Aller guten Dinge sind drei - zum dritten Mal in die Alta Versilia (Toskana)
Lucca-Kult mit viel Kultur
Lucca ist im Summer-Festival-Rausch: Der Soundcheck von „30 Seconds to Mars“ dröhnt durch die Stadt; morgen wird Till Lindemann erwartet.
Junge und mittelalte Menschen schleppen sich durch die Hitze, meist schwarz gewandet, tätowiert, mit bunten Haaren. Also schwarzbunt!
Wir hätten noch mal einen Konzertbesuch gewagt, aber Simple Minds waren Monate vorher ausverkauft ...
Im Auswanderungsmuseum
Heute ergibt es sich, dass ich mich heuer ganz auf Sehenswürdigkeiten konzentriere: Unversehens liegt das „Museo Paolo Cresci per la Storia dell’Emigrazione Italiana“ auf dem Weg. Das interessiert mich. Es ist klein, sehr hübsch gemacht und zeigt die Gründe für das Auswandern im 19. Jahrhundert bis in die 1960-er Jahre; informiert, wie Agenturen damals die Überfahrten organisiert und wie sich langsam italienische Gemeinschaften in den Einwanderungsländern mit eigenen Traditionen etabliert hatten. „Braccia robusta“ – kräftige Arme waren gefragt im Straßenbau in Rumänien, im Bergbau in Amerika oder in den Zuckerrohrplantagen in Australien. Die Frauen widmeten sich der Familie und arbeiteten oft in den Fabriken.
Es sieht fröhlich aus, aber eine solche wochenlange Überfahrt in der dritten Klasse war mit Sicherheit keine lustige Kreuzfahrt.
Basilika San Frediano
Die Piazza San Frediano brütet in der Hitze, und ich verspreche mir Kühle in der Basilika. Sie wurde im 6. Jahrhundert von einem irischen Wandermönch und späteren Bischof von Lucca gegründet (welch eine Karriere!) und weist ungewöhnlicherweise nach Westen (was mit dem Wiederaufbau Jahrhunderte später zu tun hatte). Auch auf den über 40 Meter hohen Turm will ich hinauf; vielleicht weht dort ein Windchen. Das Ganze ist mir 8 Euro wert. Leider ist der Turm wegen einer Hochzeit gesperrt (Ideen haben die Leute …). Vor der Kirche sind die Wedding-planner damit beschäftigt, Blumenschmuck aufzubauen; im Inneren ebenfalls. Ein Streichertrio übt für die musikalische Untermalung der Hochzeitszeremonie, und ich durchwandere zu Streicherklängen das dreischiffige Gotteshaus, bewundere die Marmorsäulen, die Fresken und die Holzdecke.
Die Holzstatue der Maria Annunziata fällt durch ihre schlichte Schönheit in dieser ruhigen Seitenkapelle auf.
Besuch bei der Weberin Nadia Caselli.
Palazzo Pfanner
Während Urban kostenlose Kirchen besucht und die Innenstadt durchwandert und dabei über neun Kilometer zurücklegt, habe ich mir den Palazzo Pfanner um die Ecke vorgenommen. Der war seit 1660 durch mehrere Hände gegangen, denn die Bauherren hatten sich wohl im Laufe der Zeit überschätzt und waren in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten: Zunächst die Familie Moriconi aus dem Lucceser Handelspatriziat, dann die Seidenhändlerfamilie Controni, die auch den der Stadtmauer zugewandten Barock-Garten mit seiner Orangerie, Kamelien- und Rosenpflanzungen sowie zahlreichen Götterstatuen rings um einen Springbrunnen hatte anlegen lassen.
Der österreichische Bierbrauer Felix Pfanner erwarb Schritt für Schritt den gesamten Komplex, nachdem er hier 1846 ein Brauhaus, eins der ersten in Italien, hatte errichten lassen. Seine Nachfahren waren Ärzte; einer davon in den 1920er Jahren auch Bürgermeister von Lucca. Daher ist im Inneren des Palazzo neben den zugänglichen Wohnräumen auch eine Dauerausstellung von medizinischen Geräten zu sehen.
Ich lerne zwei junge Polinnen kennen und wir verständigen uns auf Englisch und Polnisch. Kichernd fotografieren sie sich im Garten; ich konzentriere mich auf Selfies.
Auf dem Torre Guinigi
Es ist klebrig heiß, ich bin müde und will eigentlich zurück zur Piazza San Michele, die dortige Kirche besichtigen und mich mit Urban treffen. Zudem den dortigen Geldautomaten melken, nachdem meine Girocard bereits wiederholt nicht akzeptiert worden war.
Doch unvermittelt befinde ich mich vor einem Turm, den ich die letzten beiden Male sehnsüchtig betrachtet hatte. Er ist oben mit Bäumen bewachsen. Da muss ich jetzt rauf, die 44 Meter! Die Treppen sind breit und gut gangbar, und oben weht tatsächlich das ersehnte Lüftchen.
Der Rest ist schnell erzählt: Ich habe eindeutig die falsche Bankkarte dabei, denn sie wird auch vom nächsten Bankomat nicht akzeptiert und auch im Conad nicht. Also muss ich auf Pump leben. Urban besitzt inzwischen ein Paar Retrostyle-Turnschuhe von Puma, ein Leinenhemd und -hose (wieder aus dem „Primula Verde“, einem unscheinbaren Bekleidungsladen mit dem Charme eines 80er-Jahre-Miederwarengeschäfts) und hat mir ein Wildschwein auf einer Vespa als Kühlschrankmagneten mitgebracht. Wir sind müde, aber glücklich.
Aufbruch: | 28.06.2025 |
Dauer: | 16 Tage |
Heimkehr: | 13.07.2025 |