Falltür ins Paradies

Reisezeit: Oktober 2009 - Oktober 2010  |  von Katharina L.

Rosario, 28.-30.04.2010

"Schau nur, das sieht ja aus wie in Mumbai!" - tatsaechlich erstrecken sich im Westen Rosarios, entlang der Einfahrtsroute des Busses Slums, wie wir sie bisher nur in Indien gesehen haben. Eng ducken sich Wellblech- und Holzhuetten, oft auch nur ein paar Holzpfeiler aneinander, ueberzogen mit blauer Plastikplane, Muell haeuft sich in den schmalen Wegen, die offensichtlich weder an Kanalisation, Wasserversorgung oder Elektrizitaet angeschlossen sind. Nach einigen Kilometern aendert sich das Bild und das alte Rosario mit seiner schmucken, lebendigen Innenstadt wird sichtbar. Wie wir spaeter erfahren, haben wir hier das Grenzgebiet zwischen dem bettelarmen Nordosten und der wohlhabenden Provinz Buenos Aires gesehen.
Rosario ist Verheisung und Sammelbecken fuer die Armen aus Nordost. Hier gibt es vielleicht noch eine Arbeitsmoeglichkeit bei noch erschwinglichen Lebenshaltungskosten.

Das Leid der Armen lassen wir hinter uns, als wir unsere Rucksaecke durch die lichterfunkelnde Altstadt schleppen um zum "Rosario Inn Cultural Hostel" zu gelangen. Cintia "La Negra" (wie sie wegen ihrer Herzlichkeit genannt wird - "schwarz" steht hier, zumindest in kulturell offeneren Kreisen, fuer das Seelenvolle) empfaengt uns mit ueberschaeumender Freundlichkeit in einem palastartigen alten Haus mit meterhohen Decken und zwei wunderschoenen Terrassenpatios.

Unser Zimmer hat einen steinernen Balkon ueber einem ausladenden, kopfsteingepflasterten Platz gegenueber des Parque Nacional de la Bandera. Das Plaetschern des Springbrunnens im Zentrum des Platzes uebertoent fast den abendlichen Verkehrslaerm. Im gelben Schein der Strassenlaternen nehmen wir auf dem Balkon unser Abendessen - Oliven, Trauben und Rotwein - zu uns und fuehlen uns wie in einem alten Fellini-Film.

Am naechsten Tag begruesst uns Hostel-Chef Ezequiel mit DEM argentinischen Ritual: MATE. Mate ist nicht nur ein Getraenk - das in ein Mategefaess geloeffelte Matekraut (yerba de mate) wird mit heissem Wasser uebergossen, welches mit einem silbernen Roehrchen aus den Tiefen des Gefaesses gesaugt wird - sondern ein epidemisches Alltagsritual. Mate trinkt manzu zweit oder in der Gruppe, wobei Mategefaess und Trinkroehrechen reihum wandern, waehrend immer wieder heisses Wasser nachgegossen wird. Ueberall und zu jeder Tageszeit in Argentinien sieht man Menschen mit Thermoskanne und Nategefaess durch die Stadt laufen, auf der Parkbank sitzen, im Gras liegen, am Flussufer schlendern, zur Arbeit gehen, die Mittagspause verbringen usw. Der bitter-herbe Mategeschmack und die kreislaufanregende Wirkung sind allerdings gewoehnungsbeduerftig - wir werden waehrend unseres Argentinienaufenthaltes keine grossen Matefans, obwohl wir das gemeinschaftsstiftende Ritual sehr schaetzen.

Nach dem Mate gehts zum Bummel durch den Parque Nacional de la Bandera, der sich entlang des Rio Parana erstreckt. Wir beobachten Angler, Muessiggaenger, Menschen in ihrer ausgedehnten Mittagspause.. Das Leben scheint laessig, die Menschen freundlich in Rosario.

Zum Mittagessen kehren wir in eine Fischtaverne am Flussufer ein und lernen ein paar neue, liebenswerte Dinge an Argentinien kennen. Bereits begeistert von der ausgepraegten Pasta- und Pizzakultur der einheimischen Kueche, stossen wir hier erstens auf die Vorliebe der Argentinier, alles nur Denkbare mit viel Kaese zu ueberbacken. So kommt der von uns bestellte, hechtartige Flussfisch unter einer leckeren Roquefortkruste daher. Zweitens lernen wir, nach einem Blick auf die Nachbartische, dass eine Portion Fisch, eine Portion Papas Fritas (Pommes) und ein Salat in Argentinien fuer zwei Personen mehr als ausreichen. Und drittens koennen wir uns auch mit den ueblichen 1-Liter-Bierflaschen (Hauptmarken Quilmes, Schneider, Salta - als cristal - hell, rubio - roetlich, negro - dunkel - alle gut!)durchaus anfreunden.

Mit gefuelltem Magen gehts zur Kunst ins "Museo de Arte Contemporaneo de Rosario". Kunst und Kultur hat einen sehr hohen Stellenwert in Argentinien, kann man ueberall lesen und man spuert es auch. Es gibt viel mehr Absolventen von Kunst-, Fotografie-, Film- und Musikhochschulen als in Europa. Kunst ist hier eingebunden in den Alltag. Das zeigt sich auch hier im Museum. Die Abstraktionsneigung scheint geringer, auch zeitgenoessische Kunst scheint weniger hermetisch, sondern volksnaeher. Und das im besseren Fall in sehr subtiler, hintergruendiger, im schlechteren Fall in platter Art und Weise. Deutlich spuerbar ist auch in den meisten Werken der Bezug zur heimischen Folklore und zu kunsthandwerklichen Traditionen. Uns schallt auf jeden Fall noch lange der, nach dem Raub seines Kindes immer wieder verzweifelt ausgerufene Satz des transvestitenhaften Hauptdarstellers in einer "Rosemary's Baby"-Video-Persiflage in den Ohren: "Vhat chave you done to chiiiiim!!!"

Am Abend lernen wir unsere erste Lektion in argentinischem Nachtleben. Auf der Hostelterrasse lernen wir Pablo, Cesar und zwei weitere uruguayische Tangotanzlehrer kennen. Cintia serviert Kartoffelsalat und wir schwelgen in Wein und Gesang. Cesar zueckt die Geige, die Gitarre wandert um den Tisch und auch die Flaschen. "Argentinien ist Welthauptkonsument von Fernet Branca" behauptet Pablo und mischt DEN landestypischen Drink: Fernet-Cola.

Ausgegangen wird in Argentinien erst nach Mitternacht. Vorher isst man ja noch zu Abend (so zwischen zehn und zwoelf). Also gehts gegen halb eins mit zwei Taxen zu einer Milonga. Milongas sind einfache kleine Weinschenken, in denen neben der froehlichen Milonga, vor allem der tragische Tango zur Livemusik zelebriert wird. Rosario gibt uns hier einen ersten Vorgeschmack auf das, was uns im Epizentrum des Tango, in Buenos Aires, erwarten wird. Katharina wird von Cesar ueber den Tanzboden gefuehrt, waehrend Pablo, der amtierende uruguayische Tangochampion (!), mir die ersten Schritte beibringt. Dazu werden weitere Weinflaschen gekoepft (natuerlich um die Tragik zu steigern), fuer die man hier gerade mal drei Euro bezahlt.

In dieser Weise ideal vorbereitet, machen wir uns am naechsten Tag auf in die argentinische Hauptstadt.

© Katharina L., 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
1 Jahr: Indien – Thailand – Laos – Vietnam – Neuseeland – Chile – Argentinien – Peru – USA
Details:
Aufbruch: 01.10.2009
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: 01.10.2010
Reiseziele: Indien
Thailand
Vietnam
Laos
Neuseeland
Chile
Argentinien
Bolivien
Peru
Vereinigte Staaten
Der Autor
 
Katharina L. berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.