Frankreich - 2011

Reisezeit: September / Oktober 2011  |  von Uschi Agboka

Thiers – Ambert - Chateau Mauzun – Billom

12. September 2011 - 6. Tag - Gefahrene Meilen: 98 (158 km)

Thiers - Ambert - Saint-Amant-Roche-Savine -
Chateau Mauzun - Billom

7.30 Uhr schellt der Wecker. Die Bäckersfrau sagt einen sonnigen Tag voraus. So fahren wir heute zunächst nach Thiers, dem französischen Solingen. Mit dem Motorrad ist es leicht, einen Parkplatz zu finden. Mit Auto oder Campingbus wäre das oft mit größten Schwierigkeiten verbunden.

Thiers ist keltischen Ursprunges. Eine erste Siedlung am linken Durolle Ufer wurde 532 von den Franken zerstört. Der Wiederaufbau erfolgte auf dem rechten Ufer des Flusses im heutigen Altstadtviertel
und ist bereits seit Jahrhunderten das Zentrum des französischen Messerschmiedehandwerkes. Die Legende erzählt, dass Kreuzritter nach dem ersten Kreuzzug das Geheimnis der Messerschmiedekunst aus dem Morgenland mitbrachten. Seit dem 14. Jh. ist die Eisenverhüttung in Thiers heimisch. Die Erzeugnisse wurden nach Spanien, Holland und in die Lombardei ausgeführt. Klingen jeder Art wurden auf den von der Durolle angetriebenen Schleifsteinen bis zur Perfektion geschliffen. Heute verfügt man über moderne Produktionsmittel, doch es haben sich neben den bedeutenden Fabriken fast 300 kleine Messerschmieden und Handwerksbetriebe gehalten, mehr als 5.000 Menschen sind in den Coutelleries beschäftigt. Neben Schneidwaren aller Art werden chirurgische Instrumente, Kunststoffartikel, Bestecke, Küchengeräte, Geschirr, Formdrehteile und Zubehör für die Autoindustrie in Thiers hergestellt. Überall in der Stadt finden sich Metallskulpturen zeitgenössischer Künstler. Dank einer hervorragenden Altstadtsa-nierung säumen malerische Fachwerkhäuser aus dem 15., 16. und 17. Jh. die engen, kurvenreichen Gassen, die größtenteils den Fußgängern vorbehalten sind.

Als erstes schauen wir uns die Eglise Saint-Genes an, ein stark veränderter, ursprünglich romanischer Bau aus dem 11./12. Jh. Die Kirche besitzt die größte Vierungskuppel der Auvergne. In der Rue de la Coutellerie finden sich wunderschöne Wohnhäuser: Nr. 14 mit freizügig skulptierten Konsolen aus Holz, Nr. 21, Maison de l'Homme des Bois, das Haus des "Waldmenschen", stammt aus dem 15. Jh. und ist mit einer affenähnlichen Figur geschmückt. Wir haben herrliches Wetter. In einem der vielen kleinen Geschäfte erstehen wir 5 Messer für Zuhause und einige Geschenke für Freunde. Über Olliergues geht die Fahrt nach Ambert. Es herrscht kaum Verkehr und die Straße ist super, durch Wald und Wiesen, vorbei an schönen Häusern. Überall finden sich Kreisverkehre, so dass man sich kaum verfahren kann.

Zwischen den Bergen des Livradois und den Monts du Forez erstreckt sich eine breite Ebene, in deren Mitte Ambert liegt. Zu Reichtum kam der Ort durch die Fertigung von Papier, beginnend im 15. Jh. Wichtigster Abnehmer war Lyon, die Stadt der Drucker. Doch auch in Ambert forderten die Religionskriege ihre Opfer. Im Febr. 1577 fiel der berühmt-berüchtigte Hugenottenführer Merle in die Stadt ein und richtete ein Blutbad an. Die Katholiken versuchten, Ambert zurückzugewinnen. Merle, der nicht genug Männer hatte, die Stadt zu halten, griff zu einer List. Er ließ den aus den Kirchen des Ortes entnommenen Statuen Helme aufsetzen und auf der Stadtmauer aufstellen. So glaubten die Angreifer, dass die Verteidiger, nicht zu bezwingen seien und zogen sich zurück. Erst später fiel die Stadt wieder an die Katholiken zurück. Ambert war auch die Heimat zahlreicher Genies: der Mathematiker Michel Rolle, der Komponist Emmanuel Chabrier, der Dichter und Gelehrte Maurice Faucon, der Dichter und Humanist Pierre de Nolhac etc. Henri Pourrat - 1887-1959 - legte Zeugnis ab vom Leben der Bauern. Sein Werk ist das eines Geschichtenerzählers (Le Tresor des Contes).

Zunächst schauen wir uns die Eglise St-Jean an. Die Kirche, zwischen 1471 und 1518 erbaut, gehört - bis auf einige Teile - der Zeit der Spätgotik an. Außen an der Fassade sieht man die leeren Nischen, wo die Statuen standen, die der Hugenottenführer Merle für seine List missbrauchte. In einem kleinen Cafe am Kirchenplatz trinken wir Kaffee und beobachten die Leute. Eine ältere Dame, mit rosaroten Haaren, vielen Falten, Pausbacken, die Augen kaum geöffnet, mit einem typischen Hexenhut der Gegend, kommt, begrüßt einige Gäste und setzt sich zu Freunden, die Wein trinken. Geschätztes Alter dieses Unikums, zwischen 85 und 95. Sie ist sehr freundlich und nett und trägt ansonsten sehr gepflegte Kleidung. Trotz aller Tricks ist es uns nicht möglich, ein Foto zu machen, die Privatsphäre muss gewahrt bleiben. Doch Rolf und ich können den Blick von dieser interessanten Frauengestalt nicht abwenden. Nachdem wir noch einen Rundgang durch die Altstadt gemacht haben und ich einige Postkarten erstanden habe, geht es sehr kurvenreich weiter, über den Col de Fourches, 970, nach Saint-Amant-Roche-Savine. Leider ist dort die schöne Kirche nur von außen anzuschauen. Auf der schönen Straße weiter nach Saint-Dier-d'Auvergne und dann Halt an den majestätisch auf einem Hügel liegenden Ruinen des Chateau Mauzun, einst mächtige Festung der Bischöfe von Clermont. Es ist ein warmer sonniger Tag, ideal zum Motorrad fahren. In Billom ist unser nächster Halt. Der Ort hatte seine Glanzzeit im Mittelalter und verfügte schon vor Clermont über eine Universität. Diese wurde im 16. Jh. in ein Jesuitenkolleg umgewandelt, welches in der gesamten Auvergne hohes Ansehen genoss. Wir machen einen Spaziergang durch den alten Stadtkern des Ortes, es gibt viele schöne restaurierte Häuser. Ein Haus, welches zum Verkauf steht (120.000 Euro), hat es uns besonders angetan: 120 qm, verteilt auf 4! Etagen, mit Kaminen und Dachterrasse. Wir schauen uns die Stiftskirche Saint-Cerneuf an. Ein älterer Herr übergibt uns eine Information in deutscher Sprache. So können wir alles besser verstehen. Das gotische Bauwerk wurde an der Steller einer romanischen Kirche errichtet, von der noch einige Teile erhalten sind. Das Hauptportal der Kirche besitzt seltsam anmutende Beschläge aus dem 13. Jh. Mir gefällt besonders die wunderschöne schlicht gestaltete Krypta. Sie ist eine der ältesten in der Auvergne, aus dem 11. Jh. Ein silbern verzierter Reliquienschrein soll Teile des Kreuzes Christi enthalten. Dank der deutschen Info können wir alles in Ruhe nachlesen. Auf der Rückfahrt zum Campingplatz kaufen wir noch in Pont de Chateau ein, Fisch, Schnitzel, Trauben, Käse und Wein. Um 17 Uhr sind wir zurück. Rolf putzt das Motorrad, ich flicke meinen Rucksack und meine Lederhose, dann ist Duschen angesagt. Wir genießen einen weiteren schönen Abend am Allier. Nur das Geschnatter der Enten fehlt. Sie wurden wirklich alle von den Jägern erschossen. Nur die Fischreiher leisten uns Gesellschaft. Vorläufig kommt bei uns kein Entenbraten auf den Tisch. Zum Dinner hatten wir heute Rinderfilet mit Pilzen, gemischten Salat, dazu Baguette, Käse und Rotwein. Bis 22 Uhr sitzen wir beim Schein einer Laterne draußen, lassen den schönen Tag ausklingen.

© Uschi Agboka, 2011
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eine Tour über 39 Tage, von Niederbayern, durch Frankreich (Zentralmassiv) und weiter nach Italien (Ligurien - Aosta-Tal) Hier der erste Teil - Frankreich.
Details:
Aufbruch: 07.09.2011
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 15.10.2011
Reiseziele: Frankreich
Der Autor
 
Uschi Agboka berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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