist dabei seine Schulden abzubauen. Was er bedauert, ist seine fehlende Schulbildung. Educacion - ein bekanntes Thema in Guatemala. Und wohl nicht nur hier. Schwierige Lebenswege gibt es an vielen Orten.

Auf dem Rückweg nehme ich meine Flipflops in die Hand, es läuft sich fast angenehmer barfuss, denn der Weg und die Stufen sind weitestgehend sauber gewischt. Ich frage einen der Verkäufer, der auf dem Weg Erfrischungen anbietet, wieviele Stufen es bis zur Aussichtsplattform seien. 365, sagt er.

365 Stufen, verschiedene. Steile hohe, lange niedrige. Jede Stufe ist anders, so wie die Tage des Jahres. Und jede will erstiegen werden, jeder Tag will gelebt werden, ein schöner Vergleich.

Unten wieder angekommen, halten wir ein Tuctuc an, Ziel ist die Kirche, doch schon bald sehe ich diese mit Fransen und grossen Planen bedeckte Strasse. Anhalten, bitte anhalten.

Wir können den Weg auch zu Fuss gehen, meint Juan und wir entlassen den Fahrer, gehen zu Fuss weiter. Eine schmale Strasse, auf der vor allem Tuctucs unterwegs sind, ist mit breiten Planen, die wie Stoffbahnen aussehen, bedeckt, das wird wohl bei Sonne Schatten geben und schützt vor Regen. Und das interessanteste ist, dass sich die Tuctucs angepasst haben. Einige sind sehr ähnlich angemalt, als ob eine Stoffbahn über sie gespannt sei. Dazu harmoniesieren die bunt bemalten Häuser.

San Juan hat sich tatsächlich gemacht und wird seinem Namen als Touristenziel gerecht.

Doch es kommt noch besser, die nächste Strasse ist noch umfassender geschmückt Zum einen mit einem Sammelsurium an kuriosen Dingen, die über der Strasse hängen. Hüte, Kugel, Blumen und Schneesterne, und alles schön bunt, wippen im Wind. Die ganze Strasse ist mit bunten Steinen belegt und an den Wänden sind farbige Murales, farbige Bilder gemalt. Eines ist sogar dreidimensional mit einem Baum und verschiedenen Tieren, die von der Mauer abstehen. Ich komme aus dem Staunen gar nicht mehr heraus und knipse wild in der Gegend herum. Wobei es gar nicht so einfach ist, diese spezielle Situation einzufangen.

Vordergrund und Hintergrund vermischen sich.

Vordergrund und Hintergrund vermischen sich.

bunt - kunterbunt

bunt - kunterbunt

Bald sind wir bei der Kirche und ich erinnere mich, dass ich hier schon einmal war. Denn diese Kirche mit den zwei Fassaden ist ziemlich speziell. Ich erinnere mich nicht mehr, warum die Kirche neu gebaut wurde. Ob die erste eingestürzt ist, oder einfach zu klein wurde, ich weiss es nicht mehr. Aber dass die alte Fassade stehen geblieben ist, wie ein Relikt von früher und dahinter die neue Kirche gebaut wurde, ist ziemich einmalig, vor allem wegen der ungewöhnlichen gemauerten Fassade.

Auch hier wieder eine einfach Kirchengestaltung, Gross und funktional mit farbigen Fenstern direkt unter dem Dach und den Säulengängen.

Vor der Kirche stehen ein paar Pferde. Sie sind ziemlich mager, so genau kenne ich mich mit den Tieren nicht aus, jedenfalls möchte ich mich nicht darauf setzen. Sie besammeln sich soeben und starten zu einem kleinen Rundgang und wir gehen in die nächste Strasse.

Der Himmel hängt voller Schirme. Unglaublich, was die hier mit dem Ort gemacht haben. Als ich vor fünf Jahren mit der Gruppe hier war, war das alles noch nicht vorhanden. Ich erinnere mich nur an die Strasse, die vom Hafen ins Dorf führte, weil sie voller Gemäldegalerien und schönen Cafes waren. Diese sind inzwischen noch viel mehr geworden und ich kann die frühere Gestaltung fast nicht mehr erkennen. Es sind noch viel mehr Geschäfte dazu gekommen, die Strasse ist zu einem Weg geworden, auf dem die Tuctucs nur noch in Einbahn fahren können. Dafür ziehen sich die Dekorationen über dem Weg weiter bis hinaus zu den Schiffstegen. Überall hängen die farbigen Hüte, die Kugeln, der ganze Klimbim.

Es ist später Nachmittag, ich lade Juan zu einem späten MIttagessen ein. Zu zweit essen ist schöner und wenn ich schon mal die Gelegenheit habe, muss ich es benutzen. Und er freut sich, ist bestimmt inzwischen auch hungrig.

Ich vermute, dass er die Karte nicht lesen kann, deshalb bestellt er wohl das gleiche wie ich: gebratene Garnelen mit Kartoffeln und Guacamole. Hat wunderbar geschmeckt.

Blick auf den Mirador mit dem schlafenden Indio dahinter - der Indian Nose.

Blick auf den Mirador mit dem schlafenden Indio dahinter - der Indian Nose.

Die Geschäfte drängeln sich bis fast auf den Schiffsteg, wo die Boote von Panajachel ankommen.

Die Geschäfte drängeln sich bis fast auf den Schiffsteg, wo die Boote von Panajachel ankommen.

Danach schlendern wir noch kurz hinunter zum Hafen, wo ziemlich viel Betrieb ist. Hier kommen die privaten Ausflugsboote und die Publicos von Panajachel an. Und es sind auch tatsächlich ziemlich viele Fremde hier.

Allerdings höre ich nebst spanisch nur englisch, einmal französisch. Deutsch, oder gar Schweizerdeutsch ist noch nicht aktuell. Die Touristen von Übersee sind noch nicht unterwegs, wie sie es vor der Pandemie waren

Dann fahren wir mit einem San-Juan-Tuctuc zurück zur Werkstatt, wo Juan sein Tuctuc abgestellt hat. Das Tor ist zwar inzwischen verschlossen, der Freund hat Feierabend gemacht, aber es ist nur mit einem Draht verschlossen, der einfach geöffnet werden kann.

Juan bringt mich zurück nach San Pedro, wo ich mit dem letzten Publico zurück nach Santiago fahre. Gerade rechtzeitig, denn unterwegs fängt es an zu regnen, so dass ich wieder einmal unter der Plane zurück schippere.

Zurück in Santiago kehre ich in einer neueren modernen Cafeteria ein. Es gibt hier gutes Internet und an jedem Tisch eine Steckdose. Werde bestimmt wieder herkommen, es scheint ein guter Platz zum Schreiben zu sein.

Und so beschliesse ich den Tag wie ich ihn angefangen habe, bei einem Cappuccino in der Hauptstrasse von Santiago Atitlan.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Am Start einer neuen Reise ist meist noch alles ganz klar. Nur das erste Ziel: Guatemala und später im Jahr eine Hochzeit in Mexika. Es wird also einmal mehr eine sehr lange Reise mit vielen Überraschungen. Ich freue mich über virtuelle Mitreisende und werde wie gewohnt über meine Erlebnisse berichten.
Details:
Aufbruch: 09.06.2023
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: Januar 2024
Reiseziele: Guatemala
Mexiko
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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