Falltür ins Paradies

Reisezeit: Oktober 2009 - Oktober 2010  |  von Katharina L.

Udaipur - Jodhpur - Jaisalmer

Udaipur, 9./10.10.2009

Tapferkeit, Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit. Diese Tugenden trugen die rajastanischen Koenige von Mewar durch Jahrhunderte von Siegen und Niederlagen in blutigen Schlachten. Und: Das einzigartige Aufeinandertreffen muslimischer und hindustischer Kulturen bildete die Voraussetzung fuer die Entstehung der prachtvollen Forts und Schloesser rajastanischer Adelsclans. Das sind die zwei wichtigen Dinge, die wir in der beindruckenden Sound- und Light-Show vor der Kulisse des City Place von Udaipur lernen.

Der Lake Pichola laedt zum Baden ein

Der Lake Pichola laedt zum Baden ein

Sound- und Light-Show, das heisst Kino ohne Film: der Palast steht mal in lodernen Flammen, mal leuchtet er mondbeschienen im naechtlichen Dunkel, je nach Erzaehlsituation. Die Erzaehlerstimme, die von Band erklingt, Sonor und mit ausgepraegt schleppendem indischen Akzent, gemahnt in sonderbarer Weise an die alte Rocky Horror Picture Show. Waehrend die mit sirupdicker Instrumentation ummantelten Sitarklaenge zum immerwiederkehrenden musikalischen Zwischenspiel anheben, ertappt man sich bei der Erwartung, im naechsten Moment koenne ein sich aus seinem Morgenmantel schaelender indischer Softpornodarsteller durch die Palastpforte hindurch die Szene betreten. Oder Borat in Unterhose, einen solchen persiflierend. So erweist sich die Sound- und Light-Show nicht nur als lehrreich, sondern in mindestens gleichem Masse als in bizarrer Weise absolut unterhaltsam. Diese Eindruecke begleiten uns auch noch auf unserem Weg durch den City Palace und die anschliesende Bootsfahrt auf dem Lake Pichola am naechsten Tag.

Lake Palace, wo einst James Bond uebernachtete

Lake Palace, wo einst James Bond uebernachtete

Eine noch wichtigere Lektion indischer Weltanschauung lernen wir von Rahil, dem Wirt aus dem Navee Haveli, der am Abend (ohne jede Bezahlung) aus Katharinas Hand liest: Die Vorbestimmtheit unseres Lebens. Aus den Linien der Handflaeche lassen sich demnach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft praezise ablesen. Weshalb einem dann allerdings gleichzeitig Loesungen fuer Probleme einer Zukunft angeboten werden, die doch bereits unabaenderbar feststeht, bleibt ein typisch widerspruechlich indisches Geheimnis. Rahils Angebot, Katharina in spirituellen Sitzungen (ebenfalls ohne jede Bezahlung) von ihren "Problemen" zu befreien, geht mir zu weit - Katharina lehnt das Angebot mit Ruecksicht auf meine Bedenken dann auch ab. Wir haben trotzdem noch zwei sehr schoene Abende mit Rahil und seinem verrueckten Koch, der ab einer bestimmten abendlichen Stunde beginnt, fuer niemanden verstaendlich, in unterschiedlichsten Sprachen gleichzeitig zu sprechen.

Der verrueckte Koch, Katharina und Rahil im Navee Haveli

Der verrueckte Koch, Katharina und Rahil im Navee Haveli

Erwaehnenswert in Udaipur auch noch eine Begegnung mit einer Gruppe jugendlicher indischer Touristen aus Dehli, auf unserem Weg zum Sunsetpoint. Katharina wird ungewollt zu einer Art Superstar und muss Autogramme auf die dargebotenen Haende offensichtlich am Rande hormonellen Wahnsinns befindlicher indischer Jungmaenner zeichnen.

"CLOSE ENOUGH" - EINE BEGEBENHEIT

Es stinkt am Seeufer, wie an so vielen Plaetzen in Udaipur. Ein suesslicher Geruch nach Gaerung und Verwesung. K. steht auf einem kleinen Muellberg, die Linse ihrer Kamera ganz nah vor einer zerbroeckelnden Mauer, die das Seeufer von der Strasse abschirmt. Ich stehe einige Meter entfernt. Ein junger Mann stellt sich dicht neben mich und beobachtet K. Er laechelt. Nach etwa einer Minute wendet er sich mir zu. Er laechelt mich an, sieht wieder zu K. Nochmals sucht er meinen Blick, weist mit der Hand auf K. und hebt Augenbrauen und Schultern.
"Well", sage ich, "I think the idea is that there is beauty even in the smallest piece of rubbish if you come close enough."
Nichts in seinem Gesicht verraet mir, ob er mich verstanden hat, ob er ueberhaupt Englisch versteht. Er laechelt immer noch.
Wir sehen wieder zu K., die sich langsam, mit suchender Linse, an der Wand entlangbewegt. Wir schlendern ein wenig nebeneinander her.
Ploetzlich zeigt der junge Mann auf ein Mauerstueck, an dem die Reste eines abgerissenen Plakates im Sonnenlicht schillern. Ich laechle ihn an. Er sieht sich suchend um, tippt mir dann auf die Schulter. Vor uns ein Stilleben aus voellig verdreckten, von der Hitze eingeschmolzenen, schwarzen Plastikkabelrollen, die sich um einen geteerten Strommast winden.
Der Mann zeichnet davor mit den Haenden einen Bildausschnitt in die Luft.
Ich laechle wieder und nicke.
Er laechelt auch.
Ich gehe mit K. nach links ueber die Bruecke, der junge Mann nach rechts.
Wir winken uns zum Abschied zu.

Jodhpur, 11./12.10.2009

Um 7 Uhr traegt ein echter indischer "Massagebus" Eddie, Tom, Katharina und mich nach Jodhpur. Die Fahrt in einem Bus, der offenbar keine Stossdaempfer mehr besitzt, ist eine echte Herausforderung fuer Wirbelsaeule und Sitzknochen. Die Fahrt ist auch eine Herausforderung fuer Katharinas mittlerweile schon recht gut entwickelte Ekeltoleranz: Tapfer uebersteht sie bei einer Rast, den Besuch einer "Landtoilette" (ummauertes Loch im Boden und Treffpunkt aller Insekten der Gegend), vor die ich von einem Inder als Wache postiert werde.

Ein abschliessendes Urteil ueber Jodhpur koennen wir uns nach nur einem Tag nicht erlauben, doch laenger wollen wir es hier nicht aushalten. Viel groesser als Udaipur, erweist sich die Stadt als riesiger Moloch.

Jodhpur - die blaue Stadt

Jodhpur - die blaue Stadt

Steigt man vom wirklich beeindruckenden Fort Meherangarh, mit seinen reichhaltigen Kunstsammlungen, die von Hoechstkultur zeugen, und seinem fantastischen Ausblick auf die blaue Stadt (mit Indigo getuenchte Haeuser - gut gegen Insekten), hinunter in die Altstadt, glaubt man, auf einer riesigen, unsaeglich stinkenden, bewohnten Muellhalde zu landen.

Jodphur - die Kehrseite

Jodphur - die Kehrseite

Doch auch hier gibt es Schoenes zu erleben: da ist Nisha, unsere Zimmerwirtin im Heaven Guesthouse, eine Cousine von Rahil aus Udaipur, die uns so herzlich aufnimmt, wie eine Mutter ihre verlorenen Kinder. Da ist Kissan, der junge tibetische Koch, der uns in einer Cooking Lesson die Zubereitung von Chapati, Shahi Paneer, Aloo Firdaus und Vegetarian Makahi lehrt und der sich sehr ueber die Fauna unseres Heimatlandes wundert: "Was, bei Euch gibt es keine Affen?" - "Oh, nein." - "Nicht mal im Dschungel?" - "Oh, aeh, wir haben gar keinen Dschungel." - "???". Und wir begegnem einem Mann, der Geldscheine aus aller Welt in seinem Fotoalbum sammelt, in dem wir noch mal echte D-Mark-Scheine bewundern koennen. Nicht zu vergessen die Schildkroete, die das Rooftop des Heaven Guesthouse bewacht.

Jaisalmer I, 13./14.10.2009

Nach "Massagebus" ist nun um 6:30 Uhr ein echter "Ueberbevoelkerungsbus" Richtung Jaisalmer an der Reihe. Mehr und mehr Menschen und Gepaeck werden in den betagten Reisebus gequetscht, bis die weltbekannte, an der Eingangstuer haengende Menschentraube entsteht. Wir naehern uns der Wueste Thar, die Luft wird zunehmend heiss und trocken. Um 11 Uhr in der goldenen Stadt angekommen, muss ein Polizist mit Schlagstock die Schlepper von uns fernhalten. Wir finden nach einigem Hin und Her Unterkunft im empfohlenen Swastika, Tom und Eddie im beruechtigten Peacock gleich gegenueber.

im Bus wird es "cozy"

im Bus wird es "cozy"

Wir begegnen im Swastika einem stinkstiefeligen, aber offenbar grundehrlichen Wirt, der allerdings um 23 Uhr seinen Laden abschliesst. Tom und Eddie werden sich bald einiger Raeubereien und Betruegereien erwehren muessen. So werden wir nach der geplanten Kamelsafari die Hotels wechseln.

Fruehstueck im Bett

Fruehstueck im Bett

In Sachen Kamelsafari gehts dann auch noch am Nachmittag zu Delboy und seinem "Trotters Camel Safari" (er wurde irgendwann nach einer Figur der uns unbekannten englischen Fernsehserie "Trotters" benannt und hat diesen Namen anstandslos angenommen). Delboy erweist sich als sehr angenehmer und interessanter Gespraechspartner. Er stammt aus einem Dorf in der Naehe von Jaisalmer und klaert uns darueber auf, in welcher Weise die von ihm organisierten Kamelsafaris den Dorfbewohnern, die auch als Guides fungieren, zu Gute kommen. Hoert sich alles gut und plausibel an. Wir buchen.

Delboy in seinem Buero

Delboy in seinem Buero

Nach einem Einkaufsbummel ueber den hiesigen Basar gibts noch Abendessen bei einem Tibetaner. Da der Koch wegen Kundenmangel schon nach Hause gegangen ist, muss der junge Besitzer selber an den Herd. Stolz serviert er uns sein Werk. Wir bleiben hoeflich...

Am naechsten Tag haben wir unsere erste Begegnung mit dem indischen Eisenbahnsystem - wir buchen eine Zugfahrt nach Pushkar. mit der freundlichen Hilfe zweier Neuseelaender schaffen wir es die notwendigen Formulare auszufuellen und erhalten nach zweistuendigem Anstehen an einer hoechstens sechs Personen langen Warteschlange endlich unsere Tickets - nicht ohne Unfreundlichkeiten des Bahnbeamten an den Kopf geworfen zu bekommen.

Auf dem Rueckweg treffen Katharina und ich auf den Kuenstler ohne Namen, wie er sich vorstellt. Er gibt uns bei Chai eine ueberaus informative Einfuehrung in indische Lebensweisheit und rajastanisches Kunsthandwerk. Mit einigen gedanklichen Windungen will er, der von sich behauptet, er habe sich endlich von materiellen Beduerfnissen befreit und seinen wahren spirituellen Weg gefunden, uns von der unbedingten Notwendigkeit materiellen Besitzes in Form eines Bettbezuges ueberzeugen. Die Frage, ob ihm dies gelang, bleibt noch unbeantwortet.

© Katharina L., 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
1 Jahr: Indien – Thailand – Laos – Vietnam – Neuseeland – Chile – Argentinien – Peru – USA
Details:
Aufbruch: 01.10.2009
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: 01.10.2010
Reiseziele: Indien
Thailand
Vietnam
Laos
Neuseeland
Chile
Argentinien
Bolivien
Peru
Vereinigte Staaten
Der Autor
 
Katharina L. berichtet seit 14 Jahren auf umdiewelt.